Das Gorilla-Prinzip. Hans-Jürgen Breuer

Das Gorilla-Prinzip - Hans-Jürgen Breuer


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geschieht in Form dieses beschriebenen Imponier-Gehabes:

      Wenige Minuten später tauchte Goliath auf und begann, sobald er den Rand der Camplichtung erreicht hatte, eines seiner wilden Imponier-Schauspiele in Szene zu setzen. Er mußte Mike gesehen haben; denn er ging, einen großen Zweig hinter sich herziehend, geradenwegs auf ihn zu. Dann sprang er auf einen Baum, der dicht bei Mikes Baum stand, und er verhielt sich still. Einen Augenblick lang starrte Mike zu ihm hinüber, bevor auch er mit dem Imponieren begann, die Äste seines Baumes schüttelte, sich herabschwang, ein paar Steine schleuderte und schließlich in Goliaths Baum kletterte und nun dort an den Ästen rüttelte. Sobald er innehielt, trat Goliath in Aktion, schwang sich im Baum umher und schüttelte die Äste. ... Dieses Schauspiel dauerte fast eine halbe Stunde: Erst drohte der eine, dann der andere, und von Mal zu Mal wurde ihr Gehabe wilder und spektakulärer. Und dennoch: Sieht man davon ab, daß sie einander gelegentlich mit den Enden der Zweige trafen, an denen sie rüttelten, griff während der ganzen Zeit doch keiner der beiden Schimpansen den anderen wirklich an. Plötzlich, nach einer besonders langen Pause, schien Goliaths Widerstand gebrochen. Er lief auf Mike zu, duckte sich neben ihn mit lauten, nervösen pant-grunts nieder und begann ihn mit fieberhafter Intensität zu lausen.“ 12 „Es war das letzte Duell zwischen den beiden Männchen. Von nun an hatte man den Eindruck, daß Goliath die Überlegenheit Mikes akzeptierte, und zwischen den beiden entwickelte sich eine merkwürdig intensive Art der Beziehung. Sie begrüßten einander überschwänglich, umarmten sich, beklopften sich gegenseitig und küßten einander auf den Hals, bevor sie sich niederließen und sich gegenseitig lausten.“ 13

      Mike hatte zuvor schon einige neue besondere Verhaltensweisen entwickelt, um seinem Imponiergehabe einen besonderen Ausdruck zu verleihen:

      „Wenn Mike mit Vorliebe Gegenstände benutzte, die von Menschen hergestellt waren, so war das vermutlich ein Zeichen seiner außergewöhnlichen Intelligenz. Zwar hatten viele ausgewachsene Männchen gelegentlich statt der üblichen Zweige oder Steine Paraffinkanister mit sich geschleppt, um ihrem Imponieren mehr Nachdruck zu verleihen, aber allein Mike war allem Anschein nach in der Lage gewesen, aus der zufälligen Erfahrung Nutzen zu ziehen, und nur er hatte gelernt, die Kanister bewußt ausfindig zu machen und zu seinem eigenen Vorteil einzusetzen. Es versteht sich, daß die Kanister um ein Vielfaches mehr Lärm verursachten als ein Zweig, wenn sie mit großer Geschwindigkeit auf dem Boden entlanggeschleift wurden. ... Kein Wunder, daß Männchen, die ihm bis dahin übergeordnet waren, eilig auswichen, wenn er daherkam.“ 14

      Also können wir bei den Schimpansen dasselbe Imponiergehabe mit neuen, weiter entwickelten und intelligenteren Spielvarianten feststellen. Kein Wunder also, dass der Mensch den Schimpansen im Imponiergehabe überragt, weil er noch intelligentere Lösungsstrategien entwerfen kann. 15

      Seit 250 Millionen Jahren gibt es Säugetiere. Primaten bestehen seit 65 Millionen Jahren. Menschen und Schimpansen trennten sich in ihrer Entwicklung vor sechs Millionen Jahren und in der Folgezeit gab es zahlreiche parallele Entwicklungslinien der Primaten, von denen nur eine einzige überlebte: der Homo Sapiens. Diese Linie ist je nach Forscherangabe etwa 25.000 bis 40.000 Jahre alt. In dieser Zeit hat sich das menschliche Gehirn nicht wesentlich verändert, wie zahlreiche Untersuchungen belegen. 16

      Würde man die gesamte Entwicklung von Leben auf der Erde auf einem Zeitstrahl von 24 Stunden abbilden, so ergäben sich folgende Werte:

       Säugetiere entstanden vor etwa einer Stunde.

       Primaten bestehen seit etwa 18 Minuten,

       die ersten Menschen seit knapp zwei Minuten

       und der heutige homo sapiens seit etwa einer halben Sekunde. Das heißt, die Großhirnrinde, wie sie bei uns Menschen ausgeprägt ist, hat auf dem Zeitstrahl der Entwicklung abgetragen nur eine Strecke von 0,05% zurückgelegt in Bezug auf das Gehirn von Primaten. Eine ähnliche Relation: Aus der Genomforschung ist bekannt, dass das Genom des Menschen und des Schimpansen zu über 98% übereinstimmen: Hier spiegelt sich also ebenfalls die Relation der Entwicklungszeit.

