Unheilige Narren. Ulrich Holbein

Unheilige Narren - Ulrich Holbein


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v.Chr.), ständig wieder über den Weg und wurde von diesem Meister, dessen Lehre sich inhaltlich von Buddhas Lehre fast überhaupt nicht unterschied, dann doch noch als Schüler akzeptiert. Jahrelang teilte das Asketen-Duo alle Entsagungen besitz- und hauslosen Lebens. Durchdrungen von der Ansicht, daß alles a priori unrüttelbar festgelegt sei, ließ sich auch das nähere Schicksal voraussehen. Man wetteiferte als Prophetenpaar. Naataputta eilte im Sektor Zukunftsschau Mankhaliputta weit voraus; seine Voraussagen, z. B. daß heute eine gefälschte Münze im Bettelnapf landen werde, trafen oft sogar dann ein, wenn Mankhaliputta das Eintreffen einfallsreich zu verhindern suchte. Wer diesem Bettler nichts gab, dem weissagte er, daß sein Haus abbrennen werde, was dann sogar derart oft tatsächlich geschah, daß der Verdacht aufkam, der Bettelmann würde seinen Prognosen nachhelfen. Öfters vertrimmt ward er, weil er prahlte, Streiche spielte oder allzu offen bei einem Hochzeitszug auf die optische Unschönheit von Bräutigam und Braut anspielte. Weil Naataputta ihm nicht gegen die Prügel der Trauzeugen half, verließ Mankhaliputta seinen Meister und stieß später doch wieder zu ihm. Nächster Eklat: Mankhaliputta frug Naataputta, ob dieses blühende Sesamkraut wohl Frucht tragen würde. Der bejahte; da riß Mankhaliputta, zuungunsten der Prognose, die Pflanze hinterrücks aus. Später kamen sie nochmal dort vorbei, da hatte das Kraut nochmal ausgeschlagen und gab Naataputta recht, der seinen kauzigen Schüler nun endgültig davonjagte, um 517 v.Chr.

      Jahre verbrachte Mankhaliputta auf Wanderschaft. Zur Regenzeit kehrte er stets in Savatthi im Haus einer Töpferin ein, vervollkommnete magische Fertigkeiten, mäßigte seinen Fopptrieb, baute seine Weltsicht zu einem enzyklopädischen Weltsystem aus, fand Laienschüler, beeindruckte sogar den Kosala-König und den Buddha-Freund Pasenadi. Den Begriff Karma wies er zurück, im Gegensatz zu den Wunschdenkern Mahavira und Buddha. Er durchschaute die Hindu-Doktrin, durch eigene Mühe und Übung aus der Illusion unzumutbaren Geburtenrecyclings herauszutreten, selber als Illusion. Unerbittlich betonte er den starren, völlig unbeeinflußbaren Weltlauf. Auf solcher Negativität ließ sich keine ethische Weltordnung bauen. Mankhaliputta verkündete: Nach 84.000.000 Weltperioden werde jeder, ob töricht oder weise, einerlei, was er vorher tat oder sein ließ, automatisch von jeglichem Leiden erlöst. Im 24. Jahr seines Samana-Seins versammelte Mankhaliputta seine sechs Hauptjünger um sich, um seine Fatalismuslehre zu kodifizieren. Gautama Buddha aber wies das System seines spirituellen Rivalen als allerschlimmste Irrlehre zurück. Allen anderen Religionslehren seiner Zeit gegenüber verhielt sich Buddha akzeptierend, ja, sozusagen tolerant; nie schimpfte er auf seine vielen Rivalen und Abweichlinge; einzig Mankhaliputta Goschala, dem er nie über den Weg lief, außer einmal beinahe, wurde ihm zum Dorn im Auge, zum Stein des Anstoßes, zur Zielscheibe verurteilender Rede.

      Nach Jahren traf Goschala seinen Jugendfreund wieder, den inzwischen gewaltig aufgestiegenen Mahavira, der aber leider Goschalas Jugendnarreteien und tückische Prophetien weder vergessen noch verziehen hatte. Goschala beteuerte ihm, er sei nicht mehr der von damals; mehrere geistige Wiedergeburten hätten einen ganz anderen Menschen aus ihm gemacht. Mahavira aber reagierte spöttisch; da wallte und schäumte Mankhaliputta wutschnaubend auf: „Sei durchbohrt von meiner Zaubermacht! In sechs Monaten wirst du an Fieber sterben!“ Mahavira erwiderte unbeeindruckt: „Aber vorher du – und zwar bereits nach sieben Nächten!“ Mankhaliputta zog sich eingedüstert in die Töpferei von Savatthi zurück und begann fast sofort zu kränkeln, redete wirr, tanzte, sang, fieberte, kühlte den kochenden Leib mit nassem Lehm, delirierte, bereitete seine möglichst pomphafte Einäscherung vor, bereute seine Verstöße gegen den asketischen Kodex, gestand seinen Anhängern, er sei nicht erleuchtet und sterbe jetzt am Rückstoß seiner Verfluchung, widerrief seine Anordnungen zu bombastischer Beisetzung und verlangte umgekehrt, seine Leiche zu entweihen, zu bespucken und durch die Stadt zu schleifen, was die Schüler dann nur symbolisch ausführten, auf einem gezeichneten Grundriß der Stadt Savatthi. Verliefen dieses Verwünschungsduell und sein unrühmliches Ende tatsächlich so? Im buddhistischen Überlieferungsstrom verankerte sich davon nichts. Aber in der dschainistischen Tradition, die natürlich Naataputta pausenlos als großen Helden Mahavira verherrlicht, ward Mankhaliputta tendenziöserweise nur als abtrünniger Mahavira-Jünger gehandelt und entsprechend frühzeitig abgewertet, nämlich als wahnsinnig und krank. Vermutlich, ja sicherlich gab es damals vor Ort – wie in den Fällen Caligula, Herodes, Simon Magus oder Peregrinus Proteus – noch andere Versionen und ganz andere Tatsachen.

