Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. Böhlau Helene

Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten - Böhlau Helene


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sie, es reißt sie im Gefühle mit sich fort, wie von jeher ein großes, mächtiges Herz die kleinen mit sich gerissen hat. –

      Die Ratsmädel, Röse und Marie, schauen zum Fenster hinaus.

      »Hörst du?« sagt Marie.

      Sie sind bisher immer, wenn die große Glocke geläutet wurde, zum Schloß hinunter gelaufen und haben hinauf nach der grünen Turmspitze gesehen, die von der Wucht der Glockenschläge langsam, aber deutlich hin und her schwankte; oder sie haben das Ohr an die alte Turmmauer gehalten, und das Dröhnen ist ihnen schauervoll durch den Körper gezittert; oder die Kameraden nahmen sie bis hinauf in den Glockenstuhl, und sie haben da, schwankend und schwindelnd und ganz betäubt von den ungeheuren Schlägen, die den Turm zu zersprengen drohten, sich aneinander geklammert und an den riesigen Balken festgehalten.

      Heute schauen sie aber, wie gesagt, nur gedankenvoll zum Fenster hinaus.

      Es ist, als läge irgend etwas auf ihnen.

      Röse hat auf das »Hörst du?« von Marie nicht einmal geantwortet.

      Sie stecken beide feierlich in weißen Kleidern und tragen grüne Schärpen.

      Grüne Schärpen sind für sie noch immer der Inbegriff von aller Schönheit und Eleganz.

      »Röse! Marie! Schließt das Fenster! Gleich! – Was fällt euch ein! – Der Wind!« So ruft Frau Rat, die Mutter der Ratsmädchen, die eben ins Zimmer tritt.

      Eine rührende Zartheit liegt über der schlanken Gestalt. Der Haushalt mit den wilden Mädchen und Buben, die Kriegsjahre, der überernste Gatte, die Geldsorgen, – das alles ist der fein organisierten Frau zu viel geworden.

      Um sie her wachsen die Kinder urkräftig in die Höhe; sie aber hat etwas Müdes, Insichgekehrtes, als wenn sie nur bei sich selbst fände, was sie sucht.

      Die beiden Mädchen schließen das Fenster, und das Glockengeläut dringt nur noch dumpf ins Zimmer.

      Der Wind heult im Schornstein. Frau Rat zündet die Lichter an.

      Das große Familienzimmer macht heute ein feierliches Gesicht.

      Der runde Eßtisch ist blendendweiß gedeckt; statt des einen Talglichtes brennen zwei Wachskerzen auf einem Leuchter unter einem grünseidenen, ovalen Schirm.

      »Oho,« sagt Marie, »den nimmst du?«

      »Was denn sonst, Schatz? – Habt ihr euch die Hände gewaschen?«

      »Jawohl, mit Schmierseife!« antwortet Röse.

      »Röse, mein Kind!« Frau Rat ist heute bewegt und streicht ihr übers Haar. – »Gutes Kind!«

      Röse ist von dieser Freundlichkeit so sonderbar berührt, daß sie ihrer Mutter um den Hals fällt und in Thränen ausbricht.

      »Ruhig, ruhig!«

      Der Vater tritt ein, mustert alles und sagt: »Ist Senf auf dem Tisch?«

      Senf war eben das Neueste.

      Und es ist Senf auf dem Tisch, es ist überhaupt alles in schönster Ordnung; er findet nichts zu tadeln und geht feierlich im Zimmer auf und ab.

      »Charmante Leute!« bemerkt er und wiederholt es noch einmal: »Charmante Leute!«

      Niemand stört den Vater. Er liebt das »Anreden« nicht. Man hat zu warten, bis er fragt.

      »Du könntest der Thon, dächt' ich, noch eine kleine Aufmerksamkeit erweisen,« wendet er sich zu seiner Frau.

      »Ja was denn?« fragt diese. »Wie meinst du denn?«

      »Ich dachte so etwa … etwa …«

      Er schien sich über das, was er eine »kleine Aufmerksamkeit« nannte, nicht recht klar zu sein.

      »Weißt du, Kirsten, ich dächte, wir erwiesen ihr schon eine recht große!« Das sagt sie leise und schaut mit einem Seitenblick auf die Mädchen.

      Röse lehnt am Nähtisch, müßig den Fingerhut der Mutter auf der Platte tanzen lassend. Marie sieht ihr gespannt zu.

      »Ist das eine Art, den Bräutigam zu erwarten?«

      Herr Rat meint das ernst und rügend aus seiner hohen Halsbinde heraus, im Hintergrunde des großen Zimmers, zu seiner Frau.

