Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch. Walther Kabel

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die Köpfe gezogen! Waren es die zwölf Gestalten, die Achi in die Burg und nach Stunden aus der Burg hatte wandeln sehen?! Vermummte Gestalten, hervorgezaubert wie aus einem der unheimlich phantastischen Romane E. T. A. Hoffmanns?! Ich kannte Hoffmanns Schriften, meine deutsche Mutter hatte mich deutsche Literatur lieben gelernt. Ich dachte an seine „Elixiere des Teufels“, und diese nachgelassenen Papiere des Bruders Medardus, eines Kapuziners, hatten mich als Jüngling in obstatische Erregung versetzt.

      „Gern möchte ich dich, günstiger Leser, unter jene dunklen Platanen führen, wo ich die seltsame Geschichte des Bruders Medardus zum ersten Male las …“

      So schrieb E. T. A. Hoffmann vor vielen Jahrzehnten …

      Ich schreibe dies für keinen Leser, ich sitze nicht unter Platanen, sondern ich saß in dem seltsamsten Gebäude, das je der hochbeschwingte Geist eines seltsamen Mannes schuf …

      Feurig geht die Sonne auf, und die Wände meines Zimmers lassen diese Röte matt hindurch und schimmern rot wie die Liebe … Ich kehre den Blick nach innen und betrachte mich selbst, ein Sandkorn im Meer der Ewigkeit, emporgewirbelt und nun gelandet in der Burg des Turnbull-Feldes … Ich schreibe, weil mir diese Erinnerungen, frisch geweckt durch den grübelnden Sinn, wertvoll und lieb erscheinen wie Verblichene Bilder trauter Freunde. –

      „Mussu!!“

      „Hallo, was gibt’s?!“

      Freund Achi hält da vor mir an einer Wellblechbude. Regen, Sand, Sturm haben sie zerfressen und halb umgelegt. – Ich bin im Nu neben ihm … Mein Geist ist nicht mehr auf fremden Pfaden … Ich bin einer, den ein Steckbrief ziert, und hinter mir her sind ein halbes Dutzend, die mir die Handschellen anlegen möchten …

      „Mussu, hier umziehen …“ sagt der kleine Prophet zum großen Olaf Karl, und Olaf schnauzt erbost: „Ich glaubte schon, Mallingrott lauerte hier!“ – Ich sichere den Karabiner wieder und füge sanfter hinzu: „Du müßtest dich bemühen, Nebensächliches durch den Tonfall anzudeuten, mein Sohn!“

      Mein Sohn bindet seinen Gaul an, wirft ihm die Wolldecke über und meint: „Cordanzüge sein wichtig, Mussu. Gegen morgen noch kälter, Mussu …“

      Wir ziehen uns um. Achi hat alles Nötige geholt, bevor Daisy ihn abfaßte, und Daisy steht vielleicht noch immer gefesselt am Zaun und wälzt im koketten Hirn finstere Gedanken.

      Achi tritt ins Freie. Ich betrachte ihn lange. Sein Anzug hat zweifellos Ethel Ruxa gehört, aber er paßt ihm und gefällt ihm. Alle Schwarzen sind eitel. Der kleine Prophet hat meinen Rasierspiegel in der Linken und zupft sich den weichen Kragen seines Seidenhemdes zurecht. Ich vermute, es ist eins meiner Hemden.

      Achi sagt so recht selbstgefällig: „Das sein feiner Anzug, das fein riechen wie Miß Ethel …“

      Ich sage gar nichts, denn mein Blick ist rückwärts geschweift, wo die letzte Hürde der Farm mit rotrostigen Drähten den Abschluß der Kultur zeigt. Diese Wellblechbude hier, einst Schäferhütte, ist nur Ruine, malerisch und weltverloren, voller Erinnerungen wie alle Ruinen. Mein Blick erspäht in der Ferne – noch leuchtet der Mond – vor dem hellen Hintergrund der dürren Eukalyptusbüsche eilende Punkte.

      „Achi!!“

      „Schon alles sehen …“ sagt er ungeheuer wurstig. „Das sein Buschreiter, und erste sein Missu …“

      Ich möchte seine Augen haben.

      Also beginnt die Hetze von neuem. Der Kolonel wird das Rennen verlieren, denn unsere Gäule sind noch immer frisch, und vorhin haben wir sie in einer Pfütze getränkt. – Ade, Daisy … Nach einer halben Stunde fällt Achi in Trab.

      „Werden umkehren, Mussu Olaf …“ Und er reibt sein Feuerzeug an und raucht und erzählt vom weißen Känguruh.

      Das hatte ich ganz vergessen.

