Der Grüne Planet. Erik Simon

Der Grüne Planet - Erik Simon


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      von Uwe Hermann

      Es gab niemanden, der bemerkte, wie der Roboter den Rasen mähte. Es gab auch keinen Rasen mehr, trotzdem steuerte der humanoide Haushaltsroboter den Aufsitzrasenmäher über das vertrocknete, staubige Feld, das einmal eine Grünfläche gewesen war. Eine unnötige Arbeit, doch die Pflege des Gartens hatte schon immer zu seinen Aufgaben gehört. Schon damals, bevor die Klimakatastrophe die Welt aus den Angeln gehoben hatte. Wie jede Woche beendete er seine Arbeit zur exakt gleichen Zeit. Er steuerte den Rasenmäher zurück in die Garage, die nur noch aus halb verfallenem Mauerwerk und den Resten eines Daches bestand, und ging zum hinteren Bereich des Gebäudes. Hier schloss er die Tür auf und betrat das Haus. Der Roboter hätte auch durch eines der vielen Löcher in den Mauern ins Innere gelangen können, aber seine Programmierung beharrte darauf, dass Wände nicht dafür bestimmt waren, durch sie hindurchzugehen.

      Robard, so hatte der Hersteller den Roboter genannt, ging durch den Flur zur Küche. Durch die zerbrochene Wohnungstür schaufelte der Wind Sand herein. Ein Fenster im oberen Stockwerk klapperte.

      Das Kaffeebohnenmuster auf der beigen Küchentapete war längst nicht mehr zu erkennen, deren Farben verblichen. In einer Wand klaffte ein Loch. Die Motorhaube eines verrosteten Geländewagens ragte herein. Anfangs hatte die KI des Wagens noch funktioniert, und Robard und er hatten sich oft darüber unterhalten, wie es geschehen konnte, dass er von der Straße abgekommen und in die Hauswand gekracht war. Inzwischen schwieg der Wagen. Robard hatte keine Ahnung, ob seine Energie aufgebraucht war oder ob er resigniert hatte. Inzwischen musste auch ihm klar geworden sein, dass niemand kommen, ihn abschleppen und reparieren würde. Robard vermisste die Gespräche mit der KI. Überhaupt vermisste er alles, was früher Lärm gemacht hatte.

      Er ging zur Küchenzeile und holte ein paar Töpfe aus dem Schrank. Das Klappern war ein beruhigendes Geräusch. Von den elektrischen Geräten funktionierte kaum noch etwas. Ohne die Solarpaneels auf dem Dach gäbe es auch keinen Strom mehr, doch noch arbeiteten sie und ihre Leistung reichte aus, um Robards Akkus zu laden und das Haus und den Rasenmäher mit Energie zu versorgen. Er warf einen Blick auf die Wanduhr. Die Zeiger standen still, aber Robard brauchte sie nicht, um zu wissen, dass es Zeit für das Mittagessen war. Bald käme seine Familie nach Hause. Und sie würden etwas essen wollen. Robard rief ein abgespeichertes Video aus vergangenen Tagen ab und sah die Kinder ins Haus stürmen. Die Schultaschen flogen durch die Luft, und wie immer ignorierten sie seine Mahnung, sorgfältig mit ihnen umzugehen. Ihr Geschrei tat gut. Robard bereitete das Essen vor und deckte den Tisch. Dann stellte er sich neben die Haustür und wartete.

      Die Kinder kamen nicht. Und auch nicht ihre Eltern. Niemand aus seiner Familie kam.

      Nach dem Mittagessen räumte er den Tisch ab und warf das Essen in den überquellenden Müllschlucker. Mit einem Tuch säuberte er das unbenutzte Geschirr und stellte es zurück in den Schrank, während er sich Gedanken über das Abendbrot machte. Die Vorratskammer enthielt keine Lebensmittel mehr. Er würde welche besorgen müssen. Also verschob er die Reinigung der Zimmer auf einen späteren Zeitpunkt und verließ das Haus.

      Im Freien herrschten Temperaturen, die kein Lebewesen auf Dauer ertragen konnte. Um diese Uhrzeit war es so heiß, dass selbst Robard vorsorglich im Schatten der Gebäude blieb. Seit dem Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre beschränkte sich die Vegetation auf karge Gräser. Die Bäume waren abgestorben und zu skelettartigen Gerippen verkommen. In diesem Teil des Landes herrschte ein wüstenartiges Klima, während anderswo ganze Städte in den Fluten der Meere versanken oder sintflutartige Regenfälle die Landschaft fortspülten. Die Welt war aus den Fugen geraten.

      Auf dem Nachbargrundstück beschnitt ein älteres Modell eines Gartenroboters die längst abgestorbene Hecke. Robard blieb stehen und winkte.

      »Hallo Nachbar, was macht der Ladezustand?«

      Der Roboter unterbrach seine Tätigkeit und winkte zurück. Gleichzeitig spielte er ein einprogrammiertes Seufzen ab.