      »Bst!« macht Frau Rat. – »Mein Gott, so jung sollte sie nicht sein. So ein armes Ding!«

      »I was!« sagt Herr Rat. – »Papperlapapp! Warst du etwa älter?«

      Frau Rat lächelt schmerzlich. Alle Papperlapapps ihres Lebens zogen an ihrer Seele vorüber. – Sie lächelt, – alle heißen Thränen, alles Sehnen, alles Verstummen hatte sich bei ihr zu einem müden Lächeln herabgemildert, – oder in ein Lächeln zusammengefaßt, – wie man will.

      Apothekers kamen.

      Frau Apotheker in der schönsten Haube. Des Gatten rundes Bäuchlein war mit »selber gestickter« Seide überspannt und glänzte wie ein heiteres Gestirn. Er kniff Röse in die Wange und war vortrefflich gelaunt.

      Marie tuschelte Röse etwas zu, indem sie vorsichtig nach den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses sah; da zeigte sich eben eine Dame in vollem Putz, in weißer Haube mit blauen Bändern und im weißen Kleide. Sie öffnete das Fenster und hakte die Fensterflügel ein, damit der Wind, der durch die Gasse fegte, es nicht wieder zuwerfen könnte.

      »Jetzt kommen sie!« flüsterte Marie. Und es währte nicht lange, da empfing man bei Kirstens wieder Gäste: Frau Geheimderat Thon und deren Sohn Ottokar Thon, Adjutanten des Großherzogs Karl August.

      Frau Geheimderat Thon begrüßte sich lebhaft mit den Eltern Kirsten, küßte dann zuerst Röse auf die Stirn, dann Marie.

      Sie war die Dame, die aus dem Fenster geschaut hatte. Das weiße Kleid umschloß in langen Falten eine volle, stolze Gestalt. Das schöne Busentuch war aus kostbaren gelblichen Spitzen, und eine breite, hohe Haube mit himmelblauen Bändern beschattete ein energisches, wohlkonserviertes Gesicht.

      Ottokar Thon reichte Röse die Hand und führte ihre rundliche Kinderhand dann an die Lippen.

      Röse war befangen und schweigsam. Auf ihrem frischen Gesichte aber lag eine große, stille Wonne. Sie ließ indessen ihrer Schwester Hand nicht los, bis man sich zu Tische setzte.

      Noch war das große Wort nicht gesprochen; aber sie ahnte, sie wußte alles! Ottokar Thon war erregt; er sprach mit ihr, als spräche er zu einem lebendigen Heiligtume, – so etwas scheu, – und doch … – Rösen überschauerte es.

      Wie er schön und stolz in seiner schwarzen, verschnürten Uniform aussah!

      Von dem Augenblick an, als sie ihn zuerst gesehen, war ihre Seele ganz erfüllt von seinen guten Eigenschaften, seiner Gescheitheit und seiner Tapferkeit; er war Lützowscher Jäger gewesen, und sie hatte auch gehört, wie er sich in Wien ausgezeichnet.

      Die Schopenhauerin erzählte, daß Karl August ihn unbändig gelobt habe, und daß Karl August eine Schrift über die Zukunft Deutschlands von ihm kenne, von wahrer staatsmännischer Bedeutung.

      »Solch ein Mensch will mich!«

      Das waren Röses Jubelgedanken. –

      Röse saß bei Tisch neben dem lieben, herrlichen Menschen und hörte zu, wie alle sprachen.

      Es war ihr so feierlich und still zu Mute. Und sie mußte träumerisch an einen Vogel denken, der in seinem Nest auf schwankem, grünem Zweige sitzt, das von einem weichen Winde hin und her geweht wird. Die Sonne glitzert durch die dichten Blätter, und schafft so ein wohliges, grünes Licht um ihn her. Kein Auge sieht ihn; er ist sich selbst genug. Sie fühlt eine Seligkeit, die ihr noch fremd und neu ist; deshalb macht sie sich unbewußt ein Bild von dieser großen, stillen Wonne, ein kindisches, süßes Bild.

      Und es waren nicht nur die Gefühle festlich und heiter; nein, alles und jedes! Zu allererst die Suppe. Eine echte Festsuppe: Grünkern mit Kerbelrübchen. Das war Frau Rats Meisterwerk. Die Kerbelrübchen, wie Mandeln so fein und klein, zergingen auf der Zunge, und die Suppe duftete wie ein blühendes Aehrenfeld. Ganz sommerlich duftete es aus der Terrine und verbreitete


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