Das Gorilla-Prinzip. Hans-Jürgen Breuer

Das Gorilla-Prinzip - Hans-Jürgen Breuer


Скачать книгу
blickten die Gorillas fragend auf uns, als ob sie die Wirkung ihrer Vorstellung feststellen wollten.“ 4

      In jeder Population von Lebewesen gibt es eine klare Rangordnung: Das Alpha-Tier steht an der Spitze und hat die meisten Rechte. „Es ist ein großartiger Anblick, wenn massige Silberrücken auf der Suche nach den kleinen Delikatessen behutsam in die höchsten Äste stiegen. Dank ihres hohen Ranges haben sie die erste Wahl, während die rangtieferen Tiere am Boden warten, bis die Patriarchen hernieder steigen und sie an der Reihe sind.“ 5 Die rangtieferen Tiere müssen sich in diese Rangordnung einfügen und können drohende Gefahren bei Überschreitung ihrer Kompetenzen am besten durch eine vertiefte Demutshaltung abwehren: Hunde werfen sich auf den Rücken und bieten dem überlegenen Tier die Kehle. Ein Mensch, der mit einem nur scheinbar gefährlichen Gorilla zusammentrifft, kann sich auf diese Art und Weise schützen: „Der Angriff einer Gorilla-Gruppe ist sehr schwer zu beschreiben. Wie bei den anderen Angriffen auf mich waren die Schreie so ohrenbetäubend, daß ich nicht wußte, aus welcher Richtung sie stammten. ... Als der dominante Silberrücken mich erkannte, bremste er etwa einen Meter vor mir ab, woraufhin die vier nachfolgenden Männer sofort ungeschickt auf ihm landeten. In diesem Augenblick sank ich langsam zu Boden, um so unterwürfig wie möglich zu erscheinen.“ 6

      Die Rangordnung wird über Rivalenkämpfe erstellt. Ein solcher Kampf findet ceteris paribus aber nur dann statt, wenn die Kräfteverhältnisse so beschaffen sind, dass der Angreifer auch tatsächlich gewinnen kann; sonst zieht er sich wieder in sichere Entfernung zurück.

      „Schließlich hielt Onkel Bert es nicht mehr aus. Auf den Hinterbeinen stehend, trommelte er auf seinem Brustkorb und klatschte laut auf die Pflanzen zwischen sich und Beethoven. Das war zuviel für den älteren Mann, der bis dahin ein Muster an Duldsamkeit gewesen war. Mit zornigen Schreien stürzte er sich auf Onkel Bert. Der junge Silberrücken floh schmählich bergab, der Rest seiner Gruppe mit hysterischem Geschrei hinter ihm her. Anstatt ihn zu verfolgen, stand Beethoven nur da und blickte verachtungsvoll den verwirrten Angehörigen der Gruppe 4 nach. Knapp 20 Meter weiter unten blieb Onkel Bert stehen. Zweifellos gab ihm der größere Abstand mehr Sicherheit, und er nahm sein Imponiergehabe wieder auf mit Brusttrommeln, Heulgesängen und Rennen durchs Gebüsch.“ 7

      Weil es ein klares Ranking in jeder Gruppe gibt, wird es als Rolle daher nicht nur den Anführer-Typus, sondern auch das Schlusslicht der Gruppe geben: das Omega-Tier.

      „Beethoven zeigte sich als einziger in Gruppe 5 besorgt um das junge Weibchen. Er verlangsamte die Geschwindigkeit der Fortbewegung und der Futtersuche, so daß sie mitkam, und er verteidigte sie gegen die zunehmenden Mißhandlungen durch Gruppenmitglieder. Je schwächer sie wurde, desto häufiger war sie das Ziel von Rempeleien, Tritten und Angrunzereien.“ 8

      Ihnen werden gewisse Analogien aufgefallen sein:

       Wenn sich eine Herde von Menschen nähert, hören wir zunächst deren Gerede, was in einer Gruppe meistens besonders laut ausgeprägt ist. Ein Geschnatter wie in einem Affenzirkus, ein Wort, das in die Umgangssprache eingeflossen ist und auch noch eine andere inhaltliche Bedeutung transportiert, die Ihnen bestens bekannt sein dürfte. Wenn Affen aufgeregt sind und nicht weiter wissen, dann fangen sie ein lautes Geschnatter an. – Manager sind ähnlich. Wenn sie unklar sind, dann fängt ein großes Gerede an. Je mehr Emotionen eine Rolle spielen und je unklarer die Gedanken sind, umso lauter ist das „Geschnatter“ der Manager und um so länger dauern die Sitzungen Eine Ausnahme, die Sie sehr oft beobachten können: im Fahrstuhl. Hier erstirbt nahezu jedes Gespräch sofort, weil der Sicherheitsabstand zu gering ist.

       Und nicht nur für Frauen gilt, dass ihnen der Duft von Parfüms vorauseilt.

       Das Nachahmungsverhalten imitiert immer die Vorgaben des Alpha-Tiers. Wie ausgeprägt ist in Unternehmen die Kultur, sich am Verhalten des TOP-Managements zu orientieren! Hierbei werden natürlich nicht nur sinnstiftende Verhaltensweisen kopiert, sondern leider auch völlig unsinnige.