      Die Adschvika-Schule, deren namhafteste Schuloberhäupter Mankhaliputta Goschala und Purana Kassapa hießen, starb in Nordindien im 2. Jh. v.Chr. aus. In Südindien hielt sie sich bis ins 14. Jh. n.Chr. Originalschriften erhielten sich so wenig wie von den Vorsokratikern, alles nur überaus lückenhaft rekonstruierbar aus Zitaten gegnerischer Schulen. Goschalas Erlösungslehre zeigte Querbezüge zur Lehre, wie sie separat im Abendland, siebenhundert Jahre nach ihm, von Origenes entwickelt wurde. Goschala stand unterbelichtet und düster in der Geistesgeschichte als konsequentester und frühester Pessimist, goldgrundloser als spätere Gnostiker, auswegloser als später der Theosoph, Synthetiker, Endzeitdenker und epochale Weltreligionsstifter Mani, aus arsakidischem Geschlecht im Partherreich, der Vater des Manichäismus (216–276 n.Chr.), und alle anderen Sektenchefs, Religionsstifter und Denkschulen. Goschalas Lehre wurde von späterem Okzident Fatalismus und Determinismus genannt, subsumierbar unter erkenntnistheoretischem Skeptizismus. Bis ins Jahr 2012 n.Chr. hatte es Goschala (Gosala) noch nicht geschafft, wenigstens in den Google hineinzukommen.

      Worte von Mankhaliputta Goschala: Glück und Leid sind wie mit Scheffeln zugemessen, und der Kreislauf der Seelenwanderung hat seine vorherbestimmte Gesamtdauer. Nichts kann abgekürzt oder verschoben, keine Schuld verkleinert und keine Erlösung vorverlegt werden. Wie ein hingeschleudertes Garnknäuel abläuft, nur indem es sich abwickelt, geradeso werden Toren wie Weise, einfach indem ihre Seelen wie vorgesehen im Kreis wandern, das Leiden beenden.

      Andere über Mankhaliputta Goschala: Ich kenne keinen, der so vielen Leuten zum Unheil, Schaden und Unglück wirkt wie Mankhaliputta, der Verrückte. Wie von allen gewebten Gewändern, die es gibt, ein härenes Gewand das schlechteste heißt – ein härenes Gewand, ihr Jünger, ist in der Kälte kalt, in der Hitze heiß, von schmutziger Farbe, übelriechend, rauh anzufühlen –, so, ihr Jünger, heißt von jeglichen Lehren der anderen Asketen und Brahmanen des Mankhaliputta Lehre die schlechteste. (Gautama Buddha)

       Ein Hund, der kranken Wohlgeruch umarmte

       Apemantus – Kyniker, Misanthropos, Parasit (17. Jh. n. Chr. bzw. ca. 415 v. Chr.)

      Herkunft unbekannt, bzw. kann sie sich Shakespeares Timon von Athen nur so erklären, daß ein Lumpenhund in einem Anstoß von Brunst irgendeine Bettlerin überfallen und ihn zusammengeflickt habe; karamasowisch gesagt: Er entsprang der Nässe der Badstube; deftiger Volksmund nannte so einen gern „Hurensohn“. Demgemäß lautete eins von Apemantus’ späteren Lieblingsschimpfworten: „Bastard“, zu deutsch: Wechselbalg (seit entthrontem Adel und entthronter Rassenkunde kein Thema mehr, zeitweise). Schwere Kindheit gehabt zu haben umschrieb sich bei Shakespeare etwas poetischer: Nie umschlang ihn der weiche Arm des Glücks. Keiner schmeichelte ihm je; keiner brauchte ihn je. Ihn härtete die Zeit. Alles verwarf er; nichts fand er seines Denkens wert. Das Bett der Wollust winkte selten oder nie. Er hatte bestenfalls nur die Wahl, Schmeichler oder Schurke zu werden, und neigte bald der kynischen Philosophie zu, als Churlish Philosopher. Doch seine Mittel reichten kaum hin, sich einen Hund zu halten. So lief er selber als Hund herum und umarmte kranken Wohlgeruch. Seine fiese Eloquenz öffnete ihm dann den Zugang zu privaten Festivitäten oder sogar Sympathien des freigebigen Gastgebers Timon. Begrüßte dieser ihn in guten Zeiten mit „mein art’ger Apemantus“, replizierte dieser schlagfertig: „Spar, bis ich artig werde, deinen Gruß!“ Der philosophische Grobian begab sich immer wieder zu Timons Gelagen, weniger um zu schmausen, laut Selbstaussage, als sich dran zu weiden, wie Speise Schurken mästet und der Wein den Narren zu Kopf steigt: Alles nur hohler Pomp und Pasteten bloß – Fraß. Weder einem Schwur glaubte er, noch der Träne einer Dirne, noch einem scheinbar schlummernden Hund. Im geselligen Prosit witterte er bereits Verrat. Im getrunkenen Wein sah er die zu trinkenden Tränen und im Freudentanz das Herumtrampeln auf z.B. ihm. Hofetikette durchschaute er als lieblose Schleimerei – plädierte er etwa indirekt für Liebe und Ehrlichkeit? Eleganten Feldherren wie Alkibiades wünschte


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