Der Widerspenstigen Zähmung. Ettlinger Karl

Der Widerspenstigen Zähmung - Ettlinger Karl


Скачать книгу
errötete, aber innerlich hatte sie sich vorgenommen: »Wenn ich ihm erst die kleine Zehe reiche, muß er das ganze Bein nehmen!«

      »Des ganze menschliche Lewe is e Gemeinheit!« philosophierte Vater Bindegerst, der ins Denken zu kommen schien, denn er redete viel Unsinn. Und er fing an zu politisieren und auseinanderzusetzen, wie ungerecht es auf der Welt im allgemeinen, und in Offenbach im besonderen zuginge. Es war eine lange Rede, die er hielt, es ging ihm weder der Atem noch das Lagerbier aus, und er schloß mit der überzeugenden Wendung: »Unnn woher kimmt des alls? – Weil des ganze Lewe e Gemeinheit is!«

      »Entschuldige Se, Fräulein Katherina!« sagte Adolf und zog sein Knie zurück, denn Katharina war mit ihrem Knie an das seine gekommen. Nachdem die Patrouille Fußspitze zum Truppenteil zurückgekehrt war, hatte Katharina nämlich beschlossen, eine stärkere Patrouille auszuschicken. Auch diese Patrouille wurde zurückgezogen, und die ganze Kompagnie begann nun zu manövrieren, indem sie mit ihrem Stuhl zu rutschen anfing.

      Vater Bindegerst trug die Hauptkosten der Unterhaltung. Diese Kosten trägt man ja gerne, denn sie sind billig. Es fiel ihm durchaus nicht auf, daß sein Gast nur hie und da eine kurze verlegene Zwischenbemerkung machte, denn der Drechslermeister gab sich die meisten Antworten selbst und fand daher diese Antworten sehr treffend.

      Sein Zimmerherr ward ihm von Viertelstunde zu Viertelstunde sympathischer, er beschloß, ihn öfters einzuladen. Gibt es doch für geschwätzige Menschen nichts Angenehmeres als ein Zwiegespräch, bei dem nur einer redet.

      Er erzählte nun von seinem Geschäft und lobte dabei, wie landesüblich, die gute, alte Zeit.

      »Ja, frieher«, sagte er, »frieher, da war des Geschäftslewe noch reell! Hier die Waar, hier's Geld! Awwer heut! Heut sollstde Kredit gewwe, bis De schwarz werst, heut nemme Derr die Leut de halwe Lade mit unn sage: Schicke Se merr die Rechnung! Unn wannsde se mahnst, sin se net dahaam! Merkwerdig: wannsde ihne die Waar' schickst, da sin se all dahaam, awwer wannsde Dei Geld hawwe willst, dann mache se grad en Besuch odder se sin in die Sommerfrisch odder se hawwe'n Trauerfall unn die ganz Familie erbt ebbes, – bloß Du kriehst nix!«

      »Entschuldige Se, Fräulein Katherina!« sagte Adolf, denn sie lehnte ihren Arm an den seinen.

      Sie saß jetzt ganz dicht neben ihm, und ihm war, als säße er mitten in einem Gewächshaus. Es war recht schwül in dem Gewächshaus, die Luft fing an, ihn leise zu benebeln.

      Er zog seinen Arm nicht zurück; es tat ihm wohl, sich von den Zweigen dieses Gewächshauses fast unmerklich streicheln zu lassen.

      Das war so sanft und weich, daß er gar nicht merkte, daß hier Disteln statt Rosen wuchsen.

      Er hob jetzt seine Augen und besah sich die Botanik näher, und das Pflanzenreich gefiel ihm nicht so übel. Machte doch die falsche Katharina ihre schönsten Vergißmeinnichtaugen und zog ihr süßestes Lilienmäulchen, so daß man wirklich nicht mehr sehen konnte, #was# für eine Pflanze sie in Wirklichkeit war. Er fühlte sich im Palmengarten und merkte nicht, daß er im Zoologischen war.

      »Kättche, hol de Quetschekuche von heut Middag!« befahl der Vater. »Der

      Herr Borges werd Abbeditt hawwe!«

      Ach nein, der Herr Borges hatte jetzt gar keinen Appetit. Der Magen erschien ihm jetzt als der prosaischste Körperteil, den Gott geschaffen hat. Er hatte ein ganz unbestimmbares Gefühl, so ein Mittelding zwischen Lachen und Weinen, Wonne und Schmerz, und wenn ihn jetzt ein Kassenarzt gefragt hätte: »Herr Borges, wo tut's Ihnen weh?« – er hätte es beim besten Willen nicht sagen können.

      Er empfand nur, als Katharina hinausgegangen war, um den

      Zwetschenkuchenrest zu holen, plötzlich eine tiefe Leere neben sich, und es kam ihm so vor, als sei die Temperatur im Zimmer plötzlich um zehn

      Grad gesunken.

