Der Grüne Planet. Erik Simon

Der Grüne Planet - Erik Simon


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die Menschen sind.«

      »Vielleicht sind ja dort, wo er hergekommen ist, noch mehr«, sagte der autonome Einkaufswagen. »Wo hast du ihn gefunden?«

      Robard deutete in Richtung der Kühltruhen.

      »Er hatte sich im Keller versteckt.«

      Der autonome Einkaufswagen drehte auf der Stelle und sauste davon. Der Werkstatt-Reparaturautomat und die übrigen Roboter folgten ihm.

      Robards Timer erinnerte ihn an das Abendbrot. Bald würde seine Familie nach Hause kommen. Er hob den Menschen auf, warf ihn sich über die Schulter und verließ den Supermarkt.

      In seinem Haus angekommen, trug er den Leichnam in den Keller, zu seiner Familie, die er dort versteckt hatte, damit keiner der anderen Roboter sie bekommen konnte. Sie rührten sich nicht mehr, seit er auch sie zu fest angefasst hatte, aber irgendwann würden sie wieder aufwachen – vielleicht schon heute Abend –, dann würden sie etwas essen wollen. Robard ging zurück in die Küche und bereitete das Abendbrot vor.

      VOM DRAMP

      von Erik Simon

      Du hast jetzt genug gelernt, um meine Nachfolge antreten zu können. Du kennst die alten Lieder und Tänze, du kannst vom Leben der Ersten Greta singen und weißt, was ihre Lehren für uns bedeuten, was man tun muss, was man darf und was man nicht darf. Du weißt sogar, warum es so ist. Ich habe dir von den Ländern im Süden erzählt, die ich in meiner Jugend gesehen habe, vom Großen Fluss bis dahin, wo das Land ansteigt und das Andere Eis beginnt. Das alles sollst du, wenn du an meiner Stelle der Lehrer geworden bist, allen jungen Leuten unseres Stammes beibringen, jedem so viel, wie er behalten und verstehen kann. Aber was ich dir jetzt erzähle, sollst du nur dem einen unter den jungen Männern weitersagen, den du dir dereinst selbst zum Nachfolger wählen wirst, und vielleicht der einen unter den Frauen, die, wenn es so weit ist, zur neuen Greta unseres Stammes gewählt wird.

      Im Süden, wo das Lange Gras aufhört, wachsen die Sträucher viel höher als ein Mensch, ja, sogar höher als eine Wollratte, und die Äste fangen meistens überhaupt erst über unseren Köpfen an. Man nennt das Wald. Von der Mündung des Großen Flusses, wo auch am Südufer noch Langes Gras wächst, bin ich erst an der Meeresküste entlanggewandert, und die wenigen Menschen, denen ich begegnet bin, leben dort nicht anders als unser Stamm. Schließlich aber kam ich an einen anderen Fluss, und weil ich lange keine Furt fand, bin ich an ihm entlang ins Landesinnere gegangen, mitten hinein in den Wald. Obwohl ich schon ein gutes Stück weiter im Süden war, war es kälter als bei uns, weil zwischen den hohen Sträuchern auch am Tage Dämmerung herrscht. Wie ich zu dem Stamm der Waldmenschen kam und was ich dort erlebt habe, weißt du schon, auch, dass dort an manchen Stellen, oft an Flüssen, die großen Steinhaufen liegen. Das waren einmal die Häuser und Höhlen der Vormenschen, und wenn ich noch lange genug lebe, erzähle ich dir vielleicht mehr darüber. Es ist aber nicht wichtig.

      Wichtig ist, was ich dir jetzt sagen werde: Die Leute dort im Süden haben Dramps. Nun reiß nicht so erschrocken die Augen auf, uns hier wird nicht gleich etwas passieren. Du hast doch selber schon erlebt, wie der Blitz in einen Strauch geschlagen hat, und aus dem Blitz kam das Dramp und hat den Strauch gefressen und noch ein bisschen Langes Gras dazu, aber wir brauchten meistens gar nicht lange zu singen und zur Ersten Greta zu beten, und das Dramp ist verreckt. Also die Leute dort im Süden haben Dramps, und sie füttern sie mit Ästen von den hohen Sträuchern. Aber das ist nicht alles, und jetzt könntest du wirklich erschrecken – brauchst du aber nicht. Sie füttern ihre Dramps nämlich nicht nur und halten immer welche am Leben, sie können sogar welche machen. Ganz ohne Blitze. Einmal hat mir ein Sucher gezeigt, wie sie das machen. Sie sammeln mit kleinen runden, durchsichtigen Steinen das Sonnenlicht an einer Stelle, bis die ganz heiß wird. »Heiß« ist ein Wort aus der Sprache des Stammes, wo ich am längsten geblieben bin; sie meinen damit, dass etwas ganz, ganz warm ist, so warm, dass es wehtut, wie wenn dich ein Dramp beißt. Bei uns gibt es das zum Glück nicht, es ist ja verboten.

