Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. Böhlau Helene

Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten - Böhlau Helene


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ihm den Fuchs verscheuchten, die Schnauze zugehalten hatte, wedelnd an Marie in die Höhe.

      »Ja, der Thon!« antwortete der Geheimnisvolle bewegt, erschüttert, doch auch unwillig aus dem großen, dunklen Mantel heraus. – »Was fällt euch denn ein?«

      »Ich hab's ihm schon erzählt,« sagte Röse betreten, »daß wir ausgerissen sind.«

      »Ja aber,« meinte Budang in seiner offenen Weise, »sie sind ja mit uns; – und wenn wir dabei sind, dürfen sie alles! – Frau Rat hat es ihnen ein für allemal erlaubt.«

      Der junge Adjutant mußte über die Ehrenwache, die die beiden Mädchen hatten, lächeln.

      In den wenigen Worten Budangs lag jedoch so eine überzeugende Vortrefflichkeit, – so eine unantastbare Treuherzigkeit, – daß jedes weitere Wort, jeder Unwille und jedes Mißtrauen abgeschnitten war. Der Adjutant schüttelte Budang die Hand und begrüßte die beiden andern, währenddem er seine junge Braut nicht aus dem Arme ließ.

      »Also die Göchhausen wolltest du sehen? – Für so etwas hattest du also doch noch Raum?«

      »Und Sie,« flüsterte Röse bedrängt und zaghaft – »lagen da doch des Fuchses wegen?«

      »Ja, mein Herz, – weil ich's daheim nicht aushalten konnte. – Was denkst du denn? Da ist die Welt zu enge!«

      »Ja,« sagte Röse leise, »deshalb war ich eben auch hier.«

      Und nun gingen sie alle miteinander und brachten die leichtsinnigen Dinger, die Ratsmädchen, heim in die Wünschengasse.

      Unterwegs erzählte Röse ihrem Bräutigam von ihren Kameraden, – wie gut sie immer wären, wie lustig, wie treu, und was sie alles von ihnen gelernt hätte, besonders von Budang.

      Sie schüttete ihrem Bräutigam ihr ganzes Herz aus, das voller Liebe und Freundschaft war, voller Anhänglichkeit, – und erzählte alle möglichen dummen und lustigen Streiche.

      Er mußte in aller Eile alles wissen. Und sie bat ihn, auch ihre Kameraden lieb zu haben. »Sie sind so gut, so klug! Solche gibt's nicht wieder!« rief sie.

      Und er hörte ihr glücklich lächelnd zu.

      Das war Frühlingsreinheit, – Frühlingszartheit, – Frühlingswonne!

      Der Wind hatte sich gelegt, und der Mond schien hell.

      Viele, viele Jahre sind vergangen. – Die Jugend vieler Millionen Menschen ist verweht. – Es ist alles anders geworden.

      Röse ist nun eine alte Frau. – Was das Leben ihr gab, hat es ihr längst wieder genommen. Sie hat alle Freuden genossen und alle Freuden mit Leiden gezahlt – nach Menschenart. Sie ist unendlich geduldig geworden. Sie kennt alles und weiß alles. Sie hat alles sich wiederholen sehen, immer von neuem. – Sie ist gut, still und heiter und lebt in sich selbst. Hier, nur in sich selbst, findet sie die schöne, alte Welt, die ihr so lieb ist, so heimisch, – sonst nirgends!

      Fremde Gesichter sind um sie, und man spricht von fremden Dingen, die sie nichts angehen.

      Ein Sehnen wie nach einer verlorenen Heimat ergreift sie oft, – aber da ist nichts zu machen. Alles ist unerbittlich, was geschieht.

      Geduldig werden, – geduldig werden, – geduldig werden! darauf läuft's hinaus.

      Jetzt ist sie schwer krank. Von lieben Menschen wird sie gepflegt. Ihre Enkelin sitzt bei ihr am Bette.

      Draußen Frühlingsdämmerung und wieder einmal weicher Sturm, der breit durch die Straßen fährt.

      Die alte Frau träumt und spinnt an ihren Gedanken.

      Da, – was ist das?

      Der Sturm trägt wie auf Flügeln einen rhythmisch munteren Pfiff zu ihrem Fenster herauf; ganz wie damals in der Wünschengasse, als sie beim Fasanenessen saßen.

      »Das ist er, wie vor sechzig Jahren!« sagt sie leise bewegt zu ihrer Enkelin, – »das ist Budang!« Und wie ein milder Glanz geht es über das Gesicht der Greisin. – »Das ist er!« nickte sie träumerisch.