      So gesehen werden Verhaltensähnlichkeiten, die es im gesamten Tierreich gibt, leichter nachvollziehbarer und sind für den Menschen als „Krone der Schöpfung“ vielleicht auch leichter zu akzeptieren. Innerhalb der Gruppe der Primaten müssen sie dann aufgrund hoher genetischer Übereinstimmungen auch besonders hoch ausgeprägt sein. Gleichwohl findet man auch in anderen Tierpopulationen Ähnlichkeiten: ob es ein Rudel von Wölfen ist oder die nur scheinbar zusammenhanglose Ansammlung von Hühnern auf dem Hof, bei denen es aber auch ein eindeutige „Hackordnung“ und „Hühnerleiter“ gibt: Begriffe, die in den menschlichen Sprachgebrauch übergegangen sind.

      Statt dieses Buch nun das Hühner- oder Wolfsprinzip zu nennen, habe ich bewusst auf den Begriff des Gorillas abgestellt. In der Welt des Managements bietet der Gorilla die beste Parabel, um das Führungsverhalten zu beschreiben. Letztlich sucht jedes Unternehmen den „Silberrücken“: einen Anführer von höchstem Charisma, dem seine Führungskräfte nachlaufen und den man als oberste Gallionsfigur der Öffentlichkeit präsentieren kann. In der Management-Sprache ist dieser Silberrücken der Chief Executive Officer (CEO) oder im deutschen Sprachgebrauch der Vorstandsvorsitzende oder Sprecher der Geschäftsführung. Der Gorilla als äußerst massiger Primate steht weiterhin für eine ungeheure Kraft, ist aber gleichzeitig auch ein äußerst soziales Wesen, das seinen Clan, die Großfamilie, innerhalb derer er lebt, zusammenhält und gegenüber den feindlichen Stämmen anderer Gorilla-Familien mit seinem Leben verteidigt. – Ist es im Management nicht auch so? Der Wettbewerber, der Konkurrent als nützliches Symbol eines „Feindbilds“?

      Manch ein Leser mag beim Lesen dieser Zeilen geschmunzelt haben, weil es ihn an typische Prozesse im Management erinnert, die nach demselben Muster ablaufen. In jeder Situation des Lebens werden solche „Hackordnungen“ festgelegt. Besonders auffällig ist es dann, wenn Menschen neu zusammenkommen. 17 Hier kann man direkt zuschauen, wie die Kräfteverhältnisse überprüft werden: zum Beispiel in Seminaren. Wie bei Birkenbihl im Handbuch für Trainer nachzulesen ist: „Beim Kampf um die Führung geht es immer um den »informellen« Gruppenführer. Denn die Stellung des Seminarleiters als »formeller« Gruppenführer wird ja (wenigstens zunächst) nicht in Frage gestellt. Sollte sich der Seminarleiter als Nicht-Autorität erweisen – was die Gruppe in der Regel am ersten Vormittag testet! – dann sieht er sich ständigen, massiven Angriffen ausgesetzt.“ 18 Das zeigt, dass einerseits in bestimmten, sich neu konstellierenden Situationen der Führer zwar gesetzt ist (das Seminar, die Reiseveranstaltung mit einem Reiseführer, etc.), hier in Form des Seminarleiters; dass andererseits eine solche Führungsposition aber nur dann auch Bestand hat, wenn der Führer nicht nur die Autoritätsposition hat, sondern er tatsächlich eine Autorität ist. Wer hat nicht schon erlebt, dass manches Seminar von den Teilnehmern boykottiert worden ist, weil der Trainer die Führungsrolle durch seine Inkompetenz verlor und damit dann auch seinen Kunden.

      „Der Kampf um die informelle Führung findet immer statt! Und zwar gewinnt diesen Kampf immer jener Teilnehmer, der Dominanzstreben mit einem starken Energiepotential vereinigt. Also nicht etwa der, der am meisten weiß – sondern, wer die »stärksten Ellenbogen« besitzt!“ 19 Wie findet dieser Kampf statt? „Kommen wir nunmehr zum nächsten gruppendynamischen Phänomen, dem Kampf um den Platz in der »Hackreihe«. Sie kennen vermutlich den Begriff »Hackreihe« aus der Tierpsychologie, der besagt: in jeder Tiergruppe (z.B. in einer Hühnerschar) wird vermittels (realer oder symbolischer) Zweikämpfe festgestellt, wer wen »hacken« darf. So ergibt sich eine Rangfolge vom stärksten Tier bis zum schwächsten. Diese Hackreihe bleibt solange (für »ewige« Zeiten) intakt, bis ein neues Tief zur Herde stößt. Dann herrscht in dieser Herde solange Unruhe, bis in einzelnen Zweikämpfen ermittelt worden ist, welcher Platz in der Hackreihe dem neuen Gruppenmitglied zusteht.“ 20 Birkenbihl hat in seinen Seminaren feststellen können, dass sich in der Regel folgende unterschiedliche Rollen konstellieren: 21

       der informelle Führer

       der Tüchtigste

       der


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