Unheilige Narren. Ulrich Holbein

Unheilige Narren - Ulrich Holbein


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blieb’s ein unlösbares welthistorisches Riesenproblem, daß al-Hakim sich – bei allem Zölibat – tatsächlich dauernd wiedergebar, mal als um 500 Jahre verfrühter Calvin, mit mehr oder weniger gebundnen Händen, mal als ein arabischer Girolamo Savonarola des Fatimidenreiches am Nil, frauen- und kunstfeindlicher als Ajatollah Chomeini, mal als ein um tausend Jahre verfrühter Taliban.

       Durchbruch verspäteter Spätgotik

       Girolamo Savonarola – Bußprediger, Bilderstürmer, Theokrat (1452–1498)

      Er trat die Laufbahn eines Arztes an und plötzlich dem dominikanischen Kampfbund gegen Ketzer bei. Düstere Prophezeiungen gingen gespenstisch in Erfüllung, sogar der Blitzschlag in den Dom anno 1492. Aus der Hydra zumeist ziemlich windiger, verpönter Bußprediger, allen voran der haßvolle Bernhardino da Siena, wuchs in Savonarola ein Haupt nach, das mit noch lauterer Stimme von den üblichen Mahnungen und Drohungen kaum abwich: Um seine Donnerworte zu hören – Schwerter, die durch die Seele bohrten – drängten 16.000 Seelen in den Dom. Obwohl Konkurrenzpropheten wie Fra Mariano da Genazzano viel stilvoller und kunstreicher predigten als er, und obwohl Domenico da Ponzo noch viel frappantere Voraussagen losließ, erwies Savonarola sich als durchschlagender und magnetischer. Sein Ziel: der Kurie ihre frühere Macht zurückgeben. Wortgewaltig wetterte er gegen den Jahrmarkt der Vanagloria (Eitelkeit), Sinnlichkeit, Weltzugewandtheit, Putzsucht, Zinswucher, Hochzeitsprunk, Zuchtlosigkeit, Ausschweifung. Wissenschaft wurde von Fra Girolamo als schädlich eingestuft; Ragioni naturali (Vernunftgründe) standen dem Glauben unerfreulich im Weg. Klassische Lektüre lehnte er nicht in Bausch und Bogen ab, wollte sie aber auf Homer, Vergil, Cicero beschränkt sehen, unter Ausschluß von Ovid, Catull, Tibull, Terenz u. a. Den „Heiden Aristoteles“ zitierte er als Eidhelfer seiner Ansicht, man solle keine unpassenden Bilder dulden. Frauen empfahl er, ihre Kinder nicht von Ammen stillen zu lassen, um sie vor deren geringem Geist zu bewahren, der in der Muttermilch stecke (abergläubisch wie Dr. Rudolf Steiner, der Schwangere davor warnte, „Neger“ anzuschauen). Ständig kam er auf den Zorn Gottes zu sprechen, der offenbar in genau demselben Grad zu wecken war wie bei ihm selber. Den Prediger, also sich selbst, setzte er in der Hierarchie der Geister unmittelbar unter den untersten der Engel. Damit ihm aber seine Erfolge als Redner nicht zu Kopf stiegen, nahm er oft einen winzigen Totenkopf aus Elfenbein zur Hand und besah ihn sinnend. Als er auf dem Weg in eine Savonarolianische Theokratie im Herzog Ercole einen glühenden Traumverwirklicher seiner Ideen fand, bestärkte er ihn darin, Ferrara von schlechten Menschen zu reinigen. Er inaugurierte eine Kinderpolizei, die an Engelknaben erinnern sollte: Sie zerfiel in Friedensstifter, Mahner, Schnüffler, Petzer, Einsammler von sog. „Eitelkeiten“ und in Übermaler der Graffiti Andersdenkender. Sobald man den minderjährigen Kontrolleuren, Eintreibern, Beschlagnahmern nicht gehorchte, bekamen sie volljährige Verstärkung. Das Fegefeuer der Eitelkeiten, das anstelle des Karnevals stattfand, auf der Piazza della Signoria: Kunststickerei, Büsten und Gemälde schöner Florentinerinnen, Spieltische, Würfel, Karten, kostbare elfenbeinerne Schachfiguren, Trionfi, Liederbücher, Harfen, Lauten, Cembali, Dudelsäcke, Duftflaschen, Kunsthaar, Tricktracks, Schleier, Salbentöpfe, Spiegel, Puder, Kämme, Larven, Kunstbärte, Karnevalskostüme, Bücher, Pergamentdrucke von Boccacchio, Petrarca: alles bei Glockenklang auf baumförmigen Stufenpyramiden geschichtet (statt christliches Vorbild: Rogus, wo römische Imperatorenleichen verbrannt wurden), ging in Flammen auf. Priester erschienen olivenkranzgeschmückt, also ausgerechnet antik staffiert. (Spätere Parallele: USA-hassende Taliban, die gern Cola trinken.) Gotteslästerern wollte er die Zunge durchbohren, Spielsüchtige lebendig verbrennen. Eiskalt und knallhart forderte er für noch geringere Vergehen die Todesstrafe. Dienern und Sklavinnen, die ihre würfelnden und kartenspielenden Herren denunzierten, versprach er Freiheit und Lohn, was sich als undurchführbar erwies. Gleichwie es der Kirche nie gelungen war, überbordenden Karneval einzudämmen, gelang es Savonarola nicht, der Buhlerei und käuflichen Liebe Herr zu werden. Die in Florenz verbreitete Knabenliebe bekämpfte Savonarola als Sodomie. Die Diktatur der Guten gefiel nicht jedem: Florenz polarisierte sich in Arribiati (Wüteriche), die Unterschriftenlisten kreisen ließen und diese contra Savonarola in Rom einreichten, in Bigi (die Grauen), Tiepidi (Laue) und u. a. in Compagnacci (Kumpane), die seine Kanzel mit Unrat besudelten, so daß diese vor Benutzung erst abgehobelt werden mußte, seine Predigten mit stinkend geschwenkten Eselfellen (Vorform späterer Stinkbomben) und Knüttellärm auf Kästchen störten (wie später Adornos Studenten Vorlesungsboykott betrieben), und in Piagnoni und Frateschi, die gleichfalls Unterschriften sammelten, um seine einzigartige Frömmigkeit zu rühmen und zu bitten, ihn vor Exkommunikation zu bewahren. Hochfinanz, Stadtväter, Obrigkeiten, Zünfte zerrissen sich im aufgepeitschten Hexenkessel und Kompetenzgerangel die Mäuler über den Einpeitscher und Unruhestifter. Eine Einladung des Papstes, scheinbar überfreundlich, sagte er ab, aus gesundheitlichen Gründen, die ihn auch am Predigen hinderten; als er wieder zu predigen anhub, verbot der Papst ihm dies, offiziell aus Sorge um dessen Gesundheit. Er wiederum bezichtigte den Papst, durch die Todsünde der Simonie auf den Stuhl Petri gekommen zu sein und nicht an Gott zu glauben – starker Tobak. Der unerbittliche Ketzerjäger wurde dann selbst genauso unerbittlich als Ketzer widerrechtlich zum Tod verurteilt und auf derselben Piazza hingerichtet, auf der er die Bücher-usw.-Verbrennung inszeniert hatte.

