Unheilige Narren. Ulrich Holbein

Unheilige Narren - Ulrich Holbein


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Göttern die Realität ab. Cartesius – eiskalt wie Brhaspati oder Nagardschuna – sprach Tieren die Seele ab. Aufklärer à la Voltaire und Feuerbach – fast so rücksichtslos wie Brhaspati – sprachen Gott die Existenz ab. Der Koran sprach Jesus die Gottessohnschaft ab.

      Zwischenresultat: Neben die Bejaher traten von frühauf die Welt- und Lebensverneiner, wie Albert Schweitzer sie nachträglich nannte.

      Philosophen tun ihren Vorgängern nichts Gutes, widerlegen sie umfassend, sägen sie ab. Fastende Zölibatäre tun ihrer natürlichen Triebwelt nichts Gutes, lotsen ihre Mitwelt in die Beichtstühle und deuten das Diesseits als Jammertal. Beim Abrutschen in tiefere Etagen und auf spätere Schwundstufen werden dann Koryphäen, Vordenker, Querdenker und Denker zu Kritikastern, Querulanten, Defätisten, und ehrwürdige Geistliche zu Haßpredigern, und Asketen zu Hungerkünstlern auf Jahrmärkten, zu lächerlichen Hagestolzen und ollen Jungfern des auslaufenden 19. Jahrhunderts.

      Kulinariker, Gourmets, Genießer, Genußmenschen, Hedonisten, Epikureer, Hymniker, Panegyriker, Verherrlicher, Verklärer, Lobredner, Laudatoren, Bauchpinsler, Speichellecker schwelgen allesamt mehr oder minder in Daseinswonne.

      Ethiker, Positivlinge, Friedenspreisträger und Verantwortungsträger wie Konfuzius, Locke, Hume, Albert Schweitzer, Elisabeth Kübler-Ross, Hans Jonas, Vaclav Havel, Franz Alt, Jörg Zink, Margot Bickel, Nelson Mandela, Roman Herzog, Ulrich Wickert, Peter Hahne und andere Optis, Oberflächenglätter und Heilsarmeestifter sehen alles viel zu rosig, und vice versa:

      Schwarzseher, Pessimisten, Wahnpatienten, Apokalyptiker, Negativlinge, Lüstlinge des bösen Blicks, Warner, Mahner, Droher namens Yang Dschu, Kassandra, Ata as-Salimi, Fariddudin ’Attar von Nischapur, Nostradamus, Ciacomo Leopardi, Arthur Schopenhauer, Franz Grillparzer, Lord Byron, Charles Baudelaire, Gustave Flaubert, der Miserabilist Julius Bahnsen, Brechts asozialer Baal, E. M. Cioran, Thomas Bernhard, Samuel Beckett, Eckard Sinzig, Ulrich Horstmann, Lutz Fux stochern als heimlicher Mittäter oder als halb draus hervorguckender Lichtblick im aufgerundeten Unheil, in all diesen weiterhin unverdrossen untergehenden Abendländern, abgedankten Subjekten und vielen anderen Irreparabilitäten, Pulverfässern, Eisbergen und Marktlücken – und sehen also alles viel zu schwarz.

      Kirchenlehrer Thomas von Aquino zählt als Eckpfeiler des Gesamtgebäudes Katholizismus zu den dreiunddreißig größten Heiligen, viel zu hart, kalt, ernst und streng, um je als heiliger Narr gelten zu können, aber indem er unbeugsam dekretierte, was für läßliche Bagatelldelikte als Erzsünde und Todsünde zu gelten hätten und daß die Kirche töten dürfe, mutierte er im welthistorischen Rückblick zum epochalen Vordenker der Inquisition und deren weltlicher Verlängerung, des Nazitums, wodurch sich rückwirkend deutlich unheilige Aspekte ins strahlende Zentrum der größten und eigentlich fleckenlosesten Heiligkeit einschlichen.

      Sehr doppelschlächtig schillerte der spätgeborene Spätgotiker oder wiederauferstandene Urchrist Savonarola zwischen Heilig und Unheilig, zwischen verweltlichtem Leben à la Renaissance und Kirche, was er als reparierbares Unheil sah, aber die Härte seines Kampfes gegen solches Unheil – sein Votum für Todesstrafe – fiel dann auf ihn selbst zurück, sodaß diese zunächst besonders imposant aufleuchtende Heiligengestalt alsbald dann eher zum Unheiligen mutierte.

      Sobald heilige oder unheilige Narren diesseits religiöser Zusammenhänge ihr Wesen treiben, sind’s dann nur Profannarren, Spinner, Oberspinner und normale Bösewichter.

      Mancher altböse Feind und Übermensch wär gern so richtig böse, findet aber keine Untertanen, die er drangsalieren könnte. Manche Leut sind einfach nur böse und finden keinen Trick, um sich raufzuschaukeln ins Hoheitsgebiet unheiliger Narren.

      All die Allmachtsphantasten, die jahrzehntelang Warlord und Blutsäufer spielen, könnten doch von all den Vergleichsfällen lernen, daß kaum jemand so ungeschoren davonkommt wie Mao Zedong, Stalin, Pol Pot oder Idi Amin, sondern daß Scheitern und ein extrem unrühmliches Ende die Regel bleiben – siehe Hitler, Ceauşescu, Gaddafi oder Osama bin Laden.

      Leider sind humorbegabte Diktatoren wie Idi Amin und Gaddafi nicht als weniger schlimme Unheilsanrichter tätig denn humorlose Gestalten à la Osama bin Laden.

