Unheilige Narren. Ulrich Holbein

Unheilige Narren - Ulrich Holbein


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       Und des Herren Hand kam über mich

       Ezechiel – Visionär, Drohpriester, Strafprediger (um 620–ca. 575 v. Chr.)

      Der Sohn des Priesters Busi wurde selber Priester, 597 v. Chr., unter Nebukadnezar II., und mit vielen vornehmen Judäern nach Babylonien deportiert. Seinen Mitgefangenen stand er tröstend, vor allem mahnend, zur Seite. 592 fühlte sich Ezechiel zum Propheten berufen, von einem Gott, den er Jahwe nannte und auf den sich seit längerem etliche ernste Mienen festlegten, und lebte und wirkte dann in der Stadt Tel Abib nahe bei Nippur. Nicht genug, daß sein auserwählter Gott ihn, zwecks erschröcklichem Memento mori, über danteske Schädelstätten im Sand ausgereckter Glieder führte und von ihm, in ausnehmend unerforschlichem Ratschluß, verlangte, ungenießbare Dinge hineinzuessen in seinen Leib, z. B. einen zusammengelegten Brief; der Gott gebot ihm sogar, den zu essenden Gerstenkuchen (inklusive Weizen, Bohnen, Linsen, Hirse, Spelzen) mit Scheiße zu verbacken (was Luther 2000 Jahre später mit „Menschenmist“ übersetzte). Hier zauderte Ezechiel doch sehr, beteuerte, seine Seele sei noch nie unrein geworden, er habe noch nie Aas zerrissen und nie unreines Fleisch verzehrt, woraufhin sich sein machtvoller Hardliner-Gott erweichen ließ und mäßigte: Der Prophet brauchte jetzt nur Kuhdung zu essen statt Menschenkacke. Kaum hielt Ezechiel sich im Zelt auf, befahl Jahwes Stimme, hinaus aufs Feld zu gehen, um dort mit ihm zu reden; kaum aber lauschte Jahwes Geschöpf im Feld auf Jahwes Stimme, befahl diese, nach Hause zu gehen und sich im Haus zu verschließen – ja, was denn nun? Von einem solchen Gott hätte man sich schikaniert vorkommen können. Weitere göttliche Rätselspielchen folgten: Plötzlich hatte Ezechiel seinen Bart abzuschneiden und in drei Teile zu teilen, alles arg unkoordiniert, nicht zweckdienlich, irrationalenigmatisch unerfreulicher Metaphorik zuliebe, Hauptsache man ließ sich herumkommandieren, gehorchte voll Demut, brachte Brandopfer dar, schlachtete Ziegenböcke, täglich einen Bock, sieben Tage lang, und streute Salz drauf. Ezechiels Gott erging sich zu 85 Prozent in Gewaltphantasien, unschön garniert mit 5 Prozent Sexualschmäh, der den prophetischen Vorgänger Hosea drastisch überbot: „Die trieben Hurerei im Ägypten in ihrer Jugend. Daselbst ließen sie ihre Brüste betatschen und die Zitzen ihrer Jungfräulichkeit befummeln.“ Stets folgte auf die angeprangerten Buhlschaften sogleich der Schrei nach Todesstrafe: „Und sollen Leute über dich bringen, die dich steinigen und mit ihren Schwertern zerhauen, und deine Häuser abfackeln und dir dein Recht tun vor den Augen vieler Weiber, also will ich deiner Hurerei ein Ende machen!“ Pausenlos wollte Gott seinen Grimm über sein lustsuchendes Geschöpf bringen und redete diesem ein, drastische Strafe verdient zu haben. Weitere tyrannische Gottesworte: „So wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben. Aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern. Wo du aber den Gottlosen warnst und er sich nicht bekehrt von seinem gottlosen Wesen und Weg, so wird er um seiner Sünde willen sterben. Du aber hast deine Seele errettet.“ Mordanstiftung! Eigene Mordgelüste mit dem höheren Befehl und Siegel Jahwes versehen in heiliger Schrift (Vorläufer profanisierter Pflichterfüllung und Kadavergehorsams)! Haß und Grimm auf Thammuz (Adonis) loderte bei Ezechiel gar sehr. Drohsprüche hagelte es gegen die Philister u. v. a., gegen Nachbarstaaten Ammon, Moab, Edom und tendenziell alle anderen, Gog und Magog, unerforschlich gewordene Kampffürsten oder Völker, die dann im später allzu wahlverwandten Islam mythisch weiterverarbeitet wurden als Yadschudsch und Madschudsch. Besonders unkonziliant, sprich: hart polemisierte Ezechiel gegen die prunkvolle, sonnenübergossene, sehenswerte, multikulturell quirlende Hafenstadt und Handelsmetropole Tyros – und Sidon –, namentlich gegen ihre persischen, lydischen und libyschen Söldnerheere, und zählte in seinem Eifer akribisch alle Spezerei, Holzsorten, Luxusgüter auf (Elfenbein, Ebenholz, Metalle, Sklaven), um dann haßglühend den Untergang der ganzen Herrlichkeit auszupinseln, und wie sich die betroffnen Seeleute in Säcke gürten und Asche aufs Haupt streuen würden. Das phönizische Tyros, obwohl dessen Stadtgott Baal Sur „Herr des Felsens“ hieß, tausend Jahre bevor es von Petrus hieß, daß man auf diesen Felsen bauen könne, fungierte als austauschbares Haßobjekt auf dem langen Weg von Sodom-Gomorra bis zur großen Hure Babylon und über sie hinaus bis später dann New York. Schlimme Saat, die dann über den Umweg Islam durch Jahrtausende weiterwirkte: via Mord schnurstracks ins Paradies. Ohne massivstes Feindbild und exzessives Schwarzweißdenken hätte diese Art Prophet nichts zu melden gehabt. Der monothematische Mordgott und Plagensender baute in seine umfassend flächendeckenden Genozid- und Landverödungsphantasien ein winziges Hintertürchen ein, aber nur für Noach, Daniel und Ijob; diese drei durften als einzige entrinnen, aber ihre Söhne und Töchter nicht.