      So ungefähr war ihm zu Mute wie damals, als er den Kopf in den Ameisenhaufen gelegt hatte. Die Ameisen kribbelten und bissen, aber als Katharina wieder ins Zimmer trat, da verwandelten sich die Ameisen in lauter kleine, goldige Leuchtkäferchen und huschten im Zimmer umher und schwirrten ihm um die Nase, und es ward so hell, daß er fast ausgerufen hätte: »Gott, was e Pracht! Die Sonn is uffgange!«

      »E guter Quetschekuche is des, Herr Borges!« versicherte der Gastgeber. »Da könne Se weit laafe, bis Se so aan finne! Des Rezept schdammt noch von maaner selig Fraa! Unn von der hat's Kättche die Kochkunst geerbt. Koche kann des Mädche wie e junger Gott! Die macht Ihne aus Dreck de scheenste Pudding! No, fresse Se, – unn Se wern merr Recht gewwe!«

      Ein gewöhnlicher Sterblicher hätte bei diesen Worten beide Ohren gespitzt. Denn die Liebe des Mannes geht durch den Magen, und ich bin überzeugt, Zeus wäre der solideste Ehemann gewesen, hätte ihm Hera nicht immer Nektar und Ambrosia vorgesetzt.

      Aber Adolf Borges war kein gewöhnlicher Sterblicher. Dieser kleine

      Konfektionsgeschäftsauslaufer war ein Gefühlsmensch, und diese

      Menschengattung ist unter den Sterblichen in der verschwindenden

      Minderheit. Wenn sie einen hohlen Zahn haben, ja, dann sind sie alle

      Gefühlsmenschen, aber viel weiter reicht ihr Gefühl nicht.

      Der Kauf des Parfüms lohnte sich für Katharina. Der Schwerenöter Hippenstiel hatte sie nicht betrogen. Adolf atmete den süßen Duft mit unbewußtem Wohlbehagen und hätte es unter keinen Umständen geglaubt, daß er selbst für zwei Mark fünfzig hätte ganz genau so gut riechen können.

      Ach, die Liebe verleiht dem Menschen Schwingen, die ihn emportragen über alles Alltagsungemach, die Erde entschwindet dem Blick, der König vergißt seinen Palast, der Bettler seine Hütte, der Feinschmecker seinen Quetschekuche; im reinen Äther schwimmt er und atmet die wonnigen Düfte, die es bei keinem Hippenstiel zu kaufen gibt.

      Schon fühlte Adolf die Flügel auf seinem Rücken knospen. Er spürte das

      Bedürfnis, sich den Buckel zu kratzen, aber »des schickt sich doch net!«

      »Fresse Se, Herr Borges!« ermunterte Meister Bindegerst.

      Und auch Katharina lud ein: »Fresse Se, Herr Borges, – odder derf ich

      #Herr Adolf# zu Ihne sage?«

      Und um jede Antwort abzuschneiden, schob sie ihm ein großes Stück Kuchen in den Mund. Und hätten statt der süßen blauen Zwetschen dicke Rhizinuspillen auf dem Hefenteig gelegen, Adolf hätte dennoch die Gabe mit allen Zeichen des Entzückens geschluckt.

      In dieser Nacht schlief der arme Adolf sehr unruhig.

      Er träumte von einem Gewächshaus, darin dufteten die herrlichsten Blüten und zwitscherten die wunderlichsten Vögel. Adler sangen wie Nachtigallen, und auf einem Rosenzweig schaukelte sich eine Gans und flötete kwiwitt, kwiwitt. Und mitten in dem Gewächshaus wuchs ein großer Baum, das war der Quetschekuchebaum, und wie im Aschenbrödel ließ dieser Baum mit sich reden, und Herr Bindegerst stand davor und sang:

      »Bäumche, rüttel Dich unn schüttel Dich,

      Werf Quetschekuche iwwer mich!«

      Und es erschien ihm der Trompeter aus Stolzenfels am Rhein, mit einer Pfauenfeder am Hut und frischgeputzten Stulpenstiefeln, und blies auf seinem Horn ein herzerweichendes Solo, bis sich das Burgfenster öffnete und Katharina heraussah und mit einem Putzlumpen winkte und fragte: »Herr Trompeter, derf ich zu Ihne #Herr Adolf# sage?«

      Da blies der Trompeter ein so begeistertes Fortissimo, daß Adolf erschrocken aus dem Bett hochfuhr. Er hörte noch im Wachwerden das schmelzende Lied, – nur war es kein Trompetensolo, sondern es waren die verfluchten »Katzeviecher«, die gerade wieder einmal Sinfoniekonzert hatten.

      Der Mann im Mond aber schüttelte den Kopf und meinte: »Schon wieder einer! Immer das Gleiche! Hoffentlich kommt mir keine Mondfinsternis dazwischen, damit ich sehn kann, wie die Geschichte ausgeht!«

      Und nun begann für Adolf jener Lebensabschnitt, den Schiller als der ersten Liebe goldene Zeit bezeichnet, wobei er freilich schwerlich an einen Zweiundvierzigjährigen Offenbacher Ausläufer gedacht haben wird. Adolfs


Скачать книгу