      In Savonarola focht späte Goldgrund-Gotik gegen die Farbenpracht der Renaissance – Florenz als Reich Gottes auf Erden, Enklave in allzu verweltlichter Gesamtlandschaft. Bloß elf Jahre später wuchs der unerbittlichen Hydra ein Haupt in Johannes Calvin nach. Geistesgeschichtlich stand Savonarola zwischen Mose, der den unausrottbaren Tanz ums Goldene Kalb zu unterbinden versuchte, und den Talibankämpfern, die das unislamische Goldene Kalb der afghanischen Buddhas von Bamiyan sprengten und gleich denen er für bedeckte Häupter und verhüllte Angesichter votierte und in Predigten vor Frauen sogar aufforderte, Ehrbarkeit bei schwarzverhüllten Türkinnen zu lernen; auch er trug eine tschadorfarbene Kutte. Nach 1989 nannte man Savonarola den „Ajatollah Chomeini der Renaissance“ und Chomeini den iranischen Savonarola. Im Rückblick erinnerte die Kindleinarmee, die er zu sich kommen ließ, eher an Kinderkreuzzug, Roßbuben, Hitlerjugend, Luftwaffenhelfer, FDJ, Rote Garde, Kindersoldaten in Sierra Leone, Liberia, Uganda, Burma. Alle obsessiven oder auch gemäßigten Persönlichkeiten, die man später inflationär als „charismatisch“ rühmte, nahmen Maß am Charisma Savonarolas. In jedem Hardliner und Fundamentalisten stand Savonarola erneut auf, kaum abgepuffert durch komplementär bzw. karmisch beigegebene Softies wie Filippo Neri. Als Abschreckungsbeispiel und Prototyp des Fanatikers blieben Savonarola und Calvin auf stets wieder verblüffende, allzu naheliegende Weise beklemmend hochaktuell, zwischen Morgenthau-Plan und Öko-Diktatur. Selbst noch in Karnevalsverboten bei Golfkriegen oder in Parolen wie „Schluß mit Lustig!“ von z. B. Peter Hahne blieb ein lendenlahm gezähmter Savonarola spürbar.

      Worte von Savonarola: Betet für die Stadt und sorgt dafür, daß die Frauen von den Männern getrennt sind, wie wir es das letzte Mal gemacht haben. – Mütter führen ihre unverheirateten Töchter gleich Nymphen schamlos entblößt zur Kathedrale wie zur Schaustellung. – Ein altes Weib weiß mehr vom Glauben als Platon. Es wäre gut für den Glauben, wenn viele sonst nützlich scheinende Bücher vernichtet würden. – In der Urkirche waren die Kelche von Holz und die Prälaten von Gold, jetzt aber sind die Kelche von Gold und die Prälaten von Holz. – Ich bezeuge hiermit im Namen Gottes, daß dieser Alexander kein Papst ist und es auch nicht sein kann. – Macht ein Feuer, das ganz Italien ergreift!

      Savonarola über sich selbst: Es ist mir nie in den Sinn gekommen, die Dichtkunst zu verdammen, sondern nur den Mißbrauch, den viele mit ihr treiben. –

      Andere über Savonarola: – ein giftmischerisches Monstrum, geboren zum Verderben des Volkes. (Marsilio Ficino) – ein fratzenhaftes, phantastisches Ungeheuer (Goethe) – Er möchte gern verbieten, was sonst nicht zu beseitigen ist. Überhaupt war er nichts weniger als liberal; gegen gottlose Astrologen z. B. hält er denselben Scheiterhaufen in Bereitschaft, auf welchem er hernach selbst gestorben ist. Wie gewaltig muß die Seele gewesen sein, die bei diesem engen Geiste wohnte! (Jacob Burckhardt) – Der antike Mythos war ein Unterhaltungsstoff, ein allegorisches Spiel; durch seine dünnen Schleier hindurch sah man den wirklichen, den gotischen, nicht minder scharf. Als Savonarola auftrat, verschwand das antike Getändel sofort


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