Köder Null. Джек Марс
fühlen, doch die neue Einstellung ihres Vaters war einfach ein bisschen inspirierend. Das würde sie natürlich niemals offen zugeben! Sie machte sich zwar über ihn lustig, aber sie freute sich über die Veränderung.
Der war trotzdem echt komisch. Menschen verändern sich nicht einfach so. Es gab immer einen Grund, einen Auslöser. Bei ihr war es die Genesung von ihrer Drogenabhängigkeit. Ihr Vater behielt seine Motivation für sich, das wusste sie. Doch sie hatte ihre eigenen Probleme, und Maya auch, weshalb keine der beiden weitere Fragen stellte.
„Leider ist unsere Zeit heute vorbei“, verkündete Ms. Guest. „Ich muss jetzt zu meinem Keramikunterricht. Ihr könnte eure Gemälde hier trocknen lassen, aber bitte reinigt eure Pinsel, bevor ihr geht. Danke!“
Sara seufzte. Sie hatte ihren Apfel orange gemalt und dachte darüber nach, ihn einfach zu einem Kürbis zu machen, doch das müsste warten. Sie räumte pflichtbewusst ihren Arbeitsplatz auf, hob ihren Rucksack auf eine Schulter und ging den Gang hinunter, der immer noch nach Zedernsägespäne roch.
Sie ließ sich Zeit, schlurfte und hatte es gar nicht eilig, mit dem Rad durch die Kälte nach Hause zu fahren. Maya hatte ihr angeboten, sie abzuholen, aber Sara wollte sie nicht stören oder sich von jemandem abhängig machen. Außerdem weckte sie der kalte Wind, der ihr ins Gesicht peitschte, auf.
Auf dem Weg zum Ausgang spähte sie in verschiedene Räume des Gemeindezentrums. Es fand Kindergymnastikunterricht statt. Ein Haufen von Bengeln, die sich auf Matten rollten und versuchten, einen Handstand zu machen. Sie kam am Töpfereiunterricht vorbei, Englisch-als-Fremdsprache, ein Computersaal…
Die Tür zu ihrer Linken stand nur ein paar Zentimeter weit offen, sie konnte nicht hineinsehen. Doch als sie vorbeikam, wehte ein Gesprächsfetzen heraus zu ihr.
„Ich hatte mir selbst versprochen, dass ich nie wieder Heroin nehmen würde.“
Sara erstarrte. Sie hatte wortwörtlich einen Fuß noch in der Luft und reckte ihren Hals in Richtung Tür.
„Aber wie ihr euch vorstellen könnt“, sagte eine Frau ernst aus dem Inneren, „hatte meine Abhängigkeit etwas anderes im Sinn. Eines Tages ging es mir richtig schlecht, da hielt ich es nicht mehr aus. Ich kannte einen Typen in der Nachbarschaft. Ich rief ihn an.“
An der Tür hing ein Schild. Es war ein einfaches Blatt weißes Papier mit einigen Worten, die in schwarzer Tinte darauf geschrieben standen. Mit Klebeband war es an der Tür befestigt.
„Es waren nur ein paar Minuten.“ Die Frau drinnen sprach leiser, fast so leise, dass Sara sie nicht mehr hören konnte. Sie drückte die Tür sanft auf, nur ein paar Zentimeter weiter. „Ich ließ meinen zweijährigen Sohn allein in der Wohnung, doch es waren nur ein paar Minuten.“ Im Zimmer konnte Sara Frauen sehen, die sich in einem Halbkreis gegenübersaßen. Ihre Gesichtsausdrücke waren ernst und traurig.
„Doch während dieser paar Minuten entschied sich mein Ex-Freund - der Vater meines Babys - vorbeizuschauen.“ Die Frau starrte auf den Boden, während sie sprach. Ihre Haut war blass und sie trug kein Makeup. Ihr braunes Haar hatte sie hastig zu einem einfachen Zopf gebunden. „Ich kam mit einem Tütchen Drogen in der Hand zurück und sah meinen Sohn in seinen Armen. Das war der Tag, an dem ich ihn verlor…“
Plötzlich erschien ein Gesicht in der halb geöffneten Tür. Sara erschreckte sich und sprang zurück. Die Frau lächelte ihr zu. Sie sah gleichzeitig jung und doch matronenhaft aus, wie eine Fußballmama aus der Vorstadt, welche die Freunde ihrer Kinder einlädt, zum Abendessen zu bleiben und Nein nicht als Antwort gelten lässt.
