Unheilige Narren. Ulrich Holbein

Unheilige Narren - Ulrich Holbein


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      ULRICH HOLBEIN, geb. 1953 in Erfurt, wohnt in Hessen, als Autor von etwa 999 Publikationen in FAZ, FR, SZ, ZEIT, WDR, SWF u.v.a. und 6 Büchern, darunter ein Lexikon heiliger Narren, mit vielen Querbezügen zu persisch-arabischen Mystikern. Ulrich Holbein wurde 2012 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet.

      Zum Buch

      Heilige Narren und Närrinnen tummeln sich in jeder Gesellschaft zuhauf – ausdrücklich unheilige Narren zeigen sich im Straßenbild oder im Gesamtpanoptikum nicht viel seltener. Heilige Narren, sobald sie Zulauf und Erfolg haben, können sich zu Religionsstiftern, alttestamentarischen Propheten, Heiligenfiguren und Päpsten erhöhen; potentielle Religionsführer, wenn Zulauf und Erfolg ausbleiben, sinken zu Sektenchefs und Spinnern herab, also zu unheiligen Narren. Weil Abraham Götzen zertrümmerte, wird er als früher Faschist gebrandmarkt. Reptil- und Neandertalerhirn brüten aggressive Menschen aus, oder wenigstens dogmatische Typen: Hardliner, Spielverderber, Fanatiker.

      Ungewöhnliche

      Persönlichkeiten,

      lebenspralle Lebensläufe,

      Charakterdarstellungen,

      Sachbuchstoff als Erzählungen,

      Stories auf bester Quellenbasis,

      Anekdoten,

      Aphorismen, Selbstaussagen,

      Äußerungen Dritter,

      Abbildungen.

      Ulrich Holbein

      Unheilige Narren

      Ulrich Holbein

      Unheilige Narren

      22 Lebensbilder

       Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

      Alle Rechte vorbehalten

      Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2012

      Lektorat: Dr. Bruno Kern, Mainz

      Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH

      Bildnachweis: iStockphoto, Calgary, Kanada

      eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

      ISBN: 978-3-8438-0300-7

       www.marixverlag.de

       Wenn dunkle Seelen schwarze Betthupferl verschießen

      Narren und Närrinnen tummeln sich in jeder Gesellschaft zuhauf – man braucht nur zu sympathisieren oder sie gar zu verehren, und schon sind’s heilige Narren. Ausdrücklich unheilige Narren zeigen sich im Straßenbild oder im Gesamtpanoptikum nicht viel seltener, sondern praktisch genauso oft – man braucht bloß mit dem Finger auf sie zu zeigen.

      Heilige Narren können sich, sobald sie Zulauf und Erfolg verbuchen, vergrößern und zu Religionsstiftern, alttestamentarischen Propheten, zu Heiligenfiguren, zumindest zu Päpsten, Pröbsten und Dorfpfarrern aufschwingen. Potentielle Religionsführer sinken, wenn Zulauf und Erfolg ausbleibt, rettungslos herab zu Sektenchefs und Spinnern, also zu unheiligen Narren. Gurus sind für ihre Anhänger absolut Heilige, aber für sämtliche andere Menschen Scharlatane, also zutiefst unheilige Narren, und vice versa: Weltbewegende Welterlöser wie Jesus und Buddha gelten nur deshalb nicht als Sektierer und Spinner, weil sie postum ungeheure Mehrheiten fanden, akkumulierbare Kollektivenergien entbanden und als Transportmittel mobilisieren konnten.

      Weil Abraham Götzen zertrümmerte, gilt er guten Christen als Initiator und Hüter des rechten Glaubens, als Eckpfeiler des einzig wahren Monotheismus, aber unbefangenem, welthistorisch erfahrungsgesättigtem Rückblick erscheint derselbe Abraham eher als der Prototyp eines frühen Hardliners, Dogmatikers, Fanatikers, wenn nicht gar Faschisten, laut Peter Sloterdijk und Bazon Brock im Philosophischen ZDF-Quartett. Diese Spielart menschlicher Möglichkeiten und Seinsweisen hält sich mit all ihren unangenehmen Attributen durch die Jahrtausende in immer derselben unverkennbaren Ausprägung, scheint einfach nicht aussterben zu können, basiert weiterhin auf unsublimierbarem Reptilhirn und Neandertalerhirn.

