Metamorphosen. Ovid
hat, nachdem sie ganz gereift ist, eine schwarze Farbe, und was die zwei Scheiterhaufen übrigließen, ruht in einer einzigen Urne.«
Mars und Venus – Leucothoe – Clytie
Sie war zu Ende. Es gab eine kurze Pause, dann begann Leuconoe zu sprechen, und die Schwestern schwiegen.
»Auch den Sonnengott, der alles mit seinem himmlischen Licht beherrscht, [170] hat die Liebe ergriffen. Von seinen Liebesabenteuern will ich berichten. Als erster soll dieser Gott den Ehebruch der Venus mit Mars gesehen haben – sieht doch dieser Gott alles als erster. Die Tat schmerzte ihn, und er zeigte dem Ehemann, Iunos Sohn, das Schäferstündchen an und den Ort, an dem es stattfand. [175] Der aber verlor den Verstand und das Werkstück, das er in der schmiedekundigen Hand hielt. Alsbald feilt er Ketten aus Erz zurecht, Netze und Schlingen, so fein, daß sie das Auge täuschen können – diese Arbeit übertreffen nicht einmal hauchdünne Gewebe, ja, nicht einmal die Spinnwebe, die ganz oben am Balken hängt. [180] Er bewirkt auch, daß sie leichten Berührungen und kleinen Bewegungen nachgeben, und legt sie kunstvoll rings um das Bett aus. Sobald nun die Ehefrau und der Ehebrecher auf ein und demselben Lager zusammengekommen sind, werden sie durch die Kunst des Mannes und durch die neuartigen Fesseln mitten in den Umarmungen ertappt und sind beide gefangen. [185] Im Nu hat der Lemnier die elfenbeinernen Türflügel geöffnet und die Götter eingelassen. Jene aber lagen schimpflich verstrickt – und einer der gutgelaunten Götter wünscht es sich gar noch, auf solche Weise in Schimpf und Schande zu geraten! Die Götter lachten, und lange war diese Geschichte im ganzen Himmel die bekannteste.
[190] Cytherea, die nicht vergessen kann, verlangt nach Sühne für die Anzeige des Sonnengottes. So macht sie den, der sie in ihrer heimlichen Liebe kränkte, ebenso liebeskrank. Was nützen dir jetzt, du Sohn Hyperions, Schönheit, Farbe und das Licht, das du ausstrahlst? In dir, der du alle Lande mit deinem Feuer verbrennst, [195] brennt nämlich jetzt ein neues Feuer, und du, der du alles sehen mußt, schaust nur Leucothoe an und heftest den Blick, den du der Welt schuldig bist, auf ein einziges Mädchen. Bald gehst du zu früh am Morgenhimmel auf, bald sinkst du zu spät in die Wellen, und weil du dich nicht satt sehen kannst, verlängerst du die Winterstunden. [200] Zuweilen bleibst du ganz aus, der Fehler deines Geistes greift auf dein Licht über: Du verfinsterst dich und erschreckst die Menschenherzen. Bleich wirst du nicht etwa, weil die Gestalt des Mondes, der näher bei der Erde ist, dazwischensteht; nein, deine Liebe bewirkt diese Farbe. Du liebst nur dieses Mädchen; und dich fesselt weder Clymene noch Rhodos, [205] noch die wunderschöne Mutter der aeaeischen Circe, noch Clytie, die zu deinem Lager strebte, obwohl du sie verachtetest – gerade damals hatte die Liebe ihr Herz tief verwundet –: Leucothoe ließ dich die vielen anderen vergessen. Sie war die Tochter der Eurynome, der schönsten Frau in dem Volk, das den Weihrauch erzeugt. [210] Aber nachdem ihre Tochter herangewachsen war, übertraf die Tochter die Mutter so weit an Schönheit wie die Mutter alle anderen. Die achaemenischen Städte regierte ihr Vater Orchamus. Man zählt ihn in seinem Stammbaum als siebten nach dem alten Belus.
Unter Hesperiens Himmel liegen die Weideplätze der Sonnenrosse. [215] Statt Gras fressen sie Ambrosia; das nährt ihre Glieder, wenn sie vom Dienst des Tages erschöpft sind, und kräftigt sie wieder für die Arbeit. Während die Vierbeiner dort himmlische Kräuter rupfen und die Nacht den Tag ablöst, betritt der Gott in Gestalt der Mutter Eurynome die ersehnte Kammer. [220] Da sieht er Leucothoe inmitten von zweimal sechs Dienerinnen bei Lampenlicht den Rocken drehen und glatte Fäden spinnen. Kaum hat er mütterlich der lieben Tochter einen Kuß gegeben, spricht er: ›Mein Anliegen ist geheim; geht hinaus, ihr Dienerinnen, und nehmt der Mutter nicht die Freiheit, mit der Tochter im Vertrauen zu sprechen!‹ [225] Schon hatten sie gehorcht, und als keine Zeugen mehr in der Kammer waren, sprach der Gott: ›Ich bin’s, der dem langen Jahr das Maß gibt, der alles sieht, durch den die Erde alles sieht, das Auge der Welt. Glaub es nur: Du gefällst mir.‹ Sie ist erschrocken. Vor Angst lockerten sich ihre Finger, und Spindel und Rocken fielen zu Boden. [230] Gerade die Furcht stand ihr gut zu Gesichte. Und er zögerte nicht länger und nahm wieder seine wahre Gestalt an, strahlend wie immer. Und obwohl der unerwartete Anblick die Jungfrau erschreckte, überwältigte sie der Glanz des Gottes, und ohne zu klagen, duldete sie seine Gewalttat.
