Auf Entdeckungslaufreise. Hannes Kerfack
die Grenzen stärker. Der Ablauf hat interessante Parallelen zur christlichen Taufe. Es gibt einen Taufpaten (eine Frau), eine Kasualrede und den Sektschlag, mit dem das Schiff seine Namensidentität und einen Reisesegen erhält. Überall wo das Schiff hinfährt, soll es von Gott gesegnet sein. In diesem Sinne ist es nicht nur ein zivil-religiöser Akt, sondern eine religionshybride Erscheinung, in dem sowohl weltliche als auch religiöse Dinge miteinander verschmelzen und neu gedeutet werden.
Ein weiteres Beispiel: Da die Single-Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten immer größer werden, mehr Priorität auf die Karriere gelegt wird, kann die Arbeit auch zu einer Ersatz-Liebe werden. Ob die Arbeit als Gegenstand bezeichnet werden kann, ist eine Deutungsfrage. Aber wenn in der Theologie die Arbeitsgebiete vom Alten Testament, Neuen Testament usw., als Gegenstand des Studiums bezeichnet werden, dann kann das als Zuwendung zu einem Gegenstand verstanden werden. Da spielen auch geringe Selbstwertgefühle eine Rolle, die mit mehr Arbeit kompensiert werden möchten. Sie werden auch „Work-Alholics“ genannt, die freiwillig oder unfreiwillig (z.B. durch ständige Erreichbarkeit) mehr Arbeit verrichten. Kritisch ist daran die Burnout-Gefahr zu sehen, wenn das Gefühl für die Arbeit verschwindet, aber andererseits kann ich Anderen mit meiner Arbeit auch etwas von mir geben. Zwischen diesem Spannungsfeld stehen wir, denke ich.
Ich habe das Beispiel aus einer Vorlesung zur Kirchenkybernetik vergessen, wo der Professor uns einen Katholischen Gottesdienstablauf zeigte und der Priester das Buch des Evangeliums küsste, Liebe zum Evangelium und zu Gott über das Medium eines Buches. Es war aber eine Videoaufnahme. Wobei es sich dabei wahrscheinlich um eine symbolische und weniger leidenschaftliche Funktion handelt, das der Gottesdienst dem Evangelium und der Heiligen Schrift gewidmet ist.
Dann gibt es das „Bild“ eines Priesters bei der Betrachtung einer Hostie vor der Transsubstantiation (also Wesensverwandlung des Brotes und Weines zu Christus), die kein menschliches Werk ist, sondern ein durch Konsekration erzeugter (Weihung) göttlicher Gegenstand. Ich denke, dass die Liebe Gottes als geistliche Stärkung durch das Abendmahl da auch eine Rolle spielt. Im evangelischen Glauben tritt der Weihzustand hinter die Realpräsenz unter der gesamten Gemeinde („Christentum aller Gläubigen, aller Getauften“) zurück. Der Pastor ist in diesem Sinne ein Gemeindemitglied wie jeder andere. Er hat keine höhere Weihstellung vor der Gemeinde mehr. Keine Unterscheidung zwischen Klerus und Laien. Er ist nur durch die Ordination dazu befugt, die Sakramente ordnungsgemäß zu verwalten, wobei das Sakrament des Abendmahls jeder gläubige Christ im evangelischen Glauben u.a. spenden kann. Es besteht aber eine klare Unterscheidung zwischen dem Beruf, dem Amt, genauer gesagt, die Profession und dem Ideal. Bei der Elevation frage ich mich, also dem Hochhalten, dem Präsentieren des Kelches vor der Gemeinde und dem Altar: Sprechen wir zum Altar nicht auch über einen Gegenstand zu Gott? Im Altar und im Kelch ist das Göttliche. Es sind zwar von Menschen gemachte Objekte, aber das Göttliche wird da auch hinein projiziert. Es handelt sich an dieser Stelle wohl mehr um eine symbolische Objektliebe, genauso wie beim Buchkuss. Das bedeutet nicht, dass eine Liebe zum Abendmahl und zum Buch nicht auch Gefühle freisetzen kann. Abendmahl und Heil haben immer etwas haptisches und geschmackliches, um selbst Heil wirken zu lassen oder das diejenige Person, die das Abendmahl empfängt, ein „plausibles“ Heil erhalten hat.
Das ist wohl die größte Objektliebe der letzten Jahre geworden. In Windeseile verbreitete sich die „Digiphilie“ im Sinne des großen Erfolges des Smartphones. Der Smiley auf dem Smartphone zeigt, dass Smartphones Gefühle empfangen können (Emoticons in den Gesprächen) und dem Gesprächspartner daher auch bieten kann. Mir fiel in der Universitätsbibliothek auf, wie viele Studenten mehr Zeit auf Facebook und co. verbringen, seitenweise Texte schrieben und quasi in einer Abhängigkeitssituation waren, die sie von der eigentlichen Arbeit ablenkt. Also: Gefühle machen süchtig, weil sie Anerkennung bei Anderen vermitteln und diese unbedingt zu erlangen (aus Angst vor „Schuld und Strafe“ im privaten Bereich), um vielleicht von etwas anderen abzulenken, was Angst (Stress, Druck, Phobie) macht. Eine Moderatorin in einer Fernsehsendung über Objektliebe erinnert die Zuschauer daran, dass, wenn sie ihr Smartphone streicheln und wischen, dass sie ein bisschen „objektophil“ sind. Das ist aber auch eine Deutungsfrage, weil Objektliebe etwas ausschließliches hat. Ich würde aber Objektliebe nicht als „Krankheit“ bezeichnen, wenn diese Form der Digiphilie schon als „Volkskrankheit“ der Moderne bezeichnet wird.
