Der Grüne Planet. Erik Simon

Der Grüne Planet - Erik Simon


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in weißes, zerfleddertes Papier verwandelt. Das Licht, das durch die blind gewordenen Scheiben hereinfiel, reichte nicht aus, um den kompletten Innenraum zu beleuchten. Der hintere Bereich des Gebäudes lag im Dunkeln.

      Robard ging an dem Kassenbereich vorbei, auf die Regalreihen zu. Roboter schritten oder rollten an ihnen vorüber, auf der Suche nach etwas Nützlichem. Er schloss sich ihnen an und fand ein paar Pakete mit Nudeln, die aber unter seinem Griff zu Staub zerfielen. Ein Regal weiter sah er einige Mineralwasserflaschen, doch bevor er sie erreichen konnte, hatte der Werkstatt-Reparaturautomat sie sich geschnappt und war weitergeeilt.

      Rechts von sich sah Robard einen anderen Haushaltsroboter. Die Maschine schickte eine kurze Grußmail. Ein autonomer Einkaufswagen in einem katastrophalen Zustand sauste im Zickzack an ihnen vorbei. Seine Kugellager quietschten lautstark. Diesen Maschinen erging es wie Robard. Ihre Programmierung verlangte, dass sie den Menschen dienten, aber es gab niemanden mehr, der ihre Hilfe annehmen konnte. Trotzdem mussten sie Tag für Tag ihre einprogrammierten Aufgaben erfüllen. Sie mähten den Rasen, wuschen die Wäsche, reparierten Fahrzeuge oder kauften ein und sorgten für den Haushalt, so wie Robard es tat.

      Je tiefer er ins Gebäude vordrang, umso schlechter wurden die Lichtverhältnisse. Schließlich schaltete er seine Beleuchtung ein, um noch etwas erkennen zu können. In einem Regal entdeckte er ein Brot, so alt, dass seine Konsistenz einem Ziegelstein glich. Trotzdem packte Robard es in den Einkaufskorb, den er sich am Eingang genommen hatte. Kurz daraufkamen mehrere Konservendosen mit unleserlichen Etiketten dazu. Und endlich auch ein paar Mineralwasserflaschen.

      Die Regale endeten an einer quer verlaufenden Wand aus verstaubten Kühltruhen, allesamt längst geplündert. Im Lichtkegel seiner Scheinwerfer tauchte zwischen den Truhen eine Tür auf. In dem Raum dahinter entdeckte Robard meterhoch gestapelte Kisten und Leerpaletten. Im Hintergrund gab es eine weitere Tür, die der Beschriftung nach in den Keller führte. Robard öffnete einen der Kartons. Er enthielt Unmengen in Plastikfolie verpackter Papierhandtücher. In einem anderen entdeckte er Trinkbecher und Strohhalme.

      Plötzlich sprang eine Gestalt hinter einem der Stapel hervor und torkelte auf die Kellertür zu. Robard schwenkte den Lichtkegel seiner Lampe herum. Er fing das abgemagerte Gesicht eines Menschen ein. Die Wahrscheinlichkeit, noch ein lebendes Wesen anzutreffen, war so gering, dass der Roboter sekundenlang nicht wusste, wie er reagieren sollte. Seine Software analysierte die Situation und suchte nach einer Erklärung, wieso der Mensch noch lebte.

      Bevor der Mann die Kellertür erreichte, brach er zusammen. Seine Notsituation aktivierte Robards Erste-Hilfe-Routine. Er verschob die Suche nach Lebensmitteln auf einen späteren Zeitpunkt und eilte zu ihm hinüber. Die Sensoren diagnostizierten eine Dehydrierung und einen akuten Nahrungsmangel.

      »Verschwinde«, keuchte der Mann, als Robard sich über ihn beugte.

      »Ich will dir nur helfen.«

      Robard nahm eine der Mineralwasserflaschen aus seinem Einkaufskorb und hielt sie dem Mann an die Lippen. Er trank gierig. Dann hob Robard ihn auf und trug ihn zurück in den Verkaufsraum.

      Der Mensch war abgemagert und seine Haut von der Sonne verbrannt. Er hob blinzelnd die Hand, als Robards Licht ihn blendete. Robard schaltete seine Scheinwerfer aus.

      »Hab keine Angst. Ich tue dir nichts. Wer bist du?«

      Der Mann blickte Robard ängstlich an.

      »Ich bin Norbert«, sagte er schließlich. »Ich war einer der Mitarbeiter dieses Supermarktes. Als die Katastrophe eintrat, bin ich nicht wie alle anderen abgehauen, sondern habe mich mit Lebensmitteln eingedeckt und im Keller versteckt. Ich dachte, warum soll ich verschwinden, wenn es hier alles gibt, was ich zum Leben brauche?«

      Robard analysierte seinen Gesundheitszustand.