      »Siehst du, so pfiff er immer, der Budang, wenn er uns abholen wollte; so pfiff er, wenn er wissen wollte, ob der Vater nicht mehr daheim sei, und ob er mit den beiden andern heraufkommen dürfe!«

      Da thut sich die Thür auf. Ein schöner, kleiner, alter Mann tritt ein, in tadellosem Anzuge, blütenweiß und rabenschwarz; so tadellos, daß es sofort wie etwas Besonderes auffällt. Er hat einen gescheiten Kopf mit lebendigen, geistvollen Augen, – und seine silberweißen, dichten Locken liegen ihm wie eine helle Wolke über der Stirn. – Er hat eine Art geistvoller Grazie in Blick und Bewegung.

      »Wie geht's der Röse?« fragt er.

      Röse streckt ihm die feine Hand entgegen.

      »Goullon,« sagt sie bewegt mit hellen Thränen im Auge, »du kannst ja noch deinen Pfiff!«

      »Gelt,« antwortet der Geheimrat, den sie sonst den »Budang« nannten, »das freut dich?«

      Dann saßen die beiden Alten zusammen und plauderten und machten miteinander einen weiten, – weiten Ausflug in die gute alte Zeit.

      Und das war die beste Medizin.

      Es war das vierte Mal heute, daß er herauf zu seiner alten Freundin in Sorgen und Bangen kam; – aber zuletzt, da hatte er's gefunden, was ihr wohl that.

      »Gott segne dich,« sagte Röse, »du lieber Mensch, – du treuer Mensch!«

      Ja, treu waren sie ihr Lebtag einander gewesen, – treu in großer, wahrer, seltener, starker Freundschaft.

      Das dritte Ratsmädel

      Die Ratsmädel hatten noch eine Schwester; eine Schwester, die sie wunderbarerweise gar nicht kannten. Sie hatten schon als Kinder oft in der Dämmerung sich von ihr unterhalten, wenn der Schnee fiel, und sie daheim still in der Familienstube stecken mußten. – So eine unbekannte Schwester zu haben, draußen in der weiten, unbekannten Welt, war doch etwas höchst Merkwürdiges!

      Sie hatten von jeher sehr gern von dieser Schwester gesprochen; es war ihnen dabei zu Mute gewesen, als erzählten sie sich Märchen.

      Ja, und draußen mußte der Wind gehen und Schnee fallen! – Sie mußten in der Dämmerung sitzen, und niemand durfte sie beachten; dann kam die Schwester dran, und sie unterhielten sich darüber, wie diese wohl aussehen könne.

      Sie war um fünf Jahre älter als Röse und war die Tochter aus des Vaters erster Ehe, und nach ihrer Mutter Tode von ihrer Großmutter mit nach München genommen worden. Als darauf Herr Rat zum zweitenmal heiratete, hatte die Großmutter ihre Enkelin ganz bei sich behalten.

      Dann vergingen viele Jahre, und als die Schwester Barbara schreiben gelernt hatte, schrieb sie pflichtschuldigst aus dem fernen München alle Weihnachten an den Herrn Vater und die Frau Mutter nach Weimar.

      Diesen Brief lasen die Ratsmädchen jedesmal mit wunderlichem Schauer.

      Einmal schrieb auch die Großmutter.

»Hochverehrend liebenswertester Herr Sohn!

      Ihr liebs Schreiben hat mich sehr glücklich gemacht, woraus ich sah, daß es Ihn und der Frau und den guten Kindern wohl und gut geht. Auch bei uns fehlt nix. Man wird ein alts Möbel, das heißt, um von mir zu reden. – Waberl wird groß. Sie tritt die Kindsschuh aus. – Kurios, was für ein ruhiges Mädel sie immer war. Grad als wenn meine geliebte Tochter in Gott sie für ihre alte Mutter in Voraussicht so geboren hätte.

      Herr Sohn, ich hab' gar keine Not mit ihr g'habt, das müßt' ich lügen.

      Hinter der großen Frauenkirche, da haben wir seit Jahresfrist jetzt unser Quartier.

      So eine große Kirche habt ihr sicher nit in eurer Stadt.

      Wabi sagt: ›Wie eine große, dunkle Wolke steht sie auf dem kleinen Platz und verfinstert die Häuser.‹

      Sie wirft ihren Schatten auch über unser Haus. Aber es ißt doch gut wohnen. – Fünf Fenster in Front, drei Fenster die große Stub und zwei Fenster die Schlafstub, dazu Alkoven, ein kleines, schwarzes Küchl, Holzleg


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