Die Erleuchtung der Welt. Johanna von Wild

Die Erleuchtung der Welt - Johanna von Wild


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wir nie fertig, ich kann bald nicht mehr«, meckerte Ännlin und griff sich mit der Hand in den Rücken, um ihn zu stützen.

      »Du hast mir gar nichts zu sagen«, fauchte Kathrein zurück.

      »Hör mal, Ännlin bekommt ein Kind, sie arbeitet schon schwer genug«, sprang Helena der Magd zur Seite. Seit Helena klargestellt hatte, nicht die Absicht zu haben, Ännlins Stelle in Cuntz’ Bett einzunehmen, kamen die Mädchen besser miteinander zurecht. »Siehst du nicht, dass es ihr nicht gut geht?«

      »Und du erst recht nicht«, zischte Kathrein. »Wenn es euch nicht passt, sag ich meinem Vater, dass ihr mich die meiste Arbeit tun lasst. Dann wird er euch die Peitsche spüren lassen.«

      Ännlin und Helena sahen sich an und verstanden sich auch ohne Worte. Kathrein war nicht nur faul, sondern auch gehässig. Es war besser, keinen weiteren Streit mit ihr vom Zaun zu brechen.

      Die harte Arbeit und die drei täglichen Mahlzeiten ließen Helena kräftiger werden. Anfangs war sie todmüde und erschöpft nach dem Abendbrot am Küchentisch eingeschlafen und nicht mehr aufzuwecken gewesen. Josef, einer der Knechte, hatte sie manches Mal ins Nebengebäude getragen, ohne dass Helena davon irgendetwas mitbekommen hatte. Müde war sie zwar am Ende des langen Tages immer noch, aber sie spürte, wie sich ihr Körper an die schwere Arbeit gewöhnte und sich veränderte.

      Nach dem Rebenschnitt folgte das Sticken. Jeder Weinstock wurde mit einem Pfahl versehen, den die Knechte mit der Häpe, einem sichelförmigen Haumesser, einschlugen. Die Aufgabe der Mädchen war es, die zu einem Kreis gebogenen Tragreben mit Strohbändern an den Pfahl zu binden.

      Nach einem harten Arbeitstag im April befanden sich die Knechte und Mägde auf dem Heimweg vom Wingert. Es war schon dämmrig, und sie hatten noch ein gutes Stück Weg vor sich, als Josef bemerkte, dass er seine Häpe nicht bei sich trug.

      »Helena«, bat der alte Knecht, »sei so gut und geh zurück zur letzten Reihe, die wir gestickt haben. Dort muss ich meine Häpe liegen gelassen haben. Meine alten Knochen schaffen das heute nicht mehr.«

      Helena, die Josef ins Herz geschlossen hatte, kehrte um und ging den Weg zurück in den Weinberg. Wie Josef vermutet hatte, lag das Haumesser am Ende der letzten Rebstockreihe. Helena hob es auf, steckte es seitlich an ihren einfachen Gürtel und beeilte sich, nach Hause zu kommen, denn inzwischen war es fast dunkel geworden.

      Pferdegetrappel drang an ihre Ohren, und Helena hielt sich an der Seite des Weges, um nicht unter die Hufe zu geraten. Als der Reiter sie beinahe erreicht hatte, erschrak sich das Pferd und scheute.

      »Hoooh, mein Guter, was hast du denn?«

      Die Stimme des Reiters verursachte Helena einen Schweißausbruch. Angst überfiel sie, denn sie gehörte niemand anderem als Cuntz Wengerter. Schnell drückte sie sich zwischen zwei Büsche, hoffte, er würde sie nicht bemerken. Doch es war bereits zu spät. Das Pferd hatte sich wieder beruhigt, und sein Reiter die Ursache des Scheuens entdeckt.

      »Sieh mal einer an, wen haben wir denn da? Was machst du hier draußen ganz alleine?«, fragte Cuntz mit falscher Freundlichkeit.

      »Ich habe Josefs Häpe aus dem Wingert geholt, Herr«, antwortete Helena und merkte, wie ihre Stimme zitterte.

      »Soso, das ist aber nett von dir. Bestimmt bist du auch zu mir jetzt ein wenig nett.«

      Mit einem Satz sprang er vom Pferd, packte Helena an den Haaren, riss das Kleid über ihrer Brust entzwei und zwang sie auf die Knie. Mit fliegenden Fingern öffnete er seine Hose, zerrte an der Kordel seiner Bruche und presste ihren Kopf zwischen seine Beine. Der unbeschreibliche Gestank, der von Cuntz’ Gemächt ausging, verursachte Helena Brechreiz. Immer fester drängte der Winzer sich gegen ihr Gesicht, nahm ihr beinahe die Luft zum Atmen. Doch sein Griff um ihre Haare wurde lockerer, bald hielt er ihren Kopf nur noch mit den Händen fest, während er sich abmühte. Fieberhaft tastete sie nach der Häpe, bekam sie schließlich zu fassen und riss sie aus dem Gürtel. Mit aller Kraft schlug sie das Haumesser in Cuntz’ linken Oberschenkel. Blut spritzte, und Cuntz ließ mit einem gutturalen Aufschrei von ihr ab. Das Pferd sprang erschrocken zur Seite und galoppierte davon. Blitzschnell war Helena auf den Beinen und rannte um ihr Leben blindlings in den Wald. Seine wütenden Schreie verfolgten sie, trieben sie weiter. Sie stolperte über Wurzeln, stürzte und raffte sich wieder hoch. Einmal hielt sie kurz inne, lauschte, ob der Winzer ihr folgte. Doch außer dem Klopfen ihres Herzens und ihrer heftigen Atemzüge konnte sie nichts hören. Dann hetzte sie weiter, spürte kaum die Zweige, die ihr ins Gesicht schlugen. Das dichter werdende Unterholz zwang sie, immer öfter auszuweichen, und so wusste sie bald nicht mehr, in welche Richtung sie lief.

