Claus Störtebecker. Georg Engel

Claus Störtebecker - Georg Engel


Скачать книгу
Fäuste wollten sich ballen, doch sofort gewann sein frisches Wesen wieder die Oberhand. Ja, er konnte seinen Gast jetzt sogar freimütig anlächeln. »Wenn es aber wirklich deine Absicht ist, bei uns eine Weile als Fischerknecht zu bleiben, weil du dich, wie du sagst, vor den Nachstellungen der Reichen und Mächtigen verkriechen mußt – wenn das alles wahr ist, dann will ich meinen Vater wohl dahin bringen. Denn, kuck, Fremder, du gefällst mir, und da wir selbst bedrückte und gepeinigte Leute sind, so kennen wir Hunger und Peitsche zu gut, als daß wir Verfolgten und Bettlern nicht gern weiterhelfen sollten. Nur eines« – und er wandte sich mit der ganzen Offenheit eines um Freundschaft Werbenden an den kleinen strohblonden Mann und streckte ihm die Hand entgegen, »sage mir, du meinst es doch redlich?«

      Über den Nebeln war rot und blendend ein schmaler Abschnitt der Frühsonne in die Höhe gebrochen. Davon ränderten sich die schwarzen Wolken, und ein sengender Strahl spielte in das Boot hinein. Doch den Strohblonden schien die unerwartete Helligkeit zu stören, ungewiß scheuerte er sich hin und her, und während er sich ungemütlich in seine Lumpen hüllte, da warf er erst noch einen spähenden Blick auf die menschenleere Küste, bevor er endlich mit raschem Griff die dargebotene Rechte des Knaben an sich riß. Aber die zarten Finger preßten, daß Claus hätte schreien mögen.

      »Komm Kleiner,« sprach es wieder mit einer kosenden Mädchenstimme, »du verstehst dein Handwerk, bist ein Menschenfischer, wie ihn der Götze von Rom nicht besser brauchen könnte. Und willst du ein Zeichen dafür, wie sehr du meine arme Seele geangelt hast – hier – hier – « Ohne Besinnen sprengte er die goldene Kette vom Halse und drückte sie gemeinsam mit dem Hieber seinem Führer in den Arm. »Gib mir ein Stück Brot dafür, süßer Telemach. Aber schnell, schnell, denn mich lüstet nach einer Streu im Winkel des Stalles.«

      Wohlwollend, fast zärtlich streichelte er dem verdutzten Jungen die Wange, dann duckte sich der Kleine und fuhr wie ein Wind an den Strand der Sassen.

      IV

      Es war eine lange Beratung erforderlich, bevor die Beckeras den Fremden zu dauerndem Dienst in ihrer Behausung duldeten. Zu verschiedenen Malen zogen sie, laut streitend, vor den Ziegenstall, wo der Ankömmling sich wie ein Igel in einer Ecke zusammengerollt hatte. Denn ein Landstreicher, der goldene Ketten verschenken konnte, erregte der Hausmutter unstillbaren Argwohn. Und dennoch schwieg sie und blickte mit mütterlicher Teilnahme auf die zierliche Puppe hinab, die, das Haupt mit den wirren blonden Haaren auf den Arm gebettet, einem arglosen Schlummer verfallen war. Zwar ihren Haupteinwand ließ sich die Kluge nicht rauben. Das Schmuckstück, das der Kleine sicherlich nicht auf ehrliche Weise erworben, das stopfte sie ihm gleich bei ihrem ersten gemeinschaftlichen Besuch hastig und abgeneigt unter das Heulager, und ihre Züge verfinsterten sich, als sie dabei bemerken mußte, wie sehnsüchtig ihr Sohn das Verschwinden der Schnur verfolgte.

      »Teufelsgold,« sagte sie hart. »Fängt Seelen. Ich kenn' das.«

      Kräftig stützte sie sich auf die offene Stalltür, und ihr Argwohn flog zu ihrem Eheherrn hinüber, ob der wohl das rasche Wort verstanden haben könnte. Allein der kranke Riese hatte sich längst entwöhnt, seinem Weibe nachzuspähen. Auch beschäftigten ihn seine eigenen Vermutungen viel zu gründlich, woher sich der Fremde wohl die blutige Narbe über der Stirn geholt haben könnte. Zu jener Zeit redeten solche Schrammen mit der Stimme unserer Zeitungen, anregend, jede ungeübte Vorstellung beflügelnd, und so kam es, daß auch dem großen, schlank gewachsenen Jungen die heimliche Parteinahme für den Fremdling beide Wangen färbte. Das Herumtasten, das Rätseln an einem bereits beneideten Leben, das trieb seine Einbildungskraft über Stock und Stein, durch Heldentum und undeutliches Verbrechen.

      Es war eine Stunde des Erwachens.

      Tief seufzte er auf, als seine dunklen Augen sich, durch ein Wort seiner Mutter aufgescheucht, von dem Hingestreckten trennen mußten.

      »Mann,« forderte Hilda von ihrem Eheherrn, »was denkst du?«

      Da besah sich der alte Claus Beckera nochmals eingehend den Hieber, den er fürsorglich an sich genommen, wog das feine, biegsame Eisen und darüber den merkwürdig verästelten Korb am Griff – ein Stück, wie es im Norden, allwo breite gerade Schwerter geschmiedet wurden, nirgends im Gebrauch war, und dann schüttelte der Kranke von neuem nachdenklich das Haupt.