      Die feinen und unfeinen Übergänge zwischen philosophischen Weltgebäuden, ideologischen Systemen und pathologischen Wahnsystemen können so zusammenfließen wie die Unterschiede zwischen dunklen Seelen und fiesen Exzentrikern. Ob sich ein brutaler Staatenlenker oder Minderheitenpeiniger vom theoretischen Falsifikateur sehr unterscheidet oder nicht so sehr, bleibt Betrachtungssache.

      Der Philosoph Günther Anders sagte vom klassischen Nihilisten, sein Ziel sei, das Universum zu vernichten, er könne aber nicht einmal die Provinz anritzen. Er nennt da aber keine Namen, außer den Hölderlinischen Empedokles. Welcher klassische Nihilist hätte denn gern das Universum vernichtet? Buddha, indem er das Rad der Wiedergeburten mit einigen uneffektiven Disziplinarregeln anhalten zu können wähnte? Auch hier nichts als profaner Niedergang: Heutige Terroristen und Selbstmordkommandos stecken sich viel bescheidenere Ziele, als gleich das Universum zu vernichten, und müssen sich auf ewig begnügen, bloß einige abzählbare Passanten in den eigenen Tod mit hineinzureißen, höchstenfalls vielleicht ein Machtsymbol zu demolieren, falls dieses, just wie das WTC in New York, nicht selber von innen heraus kaputtgehn will, so oder so dem Gesamtpaket des Feindes noch nicht mal einen Mückenstich zufügen zu können, keinerlei Provinz anzuritzen. Also jemand, der sich aus irgendwelchen ideologischen Gründen zum hehren Lebensziel die Weltvernichtung setzte, hätte ziemlich viel zu tun und käme kaum vorwärts. Wer mit dem Daumen am schwarzen Koffer sitzt, will immer nur Antipoden namens Evil draufgehn lassen, aber sich selbst und die eigenen Leute übriglassen. Und einzelne Persönlichkeiten wie die Kosmoshasser E. M. Cioran, Eckard Sinzig und Lutz Fux würden zwar gern unbesehn das ganze ärgerliche Universum in toto einstampfen oder ihm eine Selbstausschlürfung via schwarzer Löcher gönnen, ohne Notausgang für Ausnahmetalente wie Noach, wissen aber technisch nicht wie, wären zu gescheiter Universumsbekämpfung auch viel zu mikroskopisch gebaut und peripher postiert – und notieren unterdessen halt gern noch ein wenig negative Aphorismen und Lyrik – sprich: schwarze Betthupferl – und zeigen dem Pressephotographen eine möglichst auf finster getrimmte Leidensmiene.

      Auch auf diesem Sektor sind die unheiligen Närrinnen mal wieder die besseren Menschen. Wer Kinder austrägt, kann zwar Pflegeinstinkte drosseln und reduzieren, aber will nicht gleich das Universum ausräuchern. Weiß Gott, es gibt Todesgöttinnen, Racheengel, Giftmischerinnen, Giftspritzen, Stechmimosen, Keiftanten, eiserne Ladies à la Miss Thatcher, dämonische Kinderärztinnen, Lagerkommandantinnen, aber die Kategorie „Kosmoshasserin“ als Fulltime-Job wär mal ein ganz neues Genre. Auf 21 unheilige Arschlöcher, Hexenjäger und Narren kommt bloß eine Satanspriesterin. Die allermeisten Närrinnen sind gute Hexen, die sich ausschließlich blütenweißer Magie hingeben. Die Sektiererin, Urmutter, heilige Hure Eva Margaretha von Buttlar (1670–1721) beging nichts Verwerflicheres, als daß sie wie allerlei Gnostiker oder die russische Sekte der Clysten bzw. Rasputin geistliche Verzückung mit geschlechtlicher Wollust in sinnigen Einklang bringen wollte, wofür sie so viel Haß einfuhr wie Rasputin; nur würde ihr Porträt wegen schlechterer Quellenlage und mangelndem Figur-Relief neben Rasputin arg blaß und kurz ausfallen. Desgleichen – die rabiate Anti-Prohibitions-Aktivistin, Temperenzreformerin, Kneipenzerschmeißerin Carry Amelia Nation (1846–1911), vor deren Axt Cowboys zitterten, profilierte sich bloß wie Abraham, Mose, Jesus als Götzenzertrümmerin, ohne daß diese drei je eine Anzeige wegen Sachbeschädigung bekommen hätten; sie hatte halt nicht, wie der Fatimiden-Kalif Al-Hakim bi Amrillah oder der Verbrenner eitler Sachwerte Savonarola eine (bröckelnde) Mehrheit Gleichgesinnter hinter sich und würde dadurch eine schmalspurigere Figur abgeben. Zwar gäbe es als Gegengewicht zu all den Bad Boys und bösen Buben eine prachtvolle Zahl von Wilde Women, stutenbissigen Ulknudeln – doch auch hier will bedacht sein: Die femme fatale à la „Lulu, ein Weib wie der Satan“ kommt wohl nur im Umgang oder im Blick entsprechender Mannsbilder zustande. Bei sich daheim kocht fast jede Hexe auch nur mit Wasser. Nicht jede bescheidet sich wie Maos vierte Ehefrau Tschiang Tsching zu sagen: „Ich war der Hund des Vorsitzenden Mao. Wen er zu beißen befahl, den biß ich.“ Andererseits kippt manch eine Diotima dann auch gern mal in eine Domina um. Diktatorengattinnen sollen genauso raffgierig, machtbesessen, skrupellos sein wie ihre Männer und


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