Die Erleuchtung der Welt. Johanna von Wild

Die Erleuchtung der Welt - Johanna von Wild


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humpelte sie zum Kloster, wo man sie auf ein einfaches Bett legte.

      »Lass mich dein Bein sehen«, forderte Schwester Katharina das Mädchen auf.

      Helena raffte ihr Kleid und ließ die Nonne einen Blick darauf werfen.

      »Du hast Glück gehabt, der Schnitt ist nicht allzu tief. Schwester Innocentia, bring mir Johanniskraut, damit ich die Wunde versorgen kann, Beinwellsud und dicke Leinenstreifen, um den geschwollenen Knöchel zu wickeln.«

      Besorgt sah Schwester Katharina auf das blasse Mädchen hinunter. Ein heißer Auszug aus Hagebutten, Frauenmantel und Brennnesseln würde ihm sicher guttun. Als ihre Mitschwester mit dem Johanniskrautöl zurückkam, behandelte Schwester Katharina Helenas Verletzung, legte einen Verband an und bat ihre Ordensschwester, den Trank aufzugießen.

      »Ihr seid sehr gütig.« Helena rang sich trotz der Schmerzen ein dankbares Lächeln ab, und die Nonne strich ihr sanft über das Haar.

      Während Helena in vorsichtigen kleinen Schlucken das heiße Gebräu zu sich nahm, berichtete Schwester Katharina der Äbtissin über den unverhofften Gast. Maria Ignatia, Äbtissin des Klosters Lobenfeld, trat in ihrem schwarzen Habit an Helenas Lagerstatt.

      »Wer bist du, mein Kind?«

      »Mein Name ist Helena, ehrwürdige Mutter.«

      Das Johanniskraut hatte bereits seine Wirkung entfaltet und machte die Schmerzen erträglich.

      »Wo kommst du her, und was ist mit dir geschehen?«

      »Ich bin gestolpert und in ein Haumesser gefallen.« Helena verschwieg ihre Herkunft, weil sie fürchtete, die Nonnen würden sie zurückschicken. Am besten, sie sagte gar nichts mehr.

      »Was führte dich allein in diese Gegend? Und wozu trägt ein Mädchen ein Haumesser? Kommst du von einem Wingert?«

      Helena blieb stumm.

      Mit hochgezogenen Brauen sah die Äbtissin ihre Mitschwestern an. Beide schürzten die Lippen, schüttelten nur unmerklich den Kopf. Äbtissin Maria Ignatia traf eine Entscheidung.

      »Du kannst hierbleiben, bis es dir besser geht, dann werden dich Schwester Innocentia und Schwester Katharina zurückbringen. Es sollte nicht allzu schwer werden, herauszufinden, wohin du gehörst. Ein Mädchen mit deiner Haarfarbe ist selten. Allerdings wäre es mir lieber, du sagst es uns selbst«, fügte sie mit einem feinen Lächeln hinzu.

      Helena schüttelte den Kopf. »Bitte, schickt mich nicht fort«, flehte sie leise.

      Bevor die Äbtissin etwas sagen konnte, mischte sich Schwester Katharina ein, die das Mädchen schon vom ersten Augenblick an ins Herz geschlossen hatte. Sie war zwar die Älteste des Klosters, doch ihre Augen blickten immer noch wach und klar. Ihr Vater hatte sie schon als Mädchen ins Kloster gesteckt, und der Wunsch, einmal eigene Kinder zu haben, war dadurch nie in Erfüllung gegangen.

      »Ehrwürdige Mutter, gewährt Ihr mir einen Augenblick?«

      Die Äbtissin nickte gnädig und trat ein paar Schritte zur Seite.

      »Ich glaube, man hat ihr Gewalt angetan. Ihre Kleider sind zerrissen«, flüsterte Schwester Katharina leise, »und sie verschweigt bestimmt aus diesem Grunde, von wo und vor allem vor wem sie geflohen ist. Ich bitte Euch, lasst das Mädchen hierbleiben. Wir könnten eine neue Laienschwester gebrauchen.«

      Die Worte ließen die Äbtissin schmunzeln. »Schwester Katharina, du wünschst dir eine Laienschwester, damit du im Klostergarten zwei weitere Hände hast, die mitanpacken können, nicht wahr?«

      Die Nonne senkte beschämt den Blick. »Ihr habt mich durchschaut, ehrwürdige Mutter. Vergebt mir meinen Eigennutz.«

      »Wenn Helena vor ihrem Lehnsherren geflohen ist, wird er sie suchen«, überlegte Äbtissin Maria Ignatia. »Ich weiß nicht, ob das Mädchen hierher passt, es hat etwas Trotziges an sich.« Sie seufzte leise. »Sie darf das Kloster zunächst nicht verlassen.«