      Wenn lange Zeit Wolken am Himmel sind, kann man ein Dramp auch anders machen; man muss Steine aneinanderschlagen oder Holzstücke aneinanderreiben. Mit den Steinen macht man eine Art kleine Sternsplitter, aber die müssen auf eine Art Staub fallen, damit ein Dramp entsteht. Der Staub, haben sie mir erzählt, wird aus einem Pilz gemacht, der an den Stämmen der hohen Sträucher im Wald wächst, den muss man sammeln und trocknen.

      Was ein Sucher ist? Das wollte ich erst später erklären, aber gut, fange ich eben damit an. Du weißt ja, dort im Süden haben sie diese großen Steinhaufen. Die Waldleute wohnen nicht darin, auch nicht in Zelten aus den Knochen und dem Fell von Wollratten wie wir, sondern in Behausungen, die sie aus dem Holz der hohen Sträucher bauen. Aber manche von ihnen, vor allem junge Burschen, ehe sie erwachsen sind, und ein paar von den ziemlich alten gehen manchmal zu den Steinhaufen, wo man Dinge von den Vormenschen findet; manche sind nützlich, manche gefährlich, die meisten aber sind einfach kaputt und verrottet. Die durchsichtigen runden Steine holen sie auch von dort. Manchmal gehen junge Mädchen mit, ich denke, weniger wegen der Dinge in den Steinhaufen als wegen der Männer. Der jungen, versteht sich. Sie dürfen das, es wird aber nicht gern gesehen; in den Steinhaufen sind schon Leute umgekommen, und auf einen Halbwüchsigen oder einen alten Mann kann der Stamm leichter verzichten als auf eine junge Frau. Das Sagen haben natürlich auch bei diesen Stämmen die Frauen, nicht immer nur eine wie bei uns, sondern manchmal auch zwei oder drei, und man nennt sie nicht Greta, sondern Gela.

      Mit so einem Sucher, einem von den alten, habe ich mich angefreundet. Er hieß Schan, und ich glaube nicht, dass er noch lebt. Von ihm habe ich viele Dinge gelernt und viele Geschichten erzählt bekommen; von den Geschichten ist manches vielleicht nicht wahr, aber das ist egal, denn hier bei uns im Land des Langen Grases ist das meiste davon sowieso nicht zu gebrauchen, die Dinge nicht und nicht die Geschichten. Aber vielleicht trotzdem gut zu wissen. Hast du dich jemals gefragt, warum es hier bei uns weit und breit keine Steinhaufen gibt? Schan hat es mir erklärt. Du weißt ja, zwischen uns und dem Großen Eis liegt das Sumpfmeer, aber hier, wo wir leben, war früher, vor dem Eis, auch Meer, lauter Wasser, und man hat das andere Ufer nicht gesehen. Das war zur Zeit der großen Dramps und auch vorher, zur Zeit der kleinen Wärme, als die Vormenschen in den Steinhaufen wohnten. Aber noch früher, viel früher, gab es hier schon einmal trockenes Land, und Menschen haben hier gewohnt, aber sie haben keine Steinhaufen gebaut. Und ein Großes Eis soll es damals auch gegeben haben.

      Überleg dir, wem du das erzählst; manche würden sich nur unnütz ängstigen. Aber wenn du es für nützlich hältst, dann erzähl es, denn es ist noch ein guter Grund, warum wir keine Dramps machen dürfen. Wo ein Dramp ist, schmilzt der Schnee, das weiß jeder. Aber das Eis schmilzt bestimmt auch! Der Schnee schmilzt im Sommer sowieso, und im Winter fällt neuer, doch wo soll neues Eis herkommen? Die meisten von uns können nicht schwimmen, und obwohl ich es von Rik – erinnerst du dich noch an Rik? – gelernt habe, hatte ich Mühe, durch den Großen Fluss zu kommen. Wenn hier ein Meer wäre, würden wir alle ertrinken.

      Von ihren Dramps, hat mir Schan gesagt, wird das Große Eis nicht schmelzen, es ist viel zu weit entfernt. »Aber aus den Dramps«, habe ich ihm gesagt, »kommt doch der böse Geist Koler Dixi, der die Große Wärme gemacht und die Fliegenden Dramps herbeigerufen hat!« Da hat Schan gesagt, so einen bösen Geist gibt es nicht. Das liegt sicherlich daran, dass sie dort im Süden zwar auch von der Ersten Greta gehört haben, aber jetzt haben sie keine Gretas mehr und auch keine Greta-Lieder. »Aber wahrscheinlich«, hat Schan gesagt, »meinst du Zeozweo, das kommt wirklich aus einem Dramp, aber es ist kein Geist, sondern ein Gift. Du brauchst bloß den Rauch nicht einzuatmen, und es passiert dir nichts.« Und die ganze Zeit, während wir darüber sprachen, saßen wir an einem Dramp, so nahe, wie ich jetzt bei dir sitze. Nun ja, ein bisschen weiter wohl doch.

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      Ein andermal hat Schan gesagt: »Ob dein Koler Dixi« – mein Koler Dixi, hat er gesagt! – »wirklich die Große Wärme gemacht hat, weiß ich nicht. Aber die Fliegenden Dramps haben die Vormenschen gemacht, da war die Große Wärme schon da. Denn als die kam, wurde es in manchen Gegenden besser und in anderen schlechter; die Leute aus den


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