      »Deine körperliche Verfassung deutet nicht an, dass du alles hast, was du zum Leben brauchst.«

      »Stimmt.« Er lachte kraftlos. »Mein Vorrat an Lebensmitteln ist aufgebraucht, und hier im Supermarkt habt ihr verdammten Maschinen alle Regale geplündert. Auch in den umliegenden Häusern gibt es nichts mehr.«

      Robard dachte an das Brot in seinem Einkaufskorb, aber vermutlich waren die Zähne des Menschen nicht stabil genug, um es beißen zu können.

      »Du kommst mit mir. Wir finden sicher noch etwas zu essen und meine Familie wird sich über einen Besucher freuen.«

      Der Mann hob überrascht den Kopf. Sein Mund klaffte auf.

      »Deine Familie lebt noch? Aber wie …«

      Die Zangenhand des Werkstatt-Reparaturautomaten packte Robard an der Schulter und riss ihn zurück, gegen eines der Regale.

      »Ich nehme den Menschen mit!«

      Ein Schraubenschlüssel sauste auf ihn herab. Der Schlag traf Robard am Kopf und verursachte eine Fehlfunktion seiner elektronischen Augen. Das Kamerabild brach zusammen. Ein weiterer Schlag traf ihn an der Brust. Hinter ihm gab das Regal nach und er stürzte rücklings mit ihm zu Boden. Der Lärm hallte durch den Supermarkt.

      Robard aktivierte sein Redundanzsystem. Das Kamerabild stabilisierte sich. Er sah, wie der Werkstatt-Reparaturautomat einen Knöchel des Mannes packte und den Norbert-Menschen hinter sich herzog. Der Mensch schrie und strampelte, aber der Roboter ließ sich davon nicht beeindrucken.

      Robard befreite sich aus den Überresten des Regals und stürmte nach vorne. Er versetzte dem Reparaturautomaten einen Schlag gegen den Kopf.

      »Lass ihn los! Ich habe ihn gefunden!«

      Der Werkstatt-Reparaturautomat drehte sich um und blockte mit der freien Hand einen weiteren Schlag ab.

      »Das ist irrelevant, jetzt gehört er mir!«

      Angelockt durch den Lärm tauchten weitere Roboter auf. Der autonome Einkaufswagen stellte sich ihnen in den Weg. Zwischen seinen Rollen huschte der Staubsaugerroboter heran.

      »Gebt ihn mir! Gebt ihn mir!«, säuselte er.

      »Sucht euch einen eigenen Menschen.«

      Ein Tritt des Werkstatt-Reparaturautomaten beförderte den Staubsaugerroboter tiefer in den Gang hinein. Robard streckte seine Hände nach dem Norbert-Menschen aus, doch der Werkstatt-Reparaturautomat zog ihn aus seiner Reichweite. Mühelos hob er ihn an einem Bein hoch und ließ ihn in der Luft baumeln.

      »Keiner von euch bekommt ihn! Er gehört mir!«

      »Lass mich los!«, rief der Norbert-Mensch und schrie vor Schmerzen auf, als der Automat den Griff um seinen Knöchel verstärkte. Robard sprang vor und es gelang ihm, den Kopf des Mannes zu packen.

      »Das ist mein Mensch!«

      Ruckartig zog er ihn zu sich heran. Knochen knackten. Der Norbert-Mensch schrie ein letztes Mal auf. Dann erschlaffte sein Körper. Arme und Beine sackten kraftlos herab.

      Robard ließ erschrocken los. Auch der Werkstatt-Reparaturautomat löste seine Zange. Ohne einen Laut von sich zu geben, knallte der Norbert-Mensch auf den Boden des Supermarktes. Er rührte sich nicht mehr.

      »Ihr habt ihn kaputtgemacht!«, sagte der autonome Einkaufswagen vorwurfsvoll.

      Die Roboter blickten auf den regungslos am Boden liegenden Menschen.

      Der Staubsaugerroboter sauste heran und fuhr mehrmals gegen den Kopf des Mannes. Der Mann reagierte noch immer nicht.

      »Dieser Mensch hat seine Tätigkeit eingestellt«, sagte der Staubsaugerroboter, drehte sich um und fuhr davon.

      »Kann man ihn reparieren?«, fragte der Werkstatt-Reparaturautomat und öffnete eine Abdeckung in seinem Körper, hinter der eine Vielzahl von Schraubenschlüsseln sichtbar wurde.

      »Für einen Menschen gibt es keine Ersatzteile.«

      Die Roboter schwiegen. Schließlich richtete der Werkstatt-Reparaturautomat seine Kameras auf Robard.

      »Das ist deine Schuld! Hättest du ihn mir überlassen, wäre das nicht geschehen. Du hast ihn ruiniert!«

      Robard


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