Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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Mit seinem linken Arm wehrte Harun den Schlag ab. Einem normalen Menschen hätte die Wucht des Aufpralls den Unterarm zertrümmert. In einem aberwitzigen Tempo schoss Haruns rechte Hand hervor und packte Vitras an der Kehle. Mit einer kurzen Bewegung, die nur aus seinem Handgelenk kam, schleuderte er Vitras quer durch den ganzen Raum, so dass er mit dem Rücken in die zweite Anrichte krachte, die sich links von der Tür befand. Als der Kriegszauberer sich hochrappelte verspürte er einen furchtbaren Schmerz im rechten Arm. Er war gebrochen. Die Konturen von Harun Ar Sabahs Körper begannen sich plötzlich zu verändern. Seine Arme wurden unnatürlich lang, genauso wie seine Hände, die sich in furchterregende Klauen verwandelten. Vitras konzentrierte sich für den Bruchteil von Sekunden und entfesselte eine gewaltige Druckwelle, die er Harun entgegen schmetterte. Holz zersplitterte mit einem ohrenbetäubenden Knall, als die Druckwelle sämtliches Mobiliar mit sich riss und die Wand, die sich hinter Harun befand, komplett zerstörte. Der Astralleib seines Feindes befand sich jedoch noch immer inmitten des Raumes und schwebte ein Stück über dem Boden. Harun Ar Sabah schien absolut unbeeindruckt von der Zerstörungskraft, zu der Vitras fähig war. Ohne jegliche Vorwarnung stürzte er sich nun seinerseits auf Vitras und schlug mit seinen Klauen nach ihm. Dem Kriegszauberer gelang es, sich trotz der Schmerzen die sein gebrochener Arm verursachte, seitlich wegzurollen. Dennoch erwischte ihn eine der Klauen am gesunden Arm und schnitt ihm tief ins Fleisch. Mit letzter Kraft schleppte sich Vitras aus der Hütte bis auf die Veranda und hoffte, dass nicht doch noch einer oder mehrere Gardisten geblieben waren, um ihr blutiges Werk zu vollenden. Soweit er sehen konnte, war zumindest diese Gefahr gebannt. Doch Harun verfolgte ihn. Langsam und ohne sichtbare Eile kam er näher. Wie ein Jäger der genau wusste, dass er sich seiner Beute absolut sicher sein konnte.

      Vitras stolperte und stürzte die Stufen der Veranda herunter. Ein neuerlicher Schmerz durchströmte seinen Körper, der nun von seinem Rücken ausging. Hinter sich vernahm er das laute und hämische Lachen Haruns. Fieberhaft überlegte Vitras was er seinem Gegner noch entgegenzusetzen vermochte, während er versuchte sich vorwärts zu schleppen. Teilweise wurde ihm schwarz vor Augen. Tantras hatte ihn gewarnt und der Kriegszauberer gestand sich ein, dass es ein Fehler war, die Warnungen des Kriegsgottes zu ignorieren. Er hätte seine Arroganz ablegen und die Doronischen Wälder verlassen sollen.

      Vitras bemerkte in seinem angeschlagenen Zustand zunächst nicht, dass unnatürlich helle Licht, dass langsam aber stetig damit begann, die gesamte Lichtung zu durchfluten. Haruns Gesichtszüge, die vor Sekunden noch absolute Überlegenheit signalisierten, fielen in sich zusammen und wichen purem Entsetzen. Das erste was Vitras überhaupt bemerkte, war dass das gehässige Lachen abrupt endete. Der Kriegszauberer hatte es geschafft, sich ein ganzes Stück von der Hütte fort zu bewegen. Nun wandte er sich um, öffnete die Augen und realisierte erstaunt, wie Harun begann sich zurückzuziehen. Erst jetzt nahm er das ständig heller werdende Licht wahr, vor dessen Radius Harun eine panische Angst zu haben schien. Mit einem Mal schrie Harun gellend auf und verwandelte sich wieder in den schwarzen Rauch, als welcher er dem toten Körper des armen Guillaumes entstieg. Immer weiter zog sich der Rauch, der nun die Form einer kleinen Wolke annahm, vor dem Licht zurück. Dann erhob sie sich in die Höhe und schoss hoch bis zu den Baumwipfeln der großen Schwarz Erlen, welche die Lichtung umsäumten. Für einen kurzen Moment verharrte sie bewegungslos über den majestätischen Baumkronen, dann schoss sie davon.

      Vitras drehte sich schwerfällig um und musste wegen des grellen Lichtes die linke Hand schützend vor sein Gesicht halten. Der Schnitt im Unterarm, wo Harun ihn erwischte, brannte höllisch. Der Kriegszauberer musste trotz der schützenden Hand die Augen zusammenkneifen, so sehr blendete ihn der Ursprung des Lichtes, der bedachtsam auf ihn zuhielt. Je näher der Ursprung ihm kam, desto wärmer wurde ihm. Doch es war eine angenehme Wärme, die anfing seinen gesamten Körper zu durchfluten. Die Schmerzen in seinem Rücken und seinen geschundenen Gliedern begannen nachzulassen. Die Schwäche, die er kurz zuvor noch verspürte, wich seiner natürlichen Stärke. Vorsichtig öffnete er die Augen und stellte fest, dass ihn das Licht nicht länger dermaßen stark blendete. Es war ihm jetzt sogar möglich, seinen Blick direkt auf den Ursprung des Lichtes zu richten, das sich ihm noch immer näherte. Allmählich konnte er im Kern dieser Erscheinung die Umrisse eines Kleides erkennen. Ein schneeweißes Kleid, wie er es bisher nur einmal in seinem Leben gesehen hatte. An dem Tag, als er sie das erste Mal sah. Vitras stockte der Atem. Nach über zwanzig Jahren, rettete sie ihm erneut das Leben. Obwohl er sich inzwischen aufgerichtet hatte, ließ er sich wieder dankbar auf die Knie fallen.