      Jerusalem fiel, 587 v. Chr. – Ezechiels Voraussagen gemäß: Folglich war er ein echter Prophet. Tyros (heute im Libanon) und Ägypten aber fielen – trotz Ezechiels Voraussagen – nicht im mindesten, wurden keineswegs durch die Babylonier verwüstet: Folglich war Ezechiel kein echter Prophet. Seine danebentappenden Auskünfte – unreines Wunschdenken – schadeten seinem Prophetenstatus nicht. Ein halbes Jahrtausend später mochte sich der apokalyptische Johannes keine eigenen visionären Ideen einfallen lassen und holte sich alle Motive und Details beim approbierten Ezechiel: die vier Tiere, Fittiche mit glühenden Augen, sich umwälzende Räder (mesopotamische Technologie!), alles prägnostische Albträume mit antiken Motiven des Argus Panoptes – alle beteiligten Visionäre nach der Schablone verzückt. Auf Hesekiel (Ezechiel) 6., Vers 16, allwo man das Brot mit Kummer aß, ging dann sogar noch Goethes Vers zurück: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“. Theologen bissen sich die Zähne aus an Fragen, wieso Gott seinem Knecht so paradoxe Aufträge erteilt haben könnte. Spätere Pathographen und Psychologen wiesen Ezechiel, mit aller diagnostischen Behutsamkeit, Schizophrenie nach, mit parallelem Symptomkatalog bei Emanuel Swedenborg und August Strindberg. Auch in weniger schizophrenen Religionszusammenhängen fand sich solche Struktur: Als wären sie gewährende und strafende Götter, quälten und foppten etliche Gurus, von Marpa bis Gurdijew, ihre willig herandrängenden Adepten. Ezechiel 16,5 „Sondern du wurdest aufs Feld geworfen / Also verachtet war deine Seele / da du geboren warst“ präludierte bereits die 2500 Jahre später akute existenzialistische Geworfenheit.

      Worte von Ezechiel (bzw. seinem Gott): Wind, komm herzu aus den vier Winden, und blase diese Getöteten an, damit sie wieder lebendig werden! – Und die Heiden sollen erfahren, daß ich der Herr sei, wenn ich mich vor ihnen an euch erzeige, daß ich heilig sei. – Es soll kein Fremder eines unbeschnittnen Herzens und unbeschnittnen Fleischs in mein Heiligtum kommen, aus allen Fremdlingen, so unter den Kindern Israels sind.

       Ezechiel wußte stets genau, wo die Achse des Bösen verlief

      Ezechiel über sich selbst: Und des Herren Hand kam über mich und führte mich hinaus im Geist des Herrn und stellte mich auf ein weites Feld, das voller Gebeine lag, und er führte mich da quer durch, und siehe, da lag sehr viel auf dem Feld, und siehe, sie waren sehr verdorrt.

      Andere über Ezechiel: Es ist bei ihm in aller Leidenschaft oft eine Kälte, eine unmenschliche Fremdheit spürbar. Aber wie in schizophrener Kunst kommen eigentümliche, unvergeßliche, großartig-grausige Bilder vor. (Karl Jaspers, 1947) – Hesekiel und Jeremias heben den Menschen heraus aus der Kollektivverantwortung und lenken ihre Zeitgenossen darauf hin, die Ursache des Leidens im eigenen Denken und Handeln zu suchen. (W. Bauer/C. Zerling, 2004) – Vor allem die Propheten Hosea und Ezechiel haben diese Leidenschaft Gottes für sein Volk mit kühnen erotischen Bildern beschrieben. (Benedikt XVI., 2005) – Der Schwerpunkt der Gebote und Verbote verschob sich bei Ezechiel weg von den Tempelsatzungen und Reinheitsvorschriften hin zu gelebter Mitmenschlichkeit. (Wikipedia, 2012)

       Absurder Balken in Buddhas Auge

       Mankhaliputta Goschala – Samana-Guru, Fatalist, Kauz (ca. 550–501 v. Chr.)

      Er kam als Sohn eines Bänkelsängers in einem Goschala (Sanskrit: Kuhstall) zur Welt (wie ein halbes Jahrtausend später Jesus von Nazaret) und wurde 524 v. Chr. vom luftgekleideten Furtbereiter und Extrem-Asketen Vadahamana, dem späteren Nigantha Naataputta, dessen Schüler er unbedingt werden wollte, abgewiesen. Trotzdem setzte er ab sofort dessen Lehre in seinen Lebensalltag um, legte


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