Claus Störtebecker. Georg Engel

Claus Störtebecker - Georg Engel


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Heino Wichmann, versehen von den drei Universitäten Padua, Wien und Paris mit einem versiegelten Lehrbrief, und hosianna, ich verkaufe ihn dir für ein Paar wollene Strümpfe, denn durch die meinen lugen kläglich die Zehen.«

      Da riß Claus entgeistert die Kappe herunter und verneigte sich so tief vor dem Männlein in Lumpen, wie er es bis jetzt nur vor dem Abt des Klosters über sich gewonnen. Wirre Vorstellungen und ein tanzender Himmel waren über ihm. Ein Gelahrter, ein Hochgelahrter hauste unter dem Stroh und den Schindeln der Sassen. Alle Barmherzigkeit, er führte das Ruder und fing Fische und ließ sich von den unwissenden Alten ausschimpfen. Und dabei war das kleine strohblonde Kerlchen einer von den Auserwählten, die zwar hungerten und froren und von Handwerkern und Bütteln herumgestoßen werden durften, die aber doch in die sieben Tagewerke so tief hineingeguckt hatten, daß ihr belebendes Wort ferne Gräber öffnete und nahe Kaiser erblassen ließ.

      Betäubt, hingerissen vor Dankbarkeit und Ehrfurcht wollte der Junge auf das winzige Menschenkind zustürzen, aber wie nun sein schlanker Leib den anderen so gewaltig überragte, da meldete sich plötzlich etwas von der Überlegenheit des körperlich Stärkeren, und statt der glühenden Zärtlichkeit, die er noch eben auszuteilen gedachte, fing Claus vielmehr mißtrauisch an, nach den Lebensumständen des Kleinen zu forschen. Warum ein Magister keinen Sitz unter seinen Genossen habe, was ihn fortgetrieben und aus welchem Grund er sich nun schon so lange bei armen einsamen Leuten verdingt? Das mußte er ergründen, daran klammerte er sich fest.

      Beineschlenkernd hockte Heino Wichmann zusammengekrümmt auf dem gefällten Eichenstamm, grinste seinem aufgeregten Zögling spöttisch und erkennend ins Gesicht und wickelte sich gelassen die gelben Haare um den Finger. Endlich hauchte er gefällig und doch kalt, wie immer:

      »Streng dich nicht an, Büblein. Der Mensch ist ein Trank, von dem man höchstens fünf bis sechs Tropfen genießen soll. Mehr ist schädlich. Aber weil du mir die Narbe über meiner Stirn so aufmerksam belauerst, so magst du erfahren, wo mir diese rote Fahne zuerst aufgezogen wurde.« Er rückte zur Seite. »Komm, setze dich neben mich und dann lerne an mir das Exempel, daß es weichlich und dumm ist, wenn der Mensch nach etwas Sehnsucht zeigt, was der Fresser Chronos längst verschluckt hat.«

      Durch einen festen Griff fühlte sich Claus herabgezerrt, dann schlang er die Arme stürmisch um den lächelnden Kleinen und horchte, als ob es um sein Leben ginge.

      Wo er sich überall herumgetrieben, das entdeckte der Erzähler nicht, warum er die gelehrten Schulen verlassen, darüber glitt er hinweg. Nur bei einem Punkt blieb er ausmalend stehen. Mitten aus einem tollen, klirrenden Taumel mußte ihn plötzlich eine Begier, ein Heimweh, ein Unbegreifliches, nach den Bücherhockern ergriffen haben, nach rauchenden Öllämpchen, die in kalten Kammern über alten Schreibheften dämmerten, nach den raufenden, zechenden und lernenden Bacchanten, nach dem Disput streitender Dozenten und nach den dunklen Bogenhallen, wo aus löchrigen und verschlissenen Professorenpelzen die Weisheit für hungrige Hörer floß.

      »Eine Äfferei,« urteilte Heino Wichmann grimmig.

      Aus seinen vorsichtigen Andeutungen ging außerdem hervor, daß der ehemalige Magister sich erst einem widerstrebenden und hohnlachenden Kreise heimlich entziehen mußte, bevor er seinen drängenden Plan zur Tat reifen lassen konnte. Aus welcher Stadt er entwichen, aus wie gearteten Verhältnissen, das warf der Strohblonde mit einer abweisenden Handbewegung beiseite. Genug, eines Tages tauchte er unvermutet in Stralsund auf.

      »Und dort?« drängte Claus, immer enger an den Freund sich schließend.

      »Dort war eine Schule von Bacchantenschützen versammelt. In einer Bodenkammer über einer Sattlerei hockten sie beieinander, und um den Preis eines geordneten Vortrages stahlen und bettelten die Buben für ihren Magister zusammen, was sie unbemerkt die krummen Treppen hinaufschleppen konnten. So ging es eine Weile auch ohne den Verkauf der goldenen Kette, die der Kleine aus nicht näher zu erörternden Gründen dem Tageslicht keineswegs aussetzen mochte. Und schon faßte der Haufe den Entschluß, sich gemeinsam nach Halle durchzuschlagen, wo der berühmte Doktor Pelicanus die Grammatik lesen sollte, als – «

      »Ja, Bübchen,« lächelte Heino Wichmann gönnerhaft, wobei er die gespreizten Finger in das nicht mehr wärmende Sonnenlicht hielt, »aber dann, liebe Unschuld, dann kam der Winter. Hast du schon einmal gefroren, Cläuslein?«

      »Ich denke wohl,« versetzte der Knabe mit weit aufgerissenen, verständnislosen Augen.