       Das Brusttrommeln findet man, außer von Johnny Weismüller in seinen Tarzan-Filmen beeindruckend vorgeführt, in der Welt des Managements nur in abgeleiteter Form wieder. Das Brusttrommeln macht deutlich, dass man groß, stark und mächtig ist und hebt den Brustkorb deutlich hervor. Der Kleidungsstil im Management unterstreicht dies ebenso durch uniformenhafte Sakkos und auffällig-unauffällige Krawatten, während bei den Militärs die wirklichen Uniformen und die mit zahlreichen Orden geschmückte Brust dem Gorilla-Prinzip in seiner urwüchsigen Form noch etwas näher stehen.

       Beim Essverhalten transformiert sich das Gorilla-Prinzip in die Kantine für alle und die besonderen Speisesäle, die dem TOP-Management vorbehalten sind und häufig von einem Edel-Koch bewirtschaftet werden. Die Spesenbudgets sprechen dieselbe Sprache.

       Die Demutshaltung wird heute in westlichen Regionen in verschiedenen Formen praktiziert: zum Beispiel durch ein Verneigen bei der Begrüßung. In anderen Kulturkreisen (Japan), bei Hofe oder in der Kirche (die tiefe Verneigung und der Handkuss) ist dieses Ritual der Demutshaltung durchaus noch wesentlich stärker ausgeprägt. Und es gibt zahlreiche Varianten davon in Unternehmen, die Ihnen alle sicherlich bestens bekannt sind. Auch die Umgangssprache hat diese Demutshaltung übernommen: sich mit eingezogenem Kopf davonschleichen.

       Das Imponiergehabe bei Gorillas und Menschen ist im Grundsatz identisch. Die Menschen haben hierfür eine Unmenge von Statussymbolen erfunden, auf die leider in vielen Unternehmen peinlichst genau geachtet wird: Wie groß ist mein Büro? Auf welcher Etage befindet es sich? Wie viele Fenster (Achsen) hat meine Büroflucht? Wie viele Sekretärinnen schmücken mich? Bekomme ich einen Dienstwagen? 9 Sie können diese Liste im beruflichen oder privaten Bereich beliebig verlängern. Die Standards dieser Statussymbole werden vom TOP-Management geprägt, die dann in rangmäßig abgestufter Form im Nachahmungsverhalten kopiert werden.

       Ein besonders ausgeprägtes Element dieser Statussymbole sind die Titel, die im Management vergeben werden. Wir finden in Deutschland die bekannte Hühnerleiter vom Handlungsbevollmächtigten Version A und B über den Prokuristen, Abteilungsdirektor, stellvertretenden Direktor, Direktor, Direktor mit Generalvollmacht, Generalbevollmächtigten, Vorstand oder Geschäftsführer, Sprecher, Vorsitzenden bis zum früher sehr beliebten Generaldirektor. Die unnütze Perversion dieser Titelmanie zeigt sich zum Beispiel in Konstruktionen, den früheren Inhabern bestimmter Rangstufen diesen ihre Titel in veränderter Form immer noch anzuerkennen, indem man einen Zusatz formuliert: Staatssekretär a.D. oder Altbundeskanzler. Diese Hierarchie-Titel bilden in vielfältiger Weise das systemische Ranking ab.

       Der Sicherheitsabstand im Zusammenhang mit dem Imponiergehabe ist bei uns Menschen besonders eindrucksvoll zu beobachten: Wer kennt nicht die unzähligen Storys von Kollegen „Dem habe ich es aber gezeigt!“, aus sicherer Entfernung formuliert, während sie tatsächlich im Gespräch mit ihrem Widersacher mit hoher Wahrscheinlichkeit die Unterwürfigkeit in Person waren. – Leider ist es so, dass uns Menschen eine gut ausgeprägte konstruktive Konfliktfähigkeit nicht angeboren ist, sondern erst durch viele Übungen erworben werden muss. Fast kann man gleichsetzen: Wer nicht aus der Ferne prahlt, wie stark er in einer bestimmten Situation aufgetreten ist, der dürfte eher ein hohes Maß an Konfliktfähigkeit und Überzeugungskraft besitzen et vice versa.

       Auch bei den Gorillas ist schon ein Phänomen zu erkennen, dass wir heute mit dem englischen Begriff des Mobbings bezeichnen. Das Mobbing richtet sich immer gegen ein Mitglied eines Systems, das aus welchen Gründen auch immer nicht so richtig in das System passt. In einer Kultur der Intelligenz ist es der zu wenig Intelligente, der schließlich weichen muss, in einer Kultur von Leistung und Erfolg der am wenigsten Erfolgreiche. In Unternehmen mit einer ausgewogenen, natürlichen Kultur sind es Menschen, die eher nicht ausgewogen und eher ungewöhnlich sind. 10

      Die Schimpansen sind genetisch ein wenig weiter entwickelt als die Gorillas und zeigen einerseits ähnliche Verhaltensweisen, andererseits Muster, die ein wenig differenzierter und „intelligenter“ sind. Zum Imponiergehabe folgende Beispiele: Es war häufig zu beobachten, „daß die Schimpansenmännchen der Herde plötzlich anfingen zu rennen, wobei sie sich aufrichteten, herabgefallene Äste hinter sich herschleiften, stampften


Скачать книгу