Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters. Reinhard Pohanka
V. an, Hofastrologe am französischen Hof zu werden, und brach 1364 nach Frankreich auf. Christine und ihre wieder schwangere Mutter blieben in Italien zurück. 1368 ließ Tommasso seine Familie an den französischen Hof nachkommen. Als er dort bei Christine die Neigung zur Literatur entdeckte, unterrichtete er sie in Latein, Philosophie und in wissenschaftlichen Fächern.
1379 heiratete Christine kurz vor ihrem 15. Geburtstag den 25-jährigen Etienne du Castel aus der Picardie, der als königlicher Sekretär und Notar am Hofe Karls V. tätig war. Christine beschrieb ihre Ehe als glücklich, aber als ihr Mann zehn Jahre später das Opfer einer Epidemie wurde, ließ er sie mit drei Kindern fast mittellos zurück.
Da Christine ihrem Mann über dessen Tod hinaus treu bleiben wollte, lehnte sie eine nochmalige Heirat ab, musste daher einen Beruf finden, um ihre Familie zu ernähren. Wahrscheinlich versuchte sie, als Kopistin fremder Werke zu Geld zu kommen, nebenbei begann sie ihre schriftstellerische Karriere.
Zunächst verfasste sie das Erziehungsbuch »Buch der Klugheit«, das sie an Philipp den Kühnen, Herzog von Burgund, einen Sohn des französischen Königs Johann II. der Gute, verkaufen konnte. 1390 war sie mit Balladen bei einem Dichterwettbewerb erfolgreich.
Im Geschichtsband »Buch der großen Taten und des vorbildlichen Lebenswandels des weisen Königs Karls V.« setzte Christine de Pizan dem Gönner ihrer Familie ein literarisches Denkmal. Außerdem schrieb sie die gesellschaftspolitischen Werke »Buch vom Staatswesen« und »Buch vom Frieden«, in denen sie zum 100-jährigen Krieg« zwischen England und Frankreich Stellung bezog und sich für Frieden und Einigkeit einsetzte. Die Liebe und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern behandelte Christine de Pizan in den Werken »Buch vom wahrhaft liebenden Herzog« und »Hundert Balladen über einen Liebenden und seine Herzensdame«.
Die größte Beachtung fand ihr Werk »Das Buch von der Stadt der Frauen«, verfasst 1404–1405, in dem sie sich gegen die bösartigen Behauptungen der Männer über die Frauen zur Wehr setzte. Ausgangspunkt ihrer Gedanken ist, dass Gott niemals etwas so »Übles und Böses«, wie die Männer die Frauen darstellten, geschaffen hätte. Frauen haben dieselben geistigen Fähigkeiten wie der Mann, dem sie von Gott als Gefährtin, nicht als Sklavin, zur Seite gegeben wurden, und Frauen seien nicht nur zum Kindergebären und für den Haushalt da. Krieg und Not gibt es, weil diese von Männern verursacht sind. Christine beschreibt verschiedene Frauen in der Geschichte, die Heere siegreich geführt und Staaten gerecht und weise gelenkt hatten. Sie nennt auch Frauen, die sich durch Keuschheit und Gehorsam gegen ihre Eltern und Ehemännern ausgezeichnet oder aus Liebe zu Gott den Märtyrertod erlitten hatten. Ihre Heldinnen fand sie im Alten Testament, unter den christlichen Heiligen, in Ovids Metamorphosen und
Boccaccios Decamerone.Besonders kritisch setzte sich Christine de Pizan mit dem französischen Dichter
Jean de Meung auseinander, der im »Rosenroman« ein negatives Frauenbild vertritt. Sie kämpfte gegen die Lehre von der geistigen und moralischen Minderwertigkeit der Frauen und gründete den »Court amoureuse«, ein Minnegericht.Im Jahre 1418 verließ sie Paris, enttäuscht von den Zwistigkeiten zwischen König Karl VI. und dem Dauphin Karl VII. und nicht mehr auf ein Ende des 100-jährigen Krieges hoffend. Sie zog sich zu ihrer Tochter Marie in das Kloster der Dominikanerinnen von Saint-Louis in Poissy zurück.
Nach elf Jahren im Kloster beendete Christine am 31. Juli 1429 ihr letztes Werk, ein Gedicht über Johanna von Orléans, die als Kriegerin die männliche Meinung, Gott hätte den Geschlechtern unterschiedliche Aufgaben zugeteilt, im Sinne Christines widerlegte, indem sie bewies, dass auch Frauen kämpfen und dass sie erfolgreichere Heerführer als Männer sein können.
Christine de Pizan starb 1430 oder 1431 im Nonnenkloster von Poissy, den Prozess und den Tod der Johanna von Orléans hat sie vermutlich nicht mehr erlebt. Ihre Werke wurden wegen der großen Nachfrage 1440 ins Englische, um 1450 ins Portugiesische und 1475 ins Flämische übersetzt.