Da wurde Clytie von Neid ergriffen; denn maßlos hatte der [235] Sonnengott sie geliebt. Aus Wut über die Nebenbuhlerin macht sie den Treubruch bekannt. Dem Vater zeigt sie an, daß seine Tochter entehrt sei. Während Leucothoe bittet, die Arme zum Licht der Sonne ausstreckt und beteuert: ›Er hat mir gegen meinen Willen Gewalt angetan!‹, vergräbt sie der Vater unerbittlich, [240] erbarmungslos und voll Grausamkeit in der Tiefe der Erde und schüttet darüber einen Hügel aus schwerem Sand auf. Den zerstreut Hyperions Sohn mit seinen Strahlen und öffnet dir, Leucothoe, einen Weg, so daß du dein Antlitz aus dem Grab hervorstrecken kannst. Doch du konntest das Haupt, das die Last der Erde erstickt hatte, nicht mehr heben, Nymphe, und lagst da als blutleerer Leichnam. [245] Nichts soll nach Phaethons Flammentod den Lenker der Flügelrosse tiefer geschmerzt haben. Er versucht zwar, mit der Kraft seiner Strahlen die erkalteten Glieder wieder zu warmem Leben zu erwecken. Da aber das Schicksal einem so großen Unterfangen entgegensteht, [250] hat er den Leichnam und seine Stätte mit duftendem Nektar besprengt. Nach vielen Klagen sprach er: ›Du wirst dennoch ans Licht treten.‹ Alsbald zerfloß der Leib, der vom himmlischen Nektar durchtränkt war, und schwängerte die Erde mit seinem Duft. Und ein Weihrauchsproß durchzog allmählich die Scholle mit Wurzeln, [255] wuchs auf und durchstieß den Hügel mit seiner Spitze.
Doch zu Clytie – mochte die Liebe ihren Schmerz und der Schmerz ihre Anzeige auch noch so sehr entschuldigen – kam der Herr des Lichtes nicht mehr und nahte ihr nie wieder in Liebe. Seitdem verzehrte sie sich in wahnsinniger Leidenschaft, [260] ertrug die Gesellschaft der Nymphen nicht und saß Tag und Nacht unter freiem Himmel auf dem bloßen Erdboden mit bloßem Haupt und ungepflegtem Haar. Neun Tage aß und trank sie nichts, nur Tau und Tränen waren ihre Speise, und sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie blickte nur auf das Antlitz des Gottes, [265] der seine Bahn am Himmel zog, und kehrte ihm stets ihr Gesicht zu. Ihre Glieder sollen am Boden festgewachsen sein. Ihr blühendes Aussehen verwandelte fahle Blässe zum Teil in blutleeres Kraut, zum Teil bleibt die Röte bestehen, und eine Blume, die dem Veilchen sehr ähnlich ist, bedeckt ihr Gesicht. Obwohl die Wurzel sie festhält, [270] wendet sie sich ihrem Sonnengott zu und bleibt ihrer Liebe trotz der Verwandlung treu.«
Salmacis und Hermaphroditus
Die Erzählerin war zu Ende, und das wundersame Ereignis hatte die Lauschenden in seinen Bann gezwungen. Einige bestreiten, daß so etwas geschehen konnte; andere sagen, wahre Götter seien allmächtig, Bacchus aber gehöre nicht dazu. Nachdem die Schwestern verstummt sind, wird Alcithoe verlangt. [275] Sie ließ das Schiffchen durch die Kette am aufgerichteten Webstuhl sausen und sprach: »Ich schweige von der allgemein bekannten Liebesgeschichte des Hirten Daphnis vom Idagebirge, den eine Nymphe aus Wut über eine Nebenbuhlerin in Stein verwandelt hat – so heftiger Schmerz verzehrt die Liebenden! Ich spreche auch nicht davon, wie einst Sithon die Naturgesetze umstürzte [280] und abwechselnd bald Mann, bald Frau war. Auch dich, Celmis, jetzt Stahl, einst für den kleinen Iuppiter der Treuste der Getreuen, auch die Cureten, die aus reichlichem Regen entstanden, und Crocus und Smilax, die in kleine Blumen verwandelt wurden, übergehe ich und will euch mit einer lieblichen neuen Geschichte fesseln.
[285] Erfahrt, warum der See Salmacis verrufen ist, wieso er mit seinen weibischen Wellen entkräftend wirkt und die Glieder, die er berührt, der Männlichkeit beraubt. Die Ursache ist verborgen, die Wirkung der Quelle wohlbekannt. Einen Knaben, den Cytherea dem Mercur geboren hatte, zogen die Naiaden in den Höhlen des Ida auf. [290] Sein Gesicht trug die Züge von Vater und Mutter, so daß man beide darin erkennen konnte; auch den Namen bekam er von beiden. Sobald er dreimal fünf Jahre alt war, verließ er die heimischen Berge, den Ida, der ihn ernährt hatte, freute sich daran, in unbekannten Gegenden umherzuschweifen [295] und unbekannte Ströme zu sehen, und der Eifer ließ ihn die Mühe gering achten. Er geht auch in Lyciens Städte und zu Lyciens Nachbarn, den Carern. Da sieht er einen Teich, dessen Wasser klar ist bis zum tiefsten Grund. Dort wachsen kein Schilfrohr, keine tauben Rohrkolben und keine Binsen mit scharfen Spitzen. [300] Durchsichtig ist das Wasser; die Ufer des Sees umschließt frischer Rasen mit