1177 v. Chr.. Eric H. Cline
Händler zeigt, die Waren ins Land bringen.3
Mit der Invasion der Hyksos in Ägypten endete die Epoche des Mittleren Reiches (ca. 2134–1720 v. Chr.). Ihren Erfolg verdankten sie wahrscheinlich ihrem Vorsprung in der Waffentechnologie und ihrer Fähigkeit zum Erstschlag, denn sie besaßen Kompositbögen, mit denen sie viel weiter schießen konnten als es mit den traditionellen Bögen der damaligen Zeit möglich war. Zudem besaßen sie Pferdestreitwagen, wie man sie in Ägypten noch nie gesehen hatte.
Von ihrer Hauptstadt Avaris im Nildelta aus herrschten die Hyksos nach der Eroberung fast 200 Jahre lang über Ägypten, von 1720 bis 1550 v. Chr., während der sogenannten Zweiten Zwischenzeit (15.–17. Dynastie).4 Es ist eines der wenigen Male zwischen 3000 und 1200 v. Chr., dass Ägypten von Ausländern regiert wurde.
Geschichten und Inschriften ungefähr vom Ende dieser Zeit, um 1550 v. Chr., nennen einige Schlachten zwischen den Ägyptern und den Hyksos. Eine berichtet über die Auseinandersetzung zwischen zwei Herrschern, den Streit zwischen Apophis und Seqenen-Re. In dieser – höchstwahrscheinlich apokryphen – Geschichte beschwert sich der König der Hyksos, Apophis, er könne nachts nicht schlafen, weil die Flusspferde, die sich der ägyptische König Seqenen-Re in einem Teich halte (der gleichzeitig in einem anderen Teil Ägyptens regierte), so großen Lärm machten. Die Beschwerde ist schon deshalb absurd, weil Seqenen-Res Palast mehrere hundert Kilometer von dem des Apophis entfernt lag – der eine in Oberägypten, der andere in Unterägypten. Der Hyksos-König hätte die Flusspferde also unmöglich hören können, egal wie laut sie waren.5 Doch wir besitzen die Mumie von Seqenen-Re und wissen aufgrund bestimmter Schädelverletzungen, die von einer Streitaxt stammen, dass er im Kampf gefallen sein muss. War es eine Schlacht mit den Hyksos? Das können wir nicht zweifelsfrei sagen; dass Apophis und Seqenen-Re einander bekämpften, ist jedoch durchaus möglich (ob es dabei nun um Flusspferde ging oder nicht).
Wir verfügen auch über eine Inschrift von Pharao Kamose, dem letzten König der 17. Dynastie, der damals von seinem Palast in Theben in Oberägypten aus regierte. Er liefert uns um 1550 v. Chr. ein paar Informationen über die letzte siegreiche Schlacht gegen die Hyksos, die er »Asiaten« nennt:
Abb. 3 »Asiaten« in Beni Hasan (nach Newberry 1893, Taf. xxx/xxxi. Mit freundlicher Genehmigung von der Egypt Exploration Society).
Ich segelte nach Norden, um die Asiaten mit meiner Macht zu besiegen, (…) meine tapfere Armee vor mir wie ein Feuer, (…) die Bogenschützen an der Spitze, um ihre Orte zu zerstören (…) Ich verbrachte die Nacht in meinem Schiff, mein Herz war glücklich; und als der Tag anbrach, stellte ich ihm nach