Die Erleuchtung der Welt. Johanna von Wild

Die Erleuchtung der Welt - Johanna von Wild


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drückte Ännlin Helena drei Steinkrüge in die Hand, nahm eine Fackel aus der Wandhalterung und verließ eiligen Schrittes die Küche, sodass Helena Mühe hatte hinterherzukommen. Das Mädchen lief über den Hof zu einem Nebengebäude, ließ die schwere Holztür aufschwingen und betrat die Diele.

      Allerhand Werkzeuge waren hier verstaut: Pickel, Häpen, Karsten und Schaufeln. Bütten für die Trauben, wenn die Weinlese begann, standen säuberlich aneinandergereiht an der einen Wand. Den Großteil des Raumes nahmen aber zwei Keltern ein. Die gewaltigen Baumpressen mit ihren schweren Steinen an den Kelterbäumen forderten die Arbeitskräfte gleich mehrerer Knechte.

      Im Fußboden war ein schwerer Eisenring eingelassen, den Ännlin packte und die Luke zum darunterliegenden Keller öffnete. Grob behauene Steinstufen führten hinunter, und Helena musste achtgeben, wie sie ihre Füße im flackernden Schein der Fackel setzte, um nicht zu stürzen. Am Ende der Treppe lag ein langer Gang, in dem rechts und links große Weinfässer lagerten.

      »Da, das zweite Fass links. Füll die Krüge«, befahl Ännlin unwirsch.

      Helena stellte die Gefäße auf den Boden, das dritte hielt sie mit der rechten Hand unter das Spundloch. Mit der Linken versuchte sie den Spund herauszuziehen, doch er saß zu fest.

      »Bist du zu irgendwas nutze?«, bellte Ännlin, steckte die Fackel in eine Wandhalterung und stieß Helena beiseite, die beinahe den Krug fallen ließ. Ännlin riss ihr das Steinzeug aus der Hand, hielt es unter das Spundloch und zog mit einer leichten Drehung den Spund heraus. Tief dunkelroter Wein ergoss sich in den Krug. Als er fast gefüllt war, verschloss Ännlin das Loch und befüllte den zweiten.

      »Los, versuch’s noch mal.«

      Helena hatte beobachtet, wie die junge Magd den Spund gedreht hatte, und so gelang es auch ihr, den Wein in den letzten Krug fließen zu lassen.

      »Gut, du bist also doch nicht so dumm, wie du aussiehst«, räumte Ännlin schroff ein.

      Helena fasste sich ein Herz. »Warum bist du so gemein zu mir? Du kennst mich doch gar nicht.«

      »Lass uns gehen, die Herrschaften warten«, war alles, was sie zur Antwort bekam.

      Eilig liefen sie über den Hof, bemüht, nichts zu verschütten, und brachten den Wein in die Küche, wo Magda und Hildegard ihnen wortlos die Krüge abnahmen und verschwanden.

      »Die Hühner sind fertig. Du hältst die Spieße, und ich schiebe die Hühner herunter«, wies Ännlin Helena an. »Nimm den großen Lappen, der vor dem Ofen liegt, du verbrennst dir sonst die Hände«, fügte sie hinzu, dieses Mal klang ihre Stimme nicht ganz so barsch.

      Als die älteren Mägde wieder in die Küche kamen, hatten Helena und Ännlin die Hühner auf zwei Platten verteilt und weiteres Brot gebrochen.

      »Halte die Spieße über das Feuer, damit sie wieder sauber werden«, erklärte Ännlin. »Wenn die Herrschaften fertig sind und hier alles aufgeräumt ist, können wir essen. Und jetzt hilf mir, den Kessel über das Feuer zu hängen.«

      Helena nickte stumm und ging ihr zur Hand. Wenn Ännlin wüsste, dass Helena schon etwas von dem Eintopf bekommen hatte, würde sie ihr bestimmt keinen zweiten Teller füllen.

      Nach dem späten Mahl, zu dem sich auch die Knechte gesellten, überfiel Helena eine bleierne Müdigkeit. Magda bemerkte, dass das Mädchen kaum noch am Tisch die Augen offen halten konnte.

      »Komm, ich zeige dir, wo wir schlafen.«

      Mit schweren Gliedern stemmte sich Helena hoch und folgte Magda aus der Küche über den Hof zum Gesindehaus, wo sich die voneinander getrennten Schlafräume der Knechte und Mägde befanden. Es gab einfache saubere Strohlager mit Schaffellen auf dem Boden und in einer Ecke eine Waschschüssel. Die Notdurft wurde draußen hinter dem Gesindehaus verrichtet.