      »Ach, meine Akkus werden auch nicht mehr jünger. Nicht mehr lange und ich muss ständig am Ladegerät hängen. Wo willst du denn bei dieser Hitze hin?«

      »Die Speisekammer ist leer. Ich versuche etwas zum Essen aufzutreiben.«

      Sein Nachbar nickte in menschlicher Manier.

      »Dann halt bitte die Kameras nach 24er Kugellagern auf. Meine Gelenke machen nicht mehr lange.«

      Robard versprach es und der Gartenroboter setzte seine sinnlose Tätigkeit fort.

      Am Ende der Straße blieb Robard stehen und verglich seine Position mit der Karte seiner Navigationssoftware. Die GPS-Satelliten im Orbit sendeten schon lange keine Signale mehr, und er musste sich auf seine optischen Sensoren verlassen. Neben ihm auf der Straße standen verrostete oder ausgebrannte Fahrzeuge. Manche ineinander verkeilt, als hätte ein defekter Werkstatt-Reparaturautomat sie miteinander verschweißt.

      Ein autonomer Einkaufswagen rumpelte an ihm vorbei. Robard bemerkte in seinem Korb ein paar Konservendosen, Packungen mit Nudeln und Wasserflaschen. Wasser! Wasser war kostbar in dieser Zeit. Er mailte den Einkaufswagen an und erfuhr von einem Supermarkt, in dem es noch Lebensmittel geben sollte. Robard ließ sich die Route schicken und machte sich auf den Weg.

      Ab und an sah er andere Roboter, aber nie einen Menschen. Robard besaß noch Videoaufzeichnungen aus den Tagen vor der Katastrophe. Eines legte er über das Bild, das seine Kameras lieferten, und plötzlich war die Straße voller Leben. Menschen gingen vorüber. In den Fensterscheiben der Geschäfte gab es ein endloses Angebot an Waren. An einem Stand verkaufte jemand Speiseeis. Auf der Straße standen noch immer Fahrzeuge, doch jetzt war der Verkehr durch eine »Fridays for Future«-Demonstration zum Erliegen gekommen. Kinder bevölkerten die Straße und marschierten für eine bessere Zukunft.

      Heute waren die Straßen leer. Und totenstill. Sein Nachbar sagte, dass die Folgen der Klimaerwärmung und der Kampf um die letzten Ressourcen die halbe Menschheit ausgelöscht hatten und dass sie niemals wiederkehren würden. Robard glaubte nicht daran. In seinem Datenspeicher gab es ein Buch, in dem ein Mensch am dritten Tag von den Toten auferstanden war. Er hatte seiner Familie oft aus diesem Buch vorlesen müssen. Vor allem an den Tagen, als die Lage sich immer mehr verschlimmerte. Zu gerne hätte Robard das Internet befragt, wie oft so eine Auferstehung vorkam, aber das Netz war schon vor langer Zeit zusammengebrochen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten.

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      Seine akustischen Sensoren hörten Glas klirren. Er schaltete das Video aus. Auf der anderen Straßenseite putzte ein Haushaltsroboter die zerbrochenen Fensterscheiben eines Einfamilienhauses. Ein Rasenmäherroboter rumpelte durch den rasenlosen Vorgarten. Die Roboter beachteten ihn nicht. und auch er ging weiter, ohne ihnen mehr als einen kurzen Blick zugeworfen zu haben.

      Die Route zum Supermarkt führte über die Hauptstraße. Robard blieb vor der Ampelanlage stehen. Obwohl keine Fahrzeuge mehr fuhren, wartete er, bis die solarbetriebene Lichtanlage auf Grün umsprang. Dann überquerte er die Straße. Eine seiner Unterroutinen fragte sich, wie er auf die andere Seite gelangen sollte, wenn die Ampelanlage einmal nicht mehr funktionierte.

      Auf der anderen Straßenseite führte der Weg weiter, vorbei an einer Autowerkstatt, einer Tankstelle und den Überresten eines Parks. Robard wich von seiner bekannten Strecke ab und folgte der Wegbeschreibung seiner Navigationssoftware. Außer dem Heulen des Windes gab es kaum Geräusche. Ohne die Menschen war es in der Stadt still geworden und die wenigen Tierarten, die die Katastrophe überlebt und sich angepasst hatten, kamen nur nachts heraus. Robard vermisste den Lärm. Er vermisste seine Familie. Aus seinem Speicher suchte er eine Audioaufzeichnung heraus und plötzlich dröhnte die Luft vom Klang vorbeifahrender Fahrzeuge und den Stimmen der vorübergehenden Menschen.

      Er erreichte nach dreiundvierzig Minuten und acht Sekunden ein rechteckiges, hässliches Betongebäude, halb unter einem Berg aus Sand und Schutt begraben. Über dem Vorplatz bewegten sich Roboter. Gerade verschwand ein wuchtiger Werkstatt-Reparaturautomat im Eingangsbereich des Supermarktes. Offensichtlich hatte sich die Nachricht von den Lebensmitteln schnell herumgesprochen.

      Rechts


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