Auch ein Religionshydrid: Animismus, Ahnenkult und ein Flugzeug. Manche Völker verehren in Melanesien Flugzeuge und Waren aus der westlichen Welt, weil sie nur überirdischem Ursprung sein können, weil die Eingeborenen sie selbst nicht herstellen können. Die fehlenden Waren werden dann immer eingeflogen. Sie werden auch als Boten der verstorbenen Ahnen aus dem Jenseits gedeutet. In diesem Sinne auch eine Hinwendung zu einem Menschen durch ein Objekt, dem Flugzeug.
Die verschriftlichte (objektive!) Predigt ist auch eine Spiegelfläche der Liebe zum Evangelium, zu Gott, zum Nächsten und zu mir Selbst. Denn über die Liebe Gottes, der Bibeltext und die Predigt als Projektionsfläche für die Liebe zur Theologie und Gott kann Anderen Liebe durch Gottes Wirken geschenkt werden. Es gibt in der Predigtlehre auch die Lesart, dass in einer Predigt die eigene, religiöse Bewegtheit weitergegeben werden kann. Ob die nun für den Hörer plausibel ist, ist abhängig von der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Individuum (homiletische Situation). Hier sehe ich ganz klar, dass ich mit meinem Wissen und meiner Auslegung, Anderen etwas Gutes geben kann durch meine religiöse Bewegtheit und Gefühl. Auch beinhaltet die Liebe Gottes hier die Liebe in all ihren möglichen Facetten (Universalität und Dynamik der Liebe), wo der Hörer anknüpfen oder nicht anknüpfen kann. Denn Liebe kann auch in Hass und Anti-Liebe umschlagen, wenn sie untereinander fehlt. Gleiches gilt für die Projektionsflächen der Liebe Gottes im Hohelied Salomos und der Paulus Liebe zu Gott im 1. Kor 13.
Alttestamentlicher Zugang: Die Geschichte vom goldenen Kalb (Ex 32)
Textfassung (Zürcher Bibel), Ex 32, 1-11.14-16.19-20
1 Das Volk aber sah, dass Mose lange nicht vom Berg herabkam. Da versammelte sich das Volk um Aaron, und sie sprachen zu ihm: „Auf! Mache uns Götter, die vor uns herziehen! Denn dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat - wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist.“ 2 Da sprach Aaron zu ihnen: „Reißt die goldenen Ringe ab, die eure Frauen, eure Söhne und Töchter an den Ohren tragen, und bringt sie mir.“ 3 Da rissen sich alle die goldenen Ringe ab, die sie an ihren Ohren trugen, und brachten sie zu Aaron. 4 Und er nahm es aus ihrer Hand und bearbeitete es mit dem Meißel und machte daraus ein gegossenes Kalb. Da sprachen sie: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben!“ 5 Und Aaron sah es und baute davor einen Altar. Und Aaron rief und sprach: „Morgen ist ein Fest des HERRN.“ 6 Und früh am Morgen opferten sie Brandopfer und brachten Heilopfer dar, und das Volk setzte sich, um zu essen und zu trinken. Dann standen sie auf, um sich zu vergnügen.7 7 Da redete der HERR zu Mose: „Geh, steige hinab. Denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, hat schändlich gehandelt. 8 Schon sind sie abgewichen von dem Weg, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein goldenes Kalb gemacht und sich vor ihm niedergeworfen, ihm geopfert und gesagt: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.“ 9 Dann sprach der HERR zu Mose: „Ich habe dieses Volk gesehen, und sieh, es ist ein halsstarriges Volk. 10 Und nun lass mich, dass mein Zorn gegen sie entbrenne und ich sie vernichte. Dich aber will ich zu einem großen Volk machen.“ 11 Da besänftigte der Mose den HERRN seinen Gott und sprach: „Warum, HERR, entbrennt dein Zorn gegen dein Volk, das du mit so großer Kraft und mit starker Hand aus dem Ägyptenland herausgeführt hast?“ 14 Da reute es den HERRN, das er seinem Volk Unheil angedroht hatte. 15 Mose aber wandte sich um und stieg hinab vom Berg, mit den zwei Tafeln des Zeugnisses in seiner Hand. 16 Und die Tafeln waren Gottes Werk, und Schrift war Gottes Schrift, eingegraben in die Tafeln. 19 Und als er sich dem Lager näherte, sah er das Kalb und die Reigentänze. Da entbrannte der Zorn des Mose, und er warf die Tafeln hin und zerschmetterte sie unten am Berg. 20 Dann nahm er das Kalb, das sie gemacht haben, und verbrannte es im Feuer und zerstampfte es, bis es Mehl war, und streute es auf das Wasser und ließ die Israeliten trinken.
Kurzkommentar
V. 1 greift wahrscheinlich den Unmut des Volkes Israel auf, nachdem Mose nicht vom Berg