      »Du schläfst dort hinten.« Magda deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die letzte Schlafstatt. »Morgen früh bekommst du etwas zum Anziehen und ein paar Stiefel. Ich hoffe, sie passen. Deine Vorgängerin hatte etwa deine Größe.«

      »Was ist mit ihr?«

      »Sie ist vor einem Monat gestorben. Hat den ganzen Herbst durch gehustet, und immer wieder kam das Fieber zurück. Gott hab sie selig, die alte Gundel.«

      Helena sank auf ihr Strohlager, zog sich ein Schaffell über die Schultern und fiel in einen tiefen Schlaf, kaum dass sie ihr Haupt gebettet hatte. Sie bekam nicht mehr mit, wie sich nur wenig später auch die Mägde und Knechte zur Ruhe begaben.

      Es war noch dunkel, als Hildegard sie wachrüttelte.

      »Steh auf, Mädchen, es gibt viel zu tun.«

      Helena rieb sich den Schlaf aus den Augen, musste sich erst zurechtfinden, wo sie war. Dann rappelte sie sich hoch und ging in die Ecke zu der Waschschüssel. Das eiskalte Wasser, das sie sich ins Gesicht spritzte, machte sie wach. Außer Hildegard und ihr war keine der übrigen Mägde mehr da.

      »Los, beeil dich«, drängte Hildegard. »Hier sind ein paar Sachen zum Anziehen.«

      Dankbar zog Helena den warmen, weiten Kittel über ihr Kleid, schlüpfte in die Stiefel, die ein wenig zu groß waren, aber wenigstens nicht löchrig.

      Zum Frühstück gab es eine Schale Milch, einen Kanten Brot und einen Teller Brei. Schnell schlangen die Leute ihr Essen hinunter und gingen dann daran, ihr Tagwerk zu verrichten. Brotbacken, das Vieh versorgen, Messer schleifen, Kleider waschen und flicken. Die Zeit bis Mittag flog nur so dahin, und Helena war froh über die kleine Pause und ein karges Mahl, zu dem Dünnbier getrunken wurde.

      »Bald ist Mariä Lichtmess«, erzählte Hildegard, »deshalb werden wir jetzt jede Menge Kerzen machen, um sie in der Kirche weihen lassen zu können. Der Herr hat einen Hammel schlachten lassen, aus dem Talg werden die Kerzen gemacht. Du wirst mir dabei helfen, Helena.«

      Bis zum Abend hatten sie eine stattliche Anzahl Kerzen gefertigt. Helena verabscheute den Geruch des ranzigen Fetts, der an ihr zu haften schien wie Pech, und sie fragte sich, wie sie den Gestank jemals wieder loswerden würde.

      »Heute wirst du gemeinsam mit Ännlin den Herrschaften das Abendbrot auftragen. Verschütte nichts und rede nur, wenn du angesprochen wirst«, trug Magda ihr auf.

      Zum ersten Mal betrat Helena die Wohnstube der Familie Wengerter. Ein riesengroßer Tisch, rechts und links je eine lange Holzbank, am Kopfende ein Stuhl, auf dem Cuntz Platz genommen hatte. Rechts von ihm saß seine Schwester Agnes, neben ihr die sechs Kinder ihrer verstorbenen Schwägerin, fünf Jungen und ein Mädchen. Der Winzer würde wohl eine ordentliche Mitgift für seine Tochter bezahlen müssen. Kathrein hatte hervorstehende Zähne, die stark an ein Kaninchen erinnerten, war stämmig und hatte langweiliges mausbraunes dünnes Haar. Ein weiteres Paar saß mit seinen drei Kindern auf der Bank gegenüber. Das musste Gottfried, Cuntz’ Bruder, mit seiner Familie sein, von dem Magda ihr erzählt hatte.

      Der Kachelofen, der von der Küche aus befeuert wurde, erfüllte die Wohnstube mit angenehmer Wärme. An den Wänden fanden sich schmiedeeiserne Halter für die Kerzen, die die Stube in ein schummriges Licht tauchten. An der Seite, die zum Hof zeigte, gab es mehrere Fenster mit Butzenscheiben. Darunter stand eine gepolsterte schwere Truhe, an der Wand daneben eine große Anrichte, auf der Teller und Becher aus Zinn standen, die Ännlin und Helena nun auf dem Tisch verteilten.

      Cuntz besprach mit Gottfried die anstehenden Arbeiten auf dem Weinberg, während Agnes und ihre Schwägerin Elsa die Kinder zur Ordnung mahnten. Helena stellte den Teller vor Cuntz hin und spürte sie im selben Augenblick dessen Hand an ihrem Oberschenkel. Hastig wich sie zur Seite. Als sie wenig später mit Ännlin die dampfenden Schüsseln mit Fleisch hereinbrachte, ließ sie die Magd den Teller des Hausherrn füllen.

      »Helena, bring uns Wein«, rief Cuntz.

      Er hat bemerkt, dass ich ihm ausgewichen bin, dachte Helena. Mit zitternder Hand schenkte sie Wein in die Becher und brachte diese zum Tisch.

      Prompt hielt Cuntz sie am Handgelenk fest, als sie den Becher vor ihn hinstellte.

      »Ein


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