      Irgendwann konnte sie nicht mehr und brach erschöpft und keuchend im Dickicht des Waldes zusammen. Es war stockfinster, und die Kälte der Nacht ließ sie schaudern. Angstvoll horchte sie in die Dunkelheit hinein, betete, Cuntz möge ihr nicht doch gefolgt sein oder Knechte ausgesandt haben, sie zu suchen. Ein Rascheln war zu hören. Stocksteif saß sie auf dem Waldboden, traute sich nicht zu atmen. Nein, das Rascheln hörte sich nicht nach menschlichen Schritten an, stellte sie erleichtert fest. Bestimmt hatte ein Tier das Geräusch verursacht. Nach einer Weile war sie sicher, außer ihr hielt sich kein menschliches Wesen hier auf.

      Mühsam rappelte sie sich hoch. Wo sollte sie nun hin? Zu ihrem Vater konnte sie nicht, dort würde Cuntz als Erstes nach ihr suchen. Zudem hatte sie vollkommen die Orientierung verloren. Ihre Augen hatten sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnt, trotzdem konnte sie nur mühsam etwas erkennen. Vorsichtig setzte Helena einen Fuß vor den anderen. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand sie eine große Eiche, deren untere Äste gut erreichbar waren. Sie kletterte hinauf und setzte sich in eine Astgabel. Zu Tode erschöpft lehnte sie den Kopf an den mächtigen Stamm. Sie durfte nicht einschlafen, sonst würde sie herunterfallen. Ihr Gürtel war nicht lang genug, um sich damit an den Stamm zu binden. Trotzdem sie erbärmlich fror, fielen ihr immer wieder die Augen zu, und sie schreckte hoch, nur um kurz darauf wieder in einen Dämmerschlaf zu fallen.

      Cuntz Wengerter raste vor Wut. Dieses kleine rothaarige Biest hatte ihn mit der Häpe ziemlich erwischt. Als sie in den Wald geflohen war, hatte er versucht, ihr nachzusetzen, was sich als sinnloses Unterfangen herausgestellt hatte. Unter starken Schmerzen und blutend, machte er sich hinkend auf den Weg nach Hause. Wenig später kamen ihm Agnes und die Knechte entgegen. Als das Pferd reiterlos auf den Hof galoppiert war, hatten sie Fackeln entzündet und sich auf die Suche nach Cuntz gemacht.

      »Allmächtiger, was ist mit Euch passiert?«, rief einer der Knechte erschrocken, als er seinen Herrn erblickte.

      »Dieser dämliche Gaul hat gescheut, als ein Wildschwein unseren Weg gekreuzt hat, und mich abgeworfen. Beim Sturz bin ich in mein Messer gefallen«, log Cuntz, der nicht die Absicht hegte, die Wahrheit zu sagen.

      Der Knecht stützte den Winzer, der sich schwer auf ihn lehnte, und wartete, bis ein weiterer sich näherte.

      »Hilf mir, greif dem Herrn unter den anderen Arm, damit wir ihn nach Hause schaffen können.«

      Agnes schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie das Blut sah, das Cuntz’ Hose an einer Stelle dunkel gefärbt hatte. »Beeilt euch, schnell, er muss verbunden werden!«

      Es war nicht mehr weit bis zum Weingut, und schließlich hatten sie Cuntz in der Eingangshalle auf ein paar von den Mägden eilig herbeigebrachten Decken niedergelegt. Agnes zerschnitt die Hose, die so oder so nicht mehr sauber geworden wäre, und begann, das Blut aus der Wunde zu waschen. Das Messer hatte einen tiefen, klaffenden Riss hinterlassen, aber wenigstens trat nur noch wenig Blut daraus hervor.

      »Hans, hol den Bader«, befahl Agnes dem Knecht, der neben ihr stand.

      »Ich brauche keinen Bader«, stöhnte Cuntz, »bringt mir einen Wundarzt, der mich wieder zusammenflickt.«

      »Wo soll ich denn jetzt einen Wundarzt auftreiben?«, fragte Hans vorsichtig.

      »In Heidelberg, dort findest du sicher einen«, riet Gottfried, der gerade hereinkam. »Los, spann den Wagen an!«

      »Aber bis Heidelberg brauche ich jetzt in der Dunkelheit bald zwei Stunden«, wagte Hans zu widersprechen. »Vor Morgengrauen


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