Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika. Friedrich Kapp

Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika - Friedrich  Kapp


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Fall sein. Macht die größte Noth diesen Fall unvermeidlich, so ist dies schon traurig und für den Offizier sowohl wie den armen Koporal ohne Grenzen risquant. Wenn es platterdings unmöglich ist, daß der Offizier die Rekruten, bis der Transport stärker wird, bei sich behalten kann und deren Absendung durchaus nothwendig ist, so muß der Offizier in diesem Falle Jemand dingen, der dem Unteroffizier transportiren hilft. Es ist besser auf Vorsichtsmaßregeln einige Ausgaben zu verwenden, als die Rekruten einzubüßen, und das Leben des Unteroffiziers unvermeidlicher Gefahr auszusetzen. So wie dem Offizier, um so mehr noch dem Unteroffizier ist ein tüchtiger Hund äußerst nützlich. Nur muß derselbe gehörig abgerichtet sein, keinen Stock in der Hand eines Rekruten leiden, sowie sich derselbe in der Nacht rührt, oder aufsteht, anschlagen und seinen Herrn wecken, auf dem Marsche den Rekruten, wenn er aus dem Wege herausgeht, wieder in den Weg treiben; fängt der Rekrute an zu springen, denselben packen und nur auf seines Herrn Wort wieder loslassen, nicht leidend, daß der Rekrute etwas von der Erde aufnehme und lauter Künste können, die auf das bessere Transportiren des Rekruten abzwecken und dem Unteroffizier den Dienst erleichtern.

      „Mancher Rekrute — heißt es am Schlusse nach Aufzählung verschiedener Arten von Befreiungsversuchen — sucht dadurch seine Befreiung zu erlangen, daß er an einem Orte, wo viele Menschen versammelt sind, oder beim Durchgange durch eine Stadt, über Gewalt oder ungerechte Anwerbung schrie. Hier muß der Unteroffizier den Schutz der Obrigkeit erheischen, und wird selbigen auch nach Vorzeigung seines Werbepasses und der von Zeugen unterschriebenen Capitulation des Soldaten gewiß erhalten. Der Unteroffizier mit einem Wort muß sich nicht irre machen lassen, sich nicht das Herz abkaufen lassen, niemahls die Gegenwart des Geistes verlieren oder wohl gar unentschlossen handeln, welches noch schlimmer ist, als wenn er unrecht handelt. Versucht der Rekrute, unternimmt er nur das mindeste, so muß er geschlossen werden. Alle Kosten, die der Rekrute durch Desertions-Anschläge nöthig macht, muß er selbst tragen, und kann ihm der Unteroffizier bis zu seiner Ablieferung das Handgeld abnehmen. Von jedem, in einem Orte vorgefallenen Exzesso, von jeder Maßregel, die der Unteroffizier zu nehmen gezwungen ward, muß er sich, um sich bei seinem Offizier auszuweisen, von der Ortsbehörde ein Attest geben lassen.

      „Besonders muß dies geschehen, wenn der Unteroffizier in die traurige Nothwendigkeit gesetzt ward, den Rekruten zu schießen, mag er ihn nun entweder blessirt, oder getödtet haben. Der Fall, daß ein Rekrute dem Unteroffizier entkomme oder entwische, wird garnicht als denkbar, also auch nicht zu attestiren angenommen.“

      Endlich ist der Rekrute glücklich eingebracht und wird zum Soldaten gestoßen, gemißhandelt und geprügelt: eine gebrochene Existenz, wenn er noch einen Funken Selbstgefühl in sich bewahrt hat, oder eine willenlose Maschine, wenn er sich in seine neue Lage findet und pünktlich „Ordre parirt.“ Denn der Dienst wurde mit barbarischer Strenge und pedantischer Gewissenhaftigkeit, namentlich in den auf preußischem Fuß eingerichteten Heeren ausgeführt. „Es ist eine trostlose Sache, sich die Gefühle zu vergegenwärtigen, welche in Tausenden der gepreßten Opfer gearbeitet haben, vernichtete Hoffnungen, ohnmächtige Wuth gegen die Gewaltthätigen, herzzerreißender Schmerz über ein zerstörtes Leben. Es waren nicht immer die schlechtesten Männer, welche wegen wiederholter Desertion zwischen Spießruthen zu Tode gejagt oder wegen trotzigem Ungehorsam gefuchtelt wurden, bis sie bewußtlos am Boden lagen. Wer den Kampf in seinem Innern überstand, und die rohen Formen des neuen Lebens gewohnt wurde, der war ein ausgearbeiteter Soldat, das heißt ein Mensch, der seinen Dienst pünktlich versah, bei der Attacke ausdauernden Muth zeigte, nach Vorschrift verehrte und haßte und vielleicht sogar eine Anhänglichkeit an seine Fahne erhielt und wahrscheinlich eine größere Anhänglichkeit an den Freund, der ihn seine Lage auf Stunden vergessen machte, den Branntwein.“ (Freytag, Neue Bilder S. 320.)