      Schwester Katharina sah auf. »Soll das etwa heißen …?«

      »Ja, sie kann bleiben, ich nehme sie auf. Zwei Jahre soll sie hier mit uns leben und arbeiten, den Habit der Laienschwester tragen und den Vorsatz hegen, Gott zu dienen. Nach diesen zwei Jahren soll sie das feierliche Gelübde ablegen. Höre ich nur eine einzige Klage über die Arbeit, die wir ihr geben, verweise ich sie noch am selben Tag des Klosters.«

      Schwester Katharina sank auf die Knie, küsste den Ring an der der Hand der Äbtissin. »Ich danke Euch, ehrwürdige Mutter.«

      Helena konnte kaum fassen, dass sie bleiben durfte. Aber die Bedingung, die daran geknüpft war, ließ sie nachdenklich werden. Ein Leben im Kloster? Niemals heiraten, niemals eigene Kinder haben. Sie dachte an ihre Geschwister, die sie vielleicht nie wiedersehen würde, wenn sie das Kloster nicht verlassen durfte. Zumindest vorerst. Lange überlegen musste Helena allerdings nicht. Wenn sie das Angebot ausschlug, was dann? Wo sollte sie hin? Nach Hause konnte und wollte sie nicht. Hier, hinter den Klostermauern, war sie zumindest sicher. Unbewusst griff sie nach dem Lederbändchen an ihrem Hals, tastete nach dem Püppchen, das sie nun schon so lange trug.

      »Was ist das?«, wollte Schwester Katharina wissen, die ihr beim Anziehen des Habits half.

      »Ein Geschenk, das ich hüte wie einen Schatz. Bitte, nehmt es mir nicht weg«, bettelte sie.

      Katharina runzelte die Stirn.

      »Ich weiß nicht, es gehört sich nicht, Schmuck zu tragen, auch nicht für eine Laienschwester, und sei er noch so schlicht.«

      Ängstlich umklammerte Helena das Püppchen, Tränen traten ihr in die Augen. »Die Prinzessin hat mir die Puppe geschenkt«, flüsterte sie.

      Für einen Moment zweifelte Schwester Katharina an ihren Worten, doch sie erkannte keine Lüge in Helenas Augen.

      »Du sprichst von Prinzessin Mechthild, die Tochter unseres Kurfürsten?«, fragte sie immer noch etwas ungläubig.

      Helena nickte und erzählte von dem Geschehen, das sich vor drei Jahren zugetragen hatte. Schließlich rang sich die Nonne dazu durch, ihr die Kette zu lassen. Unter dem Habit würde sie nicht zu sehen sein. Doch sie holte trotzdem die Erlaubnis der Äbtissin ein.

      »Wir besitzen keine weltlichen Dinge«, beschied Äbtissin Maria Ignatia ihr streng, als ob diese das nicht wüsste. Wobei das nicht ganz richtig war. Witwen, die sich ins Kloster zurückzogen, durften einige wenige persönliche Dinge behalten. Aber Helena war keine Witwe.

      »Ehrwürdige Mutter, bitte gewährt ihr diese Ausnahme. Das arme Kind hat viel durchgemacht. Vielleicht kommt einmal der Tag, an dem sie nicht daran festhalten muss, aber im Augenblick …«

      Die Hartnäckigkeit Katharinas ließ die Äbtissin erweichen. Ihre Mitschwester hatte offenbar in kürzester Zeit einen regelrechten Narren an dem Mädchen gefressen.

      So begann Helenas Zeit im Kloster Lobenfeld. An den schwarzen Habit gewöhnte sie sich schnell, einzig und allein der weiße Schleier, der sie als Laienschwester kennzeichnete und den sie tragen musste, ließ sie jeden Tag hadern, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Warum hatte Gott ihr eine solch außergewöhnliche Haarfarbe geschenkt, wenn sie ihre Haare unter dem Schleier verbergen sollte? Zudem musste sie sich überwinden, mitten in der Nacht zur ersten Hore aufzustehen. Doch nach und nach gewöhnte sie sich auch daran. Achtmal am Tag sangen die Ordensschwestern Psalmen, und es wurde gebetet. Singen lag Helena nicht, denn ihr selbst fiel auf, dass sie die Töne nicht traf. Oftmals sang sie ganz leise oder bewegte nur die Lippen, lauschte lieber den Stimmen der anderen. Die Mahlzeiten wurden schweigend eingenommen, auch dies empfand Helena als belastend. Verstieß jemand gegen diese Regel, wurde er meist mit Essensentzug bestraft. Nur ein einziges Mal hatte Helena diese Regel gebrochen und dann nie wieder.

      Was sie wirklich liebte, war die Arbeit im Klostergarten, wo Gemüse und Kräuter angepflanzt wurden. Schwester Katharina war ein unerschöpflicher Quell des Wissens, was die Arzneipflanzen, die im Garten gehegt und gepflegt wurden, anbelangte. Helena lernte schnell, und Schwester Katharina bereitete es ungemeine Freude, das Mädchen


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