Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. Böhlau Helene

Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten - Böhlau Helene


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rief Röse, »ist das ein Wetter! – Himmlisch!«

      Sie faßten sich an den Händen und ließen sich von dem Winde treiben. »Glaubst du wirklich, daß es was gibt, wenn sie's oben merken?« fragte Röse.

      Marie antwortete nicht. Der Wind hatte ihren wollenen Longshawl gefaßt und sich darin verfangen.

      »Weißt du,« sagte sie nach einer Weile, »ich glaub' schon. Aber wenn alles gut ausgeht, und wir haben sie wirklich gesehen, und wir sagen's, dann – dann …«

      Der Wind nahm ihr den Atem.

      Sie wollten nicht quer über den Markt laufen, sondern lieber gedeckt, wie die Diebe an den Häusern hin; und so eilten sie Hand in Hand vorwärts. Ihre engen Kleiderröcke flatterten wild im Westwinde; die Stirnlöckchen, selbst die schweren hängenden Zöpfe wehten und peitschten um sie her. »Diese Scheusäler!« brummte Röse, als ihr Maries Zopf übers Gesicht gefahren war.

      Jetzt mußten sie am »Elefanten« vorbei. Aus der Gaststube schimmerte Licht in die Dunkelheit; es trat jemand aus der hellerleuchteten Thorfahrt. Röse und Marie drückten sich atemlos, erschreckt in den Schatten an die Mauer. Dann liefen sie weiter, mit halb zugekniffenen Augen, weil der Sturm Sand und Staub aufrührte.

      Das Wolkengeschiebe riß auseinander, und der Vollmond schaute auf einen Augenblick ungeheuer glänzend, als wäre er von den Wolken eben erst wieder blank gewischt worden, auf die dunkle, windgepeitschte Erde hinab.

      »Gucke, der Mond!« bemerkte Röse im Rennen.

      Als sie am Schlosse vorbei zur Burgmühle kamen und die Ilm nächtlich an ihnen vorbeirauschte, blieben sie stehen und lauschten ins Dunkel hinaus.

      Ihre Herzen hämmerten, ihre Wangen glühten; der Sturm hatte sie wie ein paar Rosenbüsche zerzaust.

      »Die andern werden in der Fähre stecken,« flüsterte Marie, »wenn sie uns nur nicht erschrecken!«

      Ja, sie fürchteten sich sehr! Das grelle, plötzlich hervorbrechende und wieder verschwindende Mondlicht, die schweren, schwarzen Wolken, der Sturm, der in den hohen Bäumen sauste, und dazwischen die unheimliche Stille, ohne menschlichen Laut, nur von entferntem Hundegebell unterbrochen, das Kreischen der uralten, verrosteten Wetterfahne auf der Mühle, – alles bedrückte sie!

      Röse versuchte einen kleinen rhythmischen Pfiff, dem ähnlich, den der Wind vorhin durch die Wünschengasse getragen hatte; aber er kam so zaghaft zu stande, daß er wie ein Hauch verflog.

      »Bis hierher wird sie doch nicht kommen?« fragte Marie kaum hörbar.

      »Ach gar!« wehrte Röse mit geheucheltem Mute, und beide schmiegten sich fest aneinander.

      »Sie sitzen gewiß in der Fähre und schaukeln sich,« meinte Marie. »Wir müssen ein bißchen näher. Ob der Müller ihnen wohl die Fähre los gemacht hat?«

      Sie gingen vorwärts, aber sehr, sehr langsam.

      »Wie die Ilm rauscht!« sagte Marie.

      Jetzt pfiffen sie beide. Budang würde erklärt haben: »Scheußlich falsch.«

      »Oho!« hörten sie laut rufen.

      Und es kam wirklich aus der Fähre. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, da standen ihre drei Freunde Budang, Horny und Ernst Schiller vor ihnen.

      »Trödelbüchsen!« rief Budang.

      »Gottlob, daß ihr da seid!« sagte Marie aufatmend.

      Horny und Budang halfen den Mädchen auf die dunkle Fähre. Das Ilmwasser rauschte und gluckste um die groben Bretter und schien eine eisige Kälte zu verbreiten.

      Budang und Ernst Schiller stießen vom Ufer, die Fähre zwischen den geteerten Tauen lenkend. Die vier Räder, woran die schweren Taue liefen, schnurrten; der Wind klappte und rasselte damit. Röse und Marie saßen aneinander gedrängt. Wie dünkte ihnen ihre alte gute Fähre heute sonderbar und bedrohlich, einem Riesenungetüm ähnelnd, dem man nicht trauen durfte. Wie sie über das klatschende Wasser schlich, wie sie schwankte, ruckte und zuckte! Der Sturm erschwerte die Ueberfahrt außerordentlich.