      Natürlich waren die Desertionen häufig, und je näher der Grenze, desto zahlreicher, trotzdem daß die aus aller Herren Länder zusammengetriebenen Soldaten sorgsam gehütet wurden. In Grenzfestungen, wie z.B. Wesel a.Rh., waren sie zu diesem Behufe in drei Klassen getheilt: Ganzvertraute, welche Pässe erhielten und vor die Thore gehen konnten, Halbvertraute und endlich Unsichere, die gar nicht oder nur mit seltenen Ausnahmen in Begleitung eines Unteroffiziers oder eines Ganzvertrauten aus der Stadt durften. Wurde ein Soldat vermißt, so erfolgten drei Allarmschüsse vom Wall der Festung. Auf dieses Zeichen mußten die Grenzbauern die Grenze besetzen und von Posten zu Posten patrouilliren. Dazu im Voraus kommandirte Offiziere mußten sich auf die in Bereitschaft gehaltenen Pferde setzen und an der Grenze die Bauernposten revidiren. Für jeden eingebrachten Deserteur ward ein Fanggeld von zehn Thalern bezahlt. Wurde der Deserteur nicht gefangen und gelangte er glücklich „auf die Freiheit“, d.h. über die Grenze, wo sich Wirthshäuser zur Aufnahme befanden, so ritt der nachsetzende Offizier dahin, um ihn unter Zusicherung völliger Straflosigkeit zur Rückkehr zu bewegen. Hatte der Ausreißer überhaupt die Absicht zurückzukehren, so stellte er seine Bedingungen — z.B. Ertheilung eines Trauscheines, d.h. die Erlaubniß, seine Liebste zu heirathen, oder Ertheilung eines Thorpasses &c. — was Verhandlungen zwischen ihm und der Kompagnie herbeiführte, die meist mit Zugeständnissen von Seiten der letztern endigten.

      Der Rückblick auf diese Einzelnheiten des damaligen Werbegeschäfts war deshalb nothwendig, weil mehr als die Hälfte der nach Amerika verhandelten Truppen in solcher Weise zusammengebracht wurde, und weil ohne die Detailkenntniß des mit der Rekrutirung verbundenen Unfugs ein Theil der spätern Erzählung durchaus unverständlich bleiben würde.

      Während die größeren deutschen Staaten, wie z.B. Preußen und Sachsen, sich hauptsächlich durch ihre Armeen und deren selbständige Verwendung zu europäischer Macht und Bedeutung emporschwangen, bedienten sich die kleineren Fürsten, wie Hessen, Braunschweig, Gotha, und Andere, ihrer Truppen, um ihre Einkünfte zu vergrößern und ihren Luxus zu befriedigen. Sobald nur ein Krieg drohte, boten sie den feindlichen Parteien ihre Truppen an und, je nach der Konjunktur des Marktes, erhielten sie höhere oder geringere Preise für ihre Waare. Bis zum siebenjährigen Kriege überstieg das Angebot meistens die Nachfrage, darum war der Artikel im Ganzen billig. Erst mit dem amerikanischen Kriege schlug das Verhältniß in sein Gegentheil um, so daß bei den täglich größer werdenden Ansprüchen an den Markt das Menschenfleisch immer theurer wurde. Wenn die großen Staaten untereinander und gegen dritte Subsidienverträge eingingen, so übernahmen die kleineren deutschen Fürsten für die kriegführenden Mächte einfach Truppenlieferungen gegen baare Bezahlung. Wenn auch jedes politische Moment von diesem Handel ausgeschlossen war, so nannten sie das schmutzige Geschäft doch des bessern Scheins wegen Subsidienvertrag oder versteckten es sogar hinter den komisch erhabenen Phrasen eines Schutz- und Trutzbündnisses. Unter den Ländern, welche trotz ihres verhältnißmäßig kleinen territorialen Umfanges, durch ihre politische Machtstellung ein entscheidendes Wort in der Politik jener Zeit zu sprechen hatten, standen Holland und später England oben an, und sie gerade waren wegen des eben bezeichneten Mangels zur Führung ihrer Kriege auf die Benutzung fremder Soldaten angewiesen. Holland zunächst hatte während des ganzen siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts sowohl deutsche Fürsten als Generale und deutsche Soldaten als Truppen im Dienst, ein Verhältniß, welches durch die oranischen Statthalter vermittelt und in ein System gebracht wurde. Selbst die mächtigen Nachbarn der Generalstaaten verschmähten es nicht, diesen für größere politische Zwecke ganze Regimenter leihweise zu überlassen. So gab Preußen während der ganzen Dauer des spanischen Erbfolgekrieges seine Regimenter 8. (v. Scholten, Stettin), 9. (v. Budberg, Hamm) und 10. (v. Romberg, Bielefeld) in holländischen Sold. Für unsern Zweck kommt jedoch nur England näher in Betracht.

      Schon im Laufe des siebenzehnten Jahrhunderts hatte es in seinen Kriegen gegen Holland kontinentale Miethstruppen in Sold genommen. So nahm z.B. Karl II. im Juni 1665 das Anerbieten des obengenannten Bischofs Bernhard von Galen an, wonach dieser ihm gegen die Generalstaaten 20,000 Mann zu Fuß und 10,000 Reiter stellte und für die Anwerbung der „Armada“ 500,000 Thlr., während der Dauer des Krieges aber per Monat 50,000 Thlr. Subsidien erhielt. Doch erst nach seiner Revolution tritt England Ton angebend in die große europäische Kontinental-Politik ein, an der es sich früher nur in vereinzelten Fällen betheiligt hatte. Als Wilhelm von Oranien von den Whigs eingeladen wurde, nach England zu kommen und Jakob II. vom Throne zu stoßen, gewährte Wilhelms Onkel, der große Kurfürst von Brandenburg, die Mittel zur Unterstützung des Unternehmens, um England aus seiner schimpflichen


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