      Kulturbringer à la Prometheus, notorische Gesetzgeber à la Hammurapi oder Mose, Gralshüter, Oberbonzen und Obermuftis können jederzeit, wenn sie nicht aufpassen und nicht von sich abweichen, unrühmlich herabsinken zu ihren eigenen Handtaschenformaten und Schwundformen und alsdann herumsitzen am Bürotisch ihrer Vorzimmer, als Ordnungshüter, als vorletzte Instanzen, Paragraphenreiter und Schergen, und vice versa: Reptilhirne bzw. geborene Kampfmaschinen können, sobald sie sich sublimieren und subtilisieren, erfreulich aufsteigen zu durchaus geistreichen Lästerzungen, Polemikern und Sarkastikern, oder ums schöner, netter und versöhnlicher zu sagen: sich profilieren und die lachlustige Menschheit erfreuen als Spottvögel, Satiriker, Humoristen und Entertainer, die für einen kleinen Witz sowohl ihre Seele wie ihre Großmutter verkaufen.

      Der Typus des Spielverderbers tauchte bereits in prähistorischen Zeiten auf und griff gebieterisch ins Triebleben seiner Clangenossen ein. Als Legislative der Judikative und Exekutive vordenkerisch voranschreitend, regelte und überprüfte der ewige Spielverderber das lose, oft ungezügelte Hordentreiben. Als Priester und Asket beschnitt er sich und anderen die lustige Freiheit, nach Herzenslust allen Lüsten zu frönen. Als Regenzauberer machte er sich unbeliebt und galt, sobald sein Zaubern dauerhaft nicht half, zunehmend als unfähig, bis hin zu Verketzerung, Unheiligsprechung, Absetzung und Entsorgung. Sobald Menschen abweichende Meinungen produzierten, also naheliegende und kühne Mythologeme, Philosopheme und Theoreme ausspendeten – in schriftlicher Form auf diversen Kontinenten so ab 600 v. Chr. –, übte und feilte der Typus des Spielverderbers seinen Widerspruchsgeist. Aber wer beliebte Lehrmeinungen besonders kaltschnäuzig aushebelte, wurde entweder ein Gegenguru, ein Gegenpapst oder mehrheitlich als unheilig eingestuft und abgestempelt. Buddha, Mahavira, Mani und x andere religiöse Köpfe, Gruppen und Formationen basierten einvernehmlich auf dem gemeinsamen Grundkonzept, daß es Karma, Samsara, Reinkarnation, Erleuchtung und so etwas wie Nirwana gebe und ebendiese Namen trage, aber fünf Generationen vorher hatte bereits ein gewisser Brhaspati, der früheste feststellbare Philosoph, Zeitgenosse von Jeremia, Ezechiel, Thales, Äsop, Zarathustra, Assurpanipal, Sappho und Laozi, vermutlich nicht zu verwechseln mit der mythischen Figur Brihaspati, die damaligen Zentralbegriffe und Vorstufen von Nirwana usw. nicht anerkannt und auf die üblichen Götter, Entitäten, Zauberworte, Päpste und Dämonen so verächtlich und cool herabgesehen wie sowieso alle Aufklärer, die eigentlich noch Jahrtausende auf sich warten ließen. Daß Religion Volksbetrug oder auch Opium sei, hatte Marx von Heine, Heine von Novalis, die alle drei nicht ahnen konnten, daß bereits Brhaspati genau dies lehrte. 2270 Jahre vor Doktor Martinus Luther machte Brhaspati – dasselbe wie Luther: focht gegen den Ablaßhandel des altindischen Vatikan, der Brahmanenkaste. Fünf Generationen später mußte dann ein gewisser Mankaliputta Goschala Quertreiber spielen und einfach glattweg alle vorbuddhistischen und buddhistischen Lieblingstermini hinterfragen, bezweifeln, wegdiskutieren, zersetzen, zerdenken, und weil das immer noch nichts half und nützte, kam dann Nagardschuna (Nagarjuna), mitten im Traumland, in mythischem Wahnleben und buntem Delirium des alten Hindustan so unterkühlt denkend wie später dann Cartesius oder, nebenan im antiken Hellas – der Total-Rationalist Diogenes von Apollonia, welchselbiger, heillos verfrüht, nämlich 450 v. Chr., den Pflanzen das Denken absprach – wie unspendabel, materialistisch und neuzeitlich herzlos! Nebenan in China – dieselbe Spielverderberei illusionslos unbestechlicher Köpfe: Wang Tschung, 27–97 n. Chr., ließ sich keinen


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