Unheilige Narren. Ulrich Holbein

Unheilige Narren - Ulrich Holbein


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nannte er Schufte, allein weil es sich um Athener handelte. Einmal kokettierte er damit, einem solchen das Gehirn einschlagen zu gehn; als man ihn erinnerte, daß darauf Todesstrafe steht, sagte er: „Ja, wenn auf Nichtstun Todesstrafe steht.“ Wären Menschen Hunde gewesen, hätte er sie etwas weniger gehaßt. Verglich man den Kyniker und Parasiten mit Hunden, antwortete er: „Der Köter, wenn der Esel ausschlägt, trollt sich.“ Er war sogar stolz drauf, nicht Timon zu sein, so als wenn dies eine Leistung oder Lösung gewesen wär. Andere Eigenschaften als pausenlos absolut alles absolut madig zu machen schien er nicht zu haben. Saß jemand im Elend, tröstete er ihn nicht, sondern riet ihm, endlich zu sterben. Gefragt „Wie gefällt dir dieses Gemälde, Apemantus?“ antwortete er: „Gut, weil es nichts Böses tut“, nicht nur ein superber Binnenreim, auch der raffinierteste, rahmensprengendste Trick, ästhetischen Smalltalk innerhalb einer Sekunde auf moralisches Feld umzuleiten. Zum Frieden, Freude, Eierkuchen bzw. Wein, Weib und Gesang bzw. Jubel-Trubel-Heiterkeit einer gutsituierten Gesellschaft von Speichelleckern und Hedonisten bildete Apemantus das Gegenthema, nötig oder unerläßlich als Galletropfen, Schmutzfleck, Spielverderber, mit bösem Blick und schwarzer Sicht; als einzige Stimme jener bitteren Wahrheit, daß alle Nutznießer, Schmarotzer und echten Freunde von vornherein falsche Fuffziger seien, sang er praktisch bereits das Eichendorff-Lied von Schumann: „Hast du einen Freund hinieden, trau ihm nicht zu dieser Stunde.“ Timon mahnte ihn einmal zu besserer Laune, so als handele es sich bei Apemantus’ dauerhaft unabänderlicher Konstitution nur um seine Tagesform. Indem Timon durch veränderte Umstände zum notorischen Menschenhasser wurde, bediente er sich stilistisch exakt des vorher oft eingeübten Apemantus-Tons, benutzte dessen Schimpfwörter à la „Planetenpest“, wurde also quasi zum verlängerten Arm des Apemantus, falls nicht selber zu einem Apemantus oder gar gesteigerten Apemantus. Apemantus hingegen avancierte zum potenzierten Hamlet. Hamlet und Timon brauchten äußerliche Anlässe, um Zyniker zu werden; Apemantus konnte sowieso in keiner Situation anders – der Unterschied zwischen umweltbedingten und konstitutionellen Zynikern. Indem Timon die Kurtisanen Phrynia und Tamandra „Huren“ schimpfte, outete er sich als vorchristlicher Spießbürger. Seinen derangierten Gönner fand Apemantus wesentlich aushaltbarer als früher, was dieser sogar zugab; also konnte Apemantus auch loben. Beide warfen sich nun aphoristischen Unflat an den Kopf, schimpften den andern „der Menschheit Wegwurf“. Indem Apemantus zugab, daß er quälen wolle, gab er zu, auch nicht besser zu sein als die Welt, bzw. mindestens genauso übel zu sein wie die von ihm als äußerst übel verketzerte Welt, die er, um die Menschen loszuwerden, gern ans Vieh verfüttert hätte. Um sich nichts Infektiöses zu fangen, wich er ständig allen Menschen aus, die ihn aber genauso oft in Gespräche verwickelt sahen. Seine scharfe Zunge geißelte dergestalt hämisch, extrem und nie anders als so negativ wie möglich, daß ihm das zum Reflex und Automatismus wurde, vorhersehbar, nervend, auf Dauer unoriginell. Er wurde zur Funktion seiner selbst, ein Kampfhund, der seinem permanenten Zuschnappen nie ausweichen konnte, ganz im Sinne des Buchtitels „Die Selbstverwirklichung des Hundes durch Beißen“.

      Da in der Antike viele Kyniker, aber kaum Zyniker herumliefen, kam Apemantus vorchristlich lange nicht in Sicht. Erst im Barock vermochte er die zeitlose Scharfzüngigkeit entwickelter Menschheit auf höchste eloquente Spitzen zu treiben. Seine ausweglose Weltsicht ließ sich am ehesten in des Predigers Salomos Weisheit, daß alles eitel sei, zusammenfassen. Buddha, Gnostiker, Mani, Katharer wollten aus dem schwarzen Knast wenigstens noch metaphysisch hinausgelangen oder hinausführen; Apemantus und Consorten kannten keinen Notausgang mehr und stocherten bloß mit Witz und Geist in der Scheiße, aus der auch sie nie und nirgendwo herausguckten. Neben Timon stellte Apemantus sich glossierend auf wie Mephisto neben Faust. Selbst Panurgos, Swift, Voltaire, Roquairol, Leopardi, Talleyrand, E. M. Cioran und Harald Schmidt sahen neben Apemantus mehr oder minder konziliant aus. Kein Wunder, daß Karl Kraus dieses Menschenhaßdrama mit Lust Wort für Wort bearbeitete. Kindlers Literaturlexikon wandte 1988 das Wort „sauertöpfisch“ auf Apemantus an, was viel zu behaglich, mild und romantisch klang, „beißender Spott“ viel zu schematisch und präformiert. Daß Apemantus bellende Tiere besser fand als lügende Menschen, teilte er sowohl mit Schopenhauer wie mit biosophischen Sekten, die den Planeten von den Menschen reinigen wollen, um ihn Tieren und Pflanzen zurückzugeben.