      Der Kleine nickte wegwerfend.

      »Ja,« meinte er geringschätzig, »wie der Nordwind so einem von deiner Art ein wenig die spitzen Nägel über den Leib ritzt. Aber was es heißt, wenn die Zunge hinter den Zähnen vereist, oder sobald man halbtot in seinem Bodenwinkel kauert, wo das Denken allmählich in dem klappernden Gebein erstarrt, davon ward deiner Mutter Sohn nichts kund. Nicht wahr? Ich sage dir, da führt man allerlei verrückte Tänze auf, ja, man vergißt sich sogar so weit, zu beten, zu wimmern um einen einzigen Holzspan für den leeren Ofen. Kuck, so ging es mir. Mein Verschlag lag der roten Marienkirche gerade gegenüber, und durch die Lappen meines Fensters konnte ich den heiligen Johannes auf seinem Postament stehen sehen. Der fror weder in seinem weißen und blauen Überwurf, noch brauchte er von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen. Da schrie ich ihn an, er solle ein Wunder tun; aber als er vornehm gegen mich Lumpen blieb und sich nicht rührte, sieh, da packte mich die Wut, denn ich schämte mich für den herzlosen Holzheiligen und ich beschloß, den Apostel zu seiner Pflicht zu zwingen. In einer Nacht, wo es weiße Strümpfe durch die Straßen schneite, schlich ich hinüber – und dann eine Stunde später, oh, da hatte sich Sankt Johann schon meines Ofens erbarmt, und himmlische Glut umfing meine Glieder. Köstlich – köstlich, der Heilige hatte ein warmes Herz für mich Bresthaften.«

      »Du – du hast mit ihm eingeheizt?« stotterte Claus. Ein Schaudern wollte ihn überrieseln, und in verschämter Bewegung bekreuzigte er sich die Stirn. Und dabei packte den Mitgerissenen doch eine uneingestandene Lust an dem Niederbrechen alles Herkömmlichen, und jener heimliche Aufruhr, der stets von dem Strohblonden ausging, er zwang ihn immer widerstandsloser in die Gefolgschaft dieses aufreizenden Lehrers.

      Darum rechtete er auch nicht länger mit dem Wicht, sondern zeigte nur stumm und hartnäckig gegen die Narbe des anderen.

      »Ach so,« erinnerte sich Heino Wichmann bereitwillig, »du hast recht. Dies da oben zog den Schlußstrich unter meinen Rückfall in die Gelahrtheit. – Mein Hauswirt, der Sattler, roch den Brand, er war nicht einverstanden mit Sankt Johannis Einkehr bei mir, und so rückten nicht allein seine Gesellen und Nachbarn mit Knütteln und Hellebarden gegen mich aus, sondern auch die Stadtwache glaubte, einen seltenen Vogel an mir erwischt zu haben. Oh Zeus« – der Kleine wiegte auf seinem Eichenstamm träumerisch das feine Haupt – »es wurde ein wundervoller Handel zwischen den Sankt Johannis-Rittern und meinen Buben. Allein, was nützte uns die schönste lateinische Strategie? Pfui Teufel, zuletzt mußte ich zum Fenster hinausspringen, ekelhaft, zum Hinterfenster hinaus, in einen Kehrichthaufen. Behängt mit meiner güldenen Kette und bewehrt mit dem schlanken Ravenneser Hieber stak ich stundenlang im Unrat. Lerne daraus, wie aller Glanz und jede Würde der Erde in der Stunde der Not gern zu Gestank und Kot hinabsteigt. Wobei nicht jedem ein reinigend Bad darauf wird wie mir, der ich zu Nacht auf einem Balken rittlings den schmalen Sund durchschwamm. Was dann weiter geschah« – wollte der Kleine gleichmütig schließen und strich sich prüfend über seine durchlöcherten Schuhe, aber plötzlich bettete er in heftiger Spannung die Hand über die Augen, weil tief unter ihnen, am nahen Strand, etwas Weißes, Glitzerndes, Lebensvolles gegen Sonne und Meer aufleuchtete. – »Was weiter geschah,« fuhr der Kleine hastig und bebend fort, »das weißt du, und sieh, zum Dank zeige ich dir jetzt die einzig vernünftige Gabe deines Gottes, die edelste und doch nie sättigende Speise, die nicht lediglich für den Gaumen der Reichen ausgespart blieb – kurz, ich zeige deinen blöden Augen die schäumige, die hüftenprangende Aphrodite.«

      Er warf die zitternde Hand weit vor, und um seinen glatten Mund spielte der unbeherrschteste Zug von Wollust und schonungsloser Sinnengier. Katzenhaft, leise kichernd, glitt er bis an den freien Rand des Hanges. Allein ein rascher Griff des Knaben warf ihn unsanft zurück. Totenblaß, taumelnd, im Innersten seiner bereits zerrütteten Seele aufgewühlt, schwankte der große Bursche vor dem Erstaunten auf und ab. Was er von sich abwehren wollte, das wußte der


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