Frauen im Mittelalter hatten zwar keine rechtliche Gleichstellung mit Männern, waren aber in vielen Sparten unternehmerisch und künstlerisch tätig. Christine de Pizan war nicht die erste Schriftstellerin des Mittelalters, sie hat aber als erste Frau im Mittelalter das Problem der Gleichstellung der Frau thematisiert und gilt als die erste Frauenrechtlerin in der neueren Geschichte. In ihrer Zeit stand sie allein, ihr Kampf für die Frauen und deren Gleichberechtigung brachte im Mittelalter noch keine nachhaltige Änderung im Rollenbild. Erst Ende des 19. Jahrhunderts erinnerte man sich an ihre Werke, die Bewegung der Frauenrechtlerinnen und Suffragetten griff unter anderem auf die Ideen von Christine de Pizan zurück.
JACQUES COEUR
(1400–1456)
Er war neben seinem König Karl VII. der mächtigste Mann Frankreichs, unermesslich reich, aber auch angefeindet wegen seines Besitzes. Selbst sein König neidete ihm seinen Reichtum, nahm ihm alles in einem zweifelhaften Prozess und verurteilte ihn zum Tode.
Jacques Coeur wurde 1400 in Bourges geboren, sein Vater war Kürschner. Schon in seiner Kindheit war Jacques in der Nähe der Mächtigen. Nur zwei Straßen von seinem Geburtshaus stand das Palais des Jean, Herzog du Berry, berühmt wegen seines Reichtums und Kunstsinnes, und gegenüber das Haus des Schatzmeisters des Herzogs.
Als Jacques Coeur 15 Jahre alt war, entschied sich seine Karriere. Frankreich unterlag in der Schlacht von Azincourt dem englischen König Heinrich V., die Niederlage war katastrophal. Tausende französische Ritter wurden von den englischen Langbogenschützen hingemetzelt. In der Folge stießen die Engländer weiter nach Frankreich vor und besetzten Paris, der Dauphin Karl VII. musste fliehen und ließ sich in Bourges nieder. Der französische Hof mit seinem Geld- und Luxusbedarf führte zu einer rasanten Entwicklung der Stadt. Es gab zwölf Wechselstuben oder Börsen in der Stadt, und der junge Jacques Coeur wurde von einer davon zum Leiter bestellt. Diesen Posten verdankte er dem Münzmeister und Bürgermeister von Bourges, dessen Tochter er 1421 geheiratet hatte.
1429 gründete er mit den Brüdern Godard eine Handelsgesellschaft und reiste 1432 in die Levante und nach Damaskus, um Geschäfte zu machen. Auf der Rückkehr nach Frankreich erlitt er im Golf von Calvi vor Korsika Schiffbruch, wurde gefangen genommen und gegen ein geringes Lösegeld wieder freigelassen, was darauf hindeutet, dass er zu dieser Zeit nur eine geringe Bekanntheit besessen hat.
In den nächsten Jahren machte er Karriere. Er kaufte den Genuesen ein Schiff ab, ließ es kopieren und nachbauen, er erwarb Anteile an Banken, Bergwerken und beteiligte sich an Handelsunternehmen. Man wurde bei Hof auf seine Finanzkünste aufmerksam. Er wurde zum Berater von Agnes Sorel, der Mätresse des französischen Königs Karl VII., er bekam das Salzmonopol übertragen, wurde Staatskommissar für die Finanzen des Languedoc, Münzmeister des Königs und 1436 Finanzminister Frankreichs. Er reorganisierte die Finanzen des Reiches und finanzierte den erfolgreichen Krieg gegen England, führte den Goldstandard ein und stabilisierte die französische Währung. Er verstand es, ganz Frankreich mit einem Handelsnetz zu überziehen, und hatte auch keine Scheu, mit den »Ungläubigen« Handel zu treiben, für die er eigene Handelsposten einrichten ließ. Seine Haupteinnahmequelle blieb aber das Wechselgeschäft mit den unterschiedlichen Werten der einzelnen Währungen. Hier war er ein Meister, mit den geringfügigen Wechselkurs- und Qualitätsschwankungen der Münzen ein Vermögen für seinen König, und auch für sich selbst, zu machen.
Sein Reichtum schlug sich auch in Grundbesitz nieder. In Bourges ließ er einen Palast bauen, der dem seines Königs an Prunk nur wenig nachstand, er erwarb im ganzen Land Grund, Schlösser und Wirtschaftsunternehmen. 1441 wurden er und seine Familie geadelt, 1449 ritt er in der Parade der Würdenträger Frankreichs in Rouen mit.
Sein Reichtum brachte ihm aber auch Neider, die auch das Ohr von Karl VII. erreichten. Mit dem Sprichwort: »Der König macht, was er kann, Jacques Coeur macht, was er will«, planten sie seinen Fall. Die Noblen des Reiches hatten enorme Schulden bei Jacques Coeur und sahen in seiner Beseitigung die Möglichkeit, diese zu tilgen. Karl VII. wollte sich den Reichtum von Jacques Coeur selbst