       Nichts fand Apemantus seines Denkens wert

      Worte von Apemantus: Die Herrlichkeit des Lebens – alles Wahnsinn! – Wer lebt, der nicht gekränkt ward oder selber kränkte? Wer stirbt, der keinen Kratzer mit ins Grab nähm, gezielt von Freundeshand? – Von Liebe nichts in all den süßen Schurken und nichts als Höflichkeit! Die Menschenbrut renkt sich in Pavian und Affe noch hinein. – Welch Lärm ist das! Grins-Gesicht, den Steiß herausgekehrt! Sind denn die Stelzen jene Summen wert, die sie gekostet haben?

      Apemantus über sich selbst: Ich will nicht, daß du mich willkommen heißt. Ich kam, damit du mich hinauswirfst. – Ich kam als Aufpasser mit Luchsaugen; sei gewarnt. – Mich peinigt, daß so viele ihre Fleischklumpen eintunken in eines Mannes Blut. – Reiche Gecken schlemmen; ich freß Wurzeln.

      Andere über Apemantus: – Er ist ein Widerspiel der Menschheit. (Erster Lord, in Shakespeares „Timon von Athen“) – der nichts so liebt, als er sich selber haßt. (damals zeitgenössischer Dichter) – Ich möchte lieber eines Bettlers Hund als Apemantus sein. (Timon von Athen) – einer jener wunderbar destruktiven Typen, die es braucht, damit man vernünftig wird; lebte man wie er, dann würde man zweifellos alles dennoch Schöne vernichten, bloß unachtsam vielleicht, oder unfreundlich: Wollte man aber alles für unwahr halten, was er sagt, dann würde man in eine geträumte Welt geflüchtet sein; Apemantus müßte sich nicht allen so unsympathisch machen, um recht zu haben: aber es wäre ihm wohl nicht möglich, alle Tabus zu durchschauen, wenn er dabei sympathisch bleiben wollte, etwa wie ein bloßer Skeptiker, der ohne allzu hindernde Moralität zu leben versteht, weil auch er das meiste durchschaut; nun muß aber ja auch niemand mit Apemantus leben, denn er ist eine Figur in einem Stück; und es wäre jetzt schade, wenn sein Witz weniger Galle hätte. (Rolf Vollmann, 1997)

       Alles ist bei mir verzeichnet

       Al-Hakim bi Amrillah – Exzentriker, Fatimiden- Kalif, Religionsführer (985–1021 n. Chr.)

      Als Fatimiden-Kalif Al Aziz Billah starb, vom Schlag getroffen, im Beisein seines elfjährigen Sohns Abu Ali al-Mansur, wurde dieses Kind, statt dessen volljähriger Schwester Sitt al-Mulk, von Interessengruppen sowohl zum Kaiser wie zum Papst gekrönt bzw. zum Kalifen und zum Imam (der Ismaeliten), nun des neuen Namens al-Hakim bi Amrillah (Der auf Geheiß Allahs herrscht; Hakim heißt auch Weiser, Wissender, Arzt). Sein zwielichtiger Erzieher Bargawan, Chef der Palastverwaltung, Obereunuch, setzte ihm den väterlichen Juwelenturban auf („Ich werde also den Gecko zum König über uns machen“), lavierte so erfahren wie raffiniert das Machtgerangel etlicher Berberstämme rund um den minderjährigen Potentaten und wurde im Jahr 1000 vom Sklaven seines pubertierenden Zöglings, der die Bevormundung satt hatte, auf einem gemeinsamen Spaziergang erstochen. Al-Hakim schaffte, um sich beliebt zu machen, zuerst Zölle ab, sorgte für Gassenbeleuchtung, nahm gern Bäder in der Menge, mischte sich verkleidet ins Volkstreiben, wofür später Harun al-Raschid bekannter wurde als er, obwohl göttliches Erdenwandeln nur beim al-Raschid aus Tausendundein Nächten und beim historischen al-Hakim belegbar ist, beim historischen al-Raschid hingegen nicht. Al-Hakim schickte Missionare durch ganz Nordafrika, ließ die Reinigung der Seelen predigen, kündigte die Einläutung eines neuen, nur von der religiösen Wahrheit regierten Zeitalters an, einer so numinosen wie nebulösen Mixtur aus Weltgericht und Himmel auf Erden, ohne sich, genau wie die stets wieder von ihren eigenen apokalyptischen Zeitangaben geprellten Zeugen Jehovas und Maya-Kalender, auf das genaue Datum festzulegen. Jahr um Jahr warteten alle auf den Einbruch des neuen überirdischen Aquarius-Äons. Jahr um Jahr kündigte der Herrscher an, der ultimative Termin werde bald bekanntgegeben. Nur mußten vorher noch Vorbedingungen geschaffen werden. Al-Hakim setzte hierzu, uneingedenk seiner christlichen Mutter, an die Stelle einer baufälligen Christenkirche, statt sie zu restaurieren, eine Moschee. Er benachteiligte Sunniten, schikanierte Andersgläubige mit Reitverbot, nötigte


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