      „Achi, du Schwindler, – vorhin sagtest du, Daisy sei hinter dem weißen Känguruh her …“

      Er ließ sich nicht stören …

      „Weiße Känguruh hier irgendwo sein seit einige Jahre … Sein Tier so groß wie Kuh … Wenn springen, noch größer.“

      „Die Nacht ist zu schön für deine Märchen,“ winkte ich ab.

      „… Weiße Känguruh sehr schlau … Noch niemand in Nähe ihm kommen, immer gleich weg … Kolonel Mallingrott haben mal mit Buschreiter Treibjagd gemacht … Waren zwei nachher halb tot.“

      „Buschreiter?“

      „Ja, Mussu, Buschreiter, die wollen werfen Riemen über Känguruh, Känguruh schlagen mit Vorderfuß gleich Rippen kaputt, Mussu …“

      Das war mir neu.

      „Schwindelst du auch nicht?!“

      „Mussu, wozu?! Lügen nur, wenn nötig sein. Kolonel nicht wollen, daß bekannt werden große Treibjagd. Känguruh hier Schonzeit in Nord-Territorium …“

      „Allerdings. Und mit Recht Schonzeit,“ pflichtete ich den hohen weisen Entschlüssen des australischen Parlaments bei. „Hast du dieses Tier mal zu Gesicht bekommen?“

      „Vor ein Jahr, Mussu, vor ein Jahr … Als Hausmeister Kanarra mich verdrosch nachher mit Riemen, Mussu …“

      „Also bei deinem Ritt in das Turnbull-Feld. – Du bringst deine Neuigkeiten tropfenweise vor, mein schwarzer Sohn.“

      Er schwieg und rauchte. Wir passierten eine endlose wellige Sandebene, die nicht einmal Salzkräutern die nötige Nahrung lieferte. Die Pferde gingen im Schritt. Um uns her war die trostlose Stille der Wüste. Der Sand malte unter den Hufen mit klingendem Rauschen, die Sättel knarrten, und das Schnauben der Pferde ließ mich zusammenschrecken. Ich hing im Sattel, wie Coy es mich gelehrt, der sogar auf nächtlichen Pampasritten schlafen konnte. Ich döste vor mich hin, und mein Gaul ließ den Schädel pendeln und freute sich der lockeren Zügel. Vor uns tauchten Berge auf, und Achi hielt auf eine bewaldete Kuppe zu. Die Sandebene war überwunden.

      Aber die jämmerlichen Kasuarinenstangen, die uns den Wald vorgetäuscht hatten, wurden durch ein mattes, flatterndes Blinken halblinks schattenhaft durchkreuzt.

      Achi stoppte. „Dippers,“ sagte er. „Das da sein Dowas-Goldfeld … Besser vorbeireiten … Wilde Kerle, viel Chinesen, Mussu …“

      Wie aus dem Erdboden wuchs dicht vor den Köpfen der Gäule eine Gestalt empor, und eine harte, aber leise Stimme befahl:

      „Hände hoch!!“

      Das war mein zweites Zusammentreffen mit Percy Dobber.

      4. Kapitel

       Das weiße Känguruh

       Inhaltsverzeichnis

      … Als ich in der Staatspension einmal drei Monate einen Zellengenossen hatte, nannte sich dieser Mann Parker Robbe. Unter diesem Namen war er auch wegen Diebstahls im D-Zug Stockholm–Malmö zu zwei Jahren verknackt worden.

      Parker Robbe war stumm wie eine Robbe im Eismeer gewesen, und da echte Robben nur bellen, bellte auch er nur die Wärter an. Er war ein sehr schwieriger Pensionär. Der Pensionsarzt meinte, Parker leide am grauen Koller. Der graue Koller war der Zuchthausklaps. Den wissenschaftlichen Namen kenne ich nicht. Vielleicht lautet er Dementia zellosa, Zellenverrücktheit, oder so ähnlich. Jedenfalls: Parker Robbe hatte diesen Klaps in ausgewachsenem Format. Deshalb war er auch ein Liebling des Pensionsarztes, eines ehrgeizigen Charlatans, der an einem Buche über die Psyche der Zuchthäusler schrieb.

      Parker Robbe war mir, abgesehen von allem anderen, ein Rätsel. Er zeigte das typische Benehmen eines Hochstaplers, war eitel, liebte große Posen und Gesten und trieb nebenbei harmlose Verrücktheiten. Ob er schauspielerte, war schwer zu ergründen. Mit mir sprach er kein Wort. Ich war absolut Luft für ihn. Was er mit den Wärtern, dem Arzt, den Inspektoren und dem Direktor redete, hatte


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