„Hallo“, sagte die Frau leise, um nicht das Treffen hinter ihr zu unterbrechen. „Bist du für Zusammengehörigkeit hier?“
„Ich, äh…“ Sara räusperte sich und schüttelte schnell den Kopf. „Nein. Das bin ich nicht. Ich spähte nur hinein. Tut mir leid.“
„Schon in Ordnung.“ Die Frau ging in den Gang hinaus und schloss sanft die Tür hinter sich. „Wir sind eine Selbsthilfegruppe für Frauen, die verschiedene Arten von Trauma erlebt haben. Drogenabhängigkeit, häusliche Gewalt, posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen… Wir erzählen einander unsere Erlebnisse und durch die anderen finden wir -“
„Zusammengehörigkeit“, murmelte Sara. „Ja, ich verstehe.“
Die Frau lächelte. „Super.“ Dann tat sie etwas seltsames - sie blickte Sara direkt in die Augen. Sie runzelte zwar die Stirn, als wäre sie verärgert, doch das Lächeln verließ nie ihre Lippen. Sara gefiel der Blick gar nicht. Es kam ihr vor, als ob die Frau in ihr… lesen würde.
„Bist du dir sicher, dass du nicht hereinkommen möchtest? Du kannst dich einfach setzen und zuhören. Du musst nichts sagen.“
„Nein. Danke. Ist schon… in Ordnung.“ Sara ging noch einen Schritt zurück. „Ich wollte eigentlich gerade gehen.“ Ihr ging es auch ohne Rehabilitation gut, sie brauchte ganz bestimmt keine „Selbsthilfegruppe“.
Sie drehte sich um, doch die Frau redete weiter. „Ich heiße übrigens Maddie.“
„Sara“, rief sie über ihre Schulter.
„Schön, dich kennenzulernen. Wir sehen uns noch, Sara.“
Das werden wir nicht. Sara eilte den Gang entlang. Plötzlich fand sie das kalte Februarwetter in Maryland gar nicht mehr so schlimm.
KAPITEL SECHS
Maya starrte das Handy in ihrer Hand an. Der Anrufspeicher war offen, die Nummer stand direkt da. Sie musste sie nur antippen.
Vielleicht morgen.
Sie saß im Schneidersitz auf ihrem Doppelbett, das in der gegenüberliegenden Ecke von Saras Bett stand. Zwischen den beiden war etwa ein Meter Platz. Ihre Unterkunft war zwar etwas eng - doch gar nicht so unähnlich den Kasernen, an die sie sich in West Point gewöhnt hatte. Sara hatte in Jacksonville vier Mitbewohner gehabt, also war ihr Wohnarrangement für beide kein Problem. Mehr als einmal hatten sie das Angebot ihres Vaters, in das größere Schlafzimmer der Wohnung umzuziehen, abgelehnt.
Maya warf das Handy auf die Zudecke neben das Buch Ulysses, das sie größtenteils ignorierte (ihr Vater nannte es einen „Triumph in Masochismus“), und einen angebissenen Proteinriegel. Sie wollte einfach anrufen. Das täte sie auch. Aber nicht heute.
Die Nummer, die sie sich nicht traute zu wählen, würde sie mit dem Büro der Dekanin von West Point, Brigadier-General Joanne Hunt, verbinden. In den letzten Wochen hatte Dekanin Hunts Büro Maya vier Mal angerufen. Sie hatten allerdings keine Mailbox-Nachrichten oder sonstigen Anzeichen für den Grund ihrer Anrufe hinterlassen.
Das brauchten sie auch nicht, Maya wusste warum. Nach dem fürchterlichen Erlebnis in einem Umkleideraum für Mädchen, in dem es zu einer Auseinandersetzung mit drei Jungs gekommen war, von denen Maya zwei schwer zusammengeschlagen und den dritten fast umgebracht hatte, hatte ihr Dekanin Hunt netterweise angeboten, den Rest des Herbstsemesters auszusetzen, damit sie im Januar nach den Winterferien wieder zurückkommen konnte.
Doch Maya war nicht zurückgekehrt und jetzt war es zu spät dafür. Sie hatte zu viel verpasst. Sie hatte ihre Ausbildung um mindestens sechs Monate unnötigerweise verlängert - das war ein gewaltiger Schlag, wo es doch ihr Ziel war, die jüngste CIA-Agentin in der Geschichte der Agentur zu werden.
Doch sie brauchte nicht nur Zeit. Das war es, was sie ihrem Vater und ihrer Schwester erzählt hatte. Einfach nur ein wenig mehr Zeit mit ihnen und für sich, dann ginge sie zurück. Doch sie wusste nur zu gut, dass jeder Tag, den sie verstreichen ließ, ohne anzurufen und zu versprechen, im nächsten Semester zurückzukehren, ein weiterer Tag war, an dem sie sich überlegen konnte, überhaupt nicht mehr zurückzukehren.
Die Eingangstür der Wohnung öffnete sich und Maya schreckte kurz zusammen. Das war eine ganz natürliche Reaktion, wenn man bedachte, wie oft schon jemand in ihr Zuhause eingebrochen war, um ihre Familie zu töten oder zu entführen. Doch sie hatte gelernt, die Schritte ihres Vaters zu erkennen; sein frustriertes Seufzen, wenn die Tür ein wenig hängenblieb,