      Die Lichterscheinung tauchte für einen kurzen Moment die gesamte Umgebung in einen silbrigen Glanz, bevor sich die hellen Strahlen langsam aber konsequent in ihren Ursprung zurückzogen. Vor dem knienden Kriegszauberer stand Mirna, die Göttin der Gerechtigkeit und Mutter seiner Tochter Morna.

      1.3. Morna

      Die kleine Zelle, tief unterhalb des Palastes der Darkanischen Herrscher, zeichnete sich außer durch die ihr innewohnenden abgestandenen Luft, durch ihre klamme Kälte und der absoluten Dunkelheit aus. In der Zellentür, die aus massivem Eichenholz bestand und mit spitzen metallenen Nieten beschlagen war, befand sich eine vielleicht zwei Fuß breite Öffnung. Sie war vergittert und konnte von außen mit einer Klappe verschlossen werden. Mitunter drang etwas Licht, vom Schein der Fackeln, die von den Wärtern benutzt wurden, in die Zelle. Sobald sich diese wieder entfernten, tauchte die Zelle erneut ins grauenvolle, undurchdringliche Schwarz. Die Feuchtigkeit setzte sich hier unten in den Wänden fest und überzog diese mit einem Meer aus feinen Tropfen. Die Nässe kroch selbst in das spärliche Strohlager sowie in die Kleidung, die Morna trug. Sie hatte hier unten inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren und konnte nicht einmal mehr erahnen, wie lange sie hier schon gefangen gehalten wurde. Die Halbgöttin, deren Liebreiz im Augenblick bestenfalls zu erahnen war, konnte noch immer nicht fassen wie naiv sie war. So musste sie sich eingestehen, sich mit ihrer Gutgläubigkeit selbst in diese Lage gebracht zu haben. Trotz aller Warnungen ihrer Mutter, hatte sie sich in einen Sterblichen verliebt, die Sicherheit ihres Waldes verlassen und damit ihre göttliche Macht, sogar ihre Unsterblichkeit vorübergehend aufgegeben. Als Halbgöttin war Mornas Macht erdgebunden. Damit war sie, sobald sie den Wald verließ, eine gewöhnliche Sterbliche. Was ihr jedoch blieb war ihr Stolz. Den würde Godvere Garien, der Herrscher Darkans, ihr niemals nehmen können. Sie strich sich eine Strähne ihres schmutzigen Haars aus dem Gesicht, das normalerweise in einem satten, kräftigen Braun erstrahlte.

       Godvere Garien – der Herrscher des Darkanischen Reiches, war ein stattlicher, gutaussehender Mann Mitte dreißig. Nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters Sorarius Garien, bestieg er den Thron im frühen Alter von sechzehn Jahren. Die harte Erziehung machte sich schnell bezahlt, da es dem jungen Herrscher gelang, etliche Intrigen gegen ihn zu erkennen, aufzudecken und mehreren Mordanschlägen zu entgehen. Somit begann er, sein Reich mit unnachgiebiger Härte zu regieren. Auch als Stratege war er weithin gefürchtet. Godvere unterwarf nahezu alle umliegenden Königreiche. Erst der Hochlandbund im Osten, später auch die freie Stadt Prem im tiefen Süden waren in der Lage den Eroberungen des Herrschers Einhalt zu gebieten. Godvere Garien war jedoch nicht nur ein absoluter Machtmensch, er war auch ausgesprochen intelligent. Er schloss Frieden mit dem Hochlandbund sowie mit der Stadt Prem und konzentrierte sich darauf, seine Macht im riesigen Reich zu festigen. Der schwarze Wald, auch der Wald der Götter genannt, der die Westgrenze seines Reiches bildete, war allerdings ein bohrender Stachel in seinem Fleisch. Die schwer gerüsteten Darkanischen Soldaten waren den Amazonenstämmen in den Weiten des dichten Waldes hoffnungslos unterlegen. Der Kommandant der Leibwache des Herrschers begann frühzeitig zu ergrauen, da Sein Herr regelmäßig darauf bestand, in den Ausläufern des Waldes zu jagen. Die Jagdausflüge boten häufig das Ziel eines Amazonenangriffs, da die Kriegerinnen ihren heiligen Boden mit aller Macht verteidigten. Bei einem dieser Angriffe, scheute das Pferd des Herrschers und warf ihn ab. Godvere stürzte und schlitterte einen Abhang hinunter. Dabei rauschte er durch dutzende Büsche bis er bewusstlos gegen einen Baum krachte.

       Morna konnte sich gut an diesen Tag erinnern. Sie fand ihn mehr tot als lebendig und verliebte sich augenblicklich in die edlen Gesichtszüge des Mannes, der blutend und hilflos am Boden lag. Sein Gefolge, das ihn lautstark suchte, hatte nun nicht die geringste Chance mehr, ihn zu finden. Einfach weil Morna es nicht wollte. Sie legte einen Unsichtbarkeitszauber auf sich und den


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