      »Mutting,« flüsterte er mit offenem Munde, da sich seinem dumpfen Verstande die Herkunft und das Wesen des winzigen Kerlchens immer dunkler verschleierte, »Mutting,« meinte er und hob unsicher die Waffe, »er muß wohl von weit herkommen. Und daß ihn der Junge in der Spalte zwischen den Felsen gefunden – meiner Treu, ich wußt' gar nicht, daß sich dahinter solch eine weite Höhle auftut – ja, da möcht man wohl denken, daß der Mensch Grund hat, sich zu verstecken. Schnurrig – ist noch so jung,« setzte er wärmer hinzu.

      »Nicht älter als ich,« fiel hier der Sohn lebhaft ein, der schon dafür zu kämpfen bereit war, an dem Schläfer einen Genossen gefunden zu haben.

      Doch das Weib bog sich weit über die Stalltür, um dem Umstrittenen noch einmal gründlich das schmale Antlitz zu durchmustern. Dabei fielen der Kundigen die vielen scharfen Fältchen um den Mund des Fremden auf, und daneben entdeckte sie, wie genußsüchtig und verächtlich sich sogar im Schlummer die Lippen und Nüstern dieses angeblichen Knäbchens wölbten.

      »Nein,« die Hausfrau richtete sich auf und entschied bestimmt, »der hat schon viel durchgemacht. Mag sich in Kot und auf Seide gewälzt haben. Und zählt wohl so beiläufig gegen dreiunddreißig Jahr.«

      »Das wäre,« murmelte der alte Claus verdutzt und glättete sich verlegen den Bart. Aber gleich darauf sammelte er seinen Glauben zu der Meinung, die schon lange in dem Stillen nistete: »Kuck, Hilda, es sind wilde Zeiten, die werfen den Menschen hin und her. Ich merk's an mir, es ist eine Unruhe über die Armen gekommen, so daß keiner mehr weiß, wo er seinen Platz hat. Deshalb, Mutting, mein' ich, wer ein Haus hat und Weib und Kind, der soll solch Friedlosen nicht wegjagen, sondern festhalten, so er anwachsen will. Denn der Wind treibt uns alle. Heute mich, morgen dich. Wer kann wissen, wann wir selbst ausgerissen werden?«

      Da schwiegen die Streitenden und spähten ängstlich über sich in den hellen Tag.

      Als aber gegen Mittag das zierliche Knäbchen fein und sittsam am Tische der Sassen in der Hütte saß, als es die wohlgeformten Beine hübsch rücksichtsvoll unter den Schemel zog, damit der ohnehin schmale Raum nicht unnötig verengt würde, als der blonde Gast nicht, wie die anderen, mit der Faust in die dampfende Schüssel voll Brot- und Käsesuppe langte, um seinen Anteil zu erwischen, sondern aus seinen Lumpen ein zinkiges Holzstäbchen hervorzog, womit er die Bissen säuberlich aufspießte, und wie der Fremdling vor allen Dingen mit seiner wohllautenden kosenden Stimme bescheidentlich und höchst verständlich – ja ganz in der Sprache des bäuerlichen Mannes – die alten Beckeras über Herkunft, Stand und fernere Absichten belehrte, da zerstreuten sich allmählich die Bedenken der mißtrauischen Häusler, und ihr harmloser Sinn merkte gar nicht, auf welch feine und schmeichelnde Art ihr Widerstreben in seidene Fäden eingesponnen wurde. Wie wußte das kleine Kerlchen aber auch zu erzählen, wie rollten unter seinen Worten dichte Wolkenschleier in die Höhe, hinter denen die Küsten ferner Länder auftauchten, und Schlösser und Städte und Händel und Getriebe der Welt. Wo hatte er sich überall umgetan, in welch verschiedene Geschäfte und Gewerbe seine sanften Kinderhände gesteckt; und hauptsächlich, wie lebendig er Geschehenes und Gesehenes zu formen wußte, um es gegenwärtig auf die Diele der Sassenkammer hinzuzaubern, bald durch eine Bewegung, bald durch nachahmendes Spiel, das zog ihm seine Zuhörer willfährig entgegen. Und mit einem kaum sichtbaren Lächeln trieb er die gewonnenen Seelen vor sich her. Nur der junge Claus Beckera, der mit verkrampften Händen und keuchender Brust lauschend neben dem Stuhl des Fremden hing, als ob ihm der geistige Lauf noch immer nicht schnell genug ginge, ihm zitterten mitten durch seine leidenschaftliche Bewunderung hie und da die Einwürfe einer kühlen Vernunft hindurch, und dann kam ihm zwischen all dem bunten Maskenspiel der Einwand, warum wohl der Ankömmling zwei voneinander so gründlich verschiedene Sprachen redete. Denn das merkte der achtsame Scharfsinn des Jungen sofort, die Weise des Zierlichen klang anders, seitdem er sich an die Alten wendete. Einfach, schlicht, bauernmäßig, all der vornehme und unverständliche Putz fehlte, durch den er vorhin seinen Fährmann im Kahn so sehr gefesselt und geblendet hatte. Und der junge Claus erriet mit Widerstreben,


Скачать книгу