      »Wie schaurig die Ilm sein kann!« wisperte Röse wieder, – »so schwarz!«

      Budang rief: »Na, ihr fürchtet euch wohl?«

      Keine Antwort.

      Die jungen Burschen lachten nur kurz auf, denn sie waren gerade dabei, die Fähre am andern Ufer anzulegen, und mußten aufpassen.

      Beim Aussteigen waren die Ratsmädchen noch immer schwer und bang gestimmt. Alle miteinander schritten in einer Reihe den aufwärts führenden Weg hinan. Den breit ausladenden Westwind hatten sie jetzt in der Seite. Man konnte sich ordentlich dagegen stemmen. Der Mond war einmal wieder hinter den Wolken verschwunden, die Dunkelheit pechschwarz.

      Röse fragte Budang zaghaft bittend: »Einhäkeln?«

      »Ja, aber so schwer mußt du dich nicht wieder machen!«

      »Budang,« kam es schüchtern von Röses Lippen, »in der Osternacht da stehen die Toten aus ihren Gräbern auf.«

      Marie, die sich an Röse hielt, fuhr zusammen.

      »Nu ja,« meinte Budang kaltblütig, »deshalb gerade, denke ich, gehen wir doch!«

      Tiefe Stille.

      Marie ergänzte Röses Wissen: »Und die Tiere sprechen miteinander und die Sonne tanzt, wenn sie aufgeht!« Es durchrieselte sie selbst bei ihren Worten.

      »Ach Budang,« begann Röse wieder, »es gibt so fürchterliche Dinge! Am Tage denkt man nicht daran, aber nachts, da sieht alles so wie in einer alten schrecklichen Geschichte aus. Weißt du von dem Fährmann, der die Toten über ein großes schwarzes Wasser setzte; – so wie wir vorhin, fuhren sie von allem fort, was sie kennen und was sie lieb haben. – So hat es gewiß gerauscht, – und so kalt wird's gewesen sein, und die Taue haben so geklappt, und die Räder geschnurrt; und alles pechschwarz, Sturm, nie wieder Sonnenschein! – Und da haben sie auch so auf der Bank gesessen und sich gefürchtet, – und sind auf Nimmerwiedersehen fortgefahren! – Budang, wie mir die Göchhausen leid thut! – Glaubst du denn wirklich, daß sie kommt? – Und wie ist's denn nur, daß sie gerade kommt, und die andern nicht? – Ach, Budang, wer so was wissen könnte! Ob sie wohl recht unglücklich ist?«

      Marie bemerkte zu Ernst Schiller: »Und daß sie wie aus einer Flasche spricht, – so fiept, – das ist gräßlich!«

      Sie gingen jetzt durch die breite Allee von Kastanien, alle Hand in Hand.

      Der Wind schlug die Zweige mit den dicken, glänzenden Blätterknospen aneinander; es klappte und sauste, und über die kahlen Felder kam es unheimlich angebraust.

      Röse wisperte: »Kahle Bäume sind die Gerippe, und die Blätter werden erst das Fleisch daran.« Dabei hielt sie sich an Budang fest vor Grauen. Und Marie flüsterte bebend: »Pfui Röse!«

      »Jetzt haben wir's,« sagte Budang, »jetzt fürchten die sich!«

      Aber sonderbar, sie gingen alle etwas aneinander gedrängt; ganz geheuer war es keinem von der Gesellschaft zu Mute.

      »Ich weiß noch gar nicht, wie das werden wird, wenn sie wirklich kommen sollte! Was machen wir denn da mit Röse und Marie –?« meinte Ernst Schiller.

      Röse ließ ihn nicht aussprechen: »Da sei du nur ohne Sorge, wenn es darauf ankommt, fürchte ich mich gar nicht! – Ich rede sie an!«

      »Oho,« rief Budang, »ihr wißt, daß ihr nicht prahlen sollt!«

      »Budang,« zürnte Röse, »das geht jetzt nicht mehr, so darfst du uns nicht behandeln! – Weißt du, wir sind so gut wie verlobte Mädchen!«

      »Jawohl,« antwortete Budang halb ironisch, halb ärgerlich, »laß die dummen Witze!«

      Röse fuhr empört auf. »Nein, jetzt glaubt er's nicht! – Haben wir je gelogen?«

      Die ganze Karawane stockte mit einem Ruck. Sie standen alle zusammengedrängt wie in einem Nest, und der Wind schnob um sie her und trieb sie noch näher zu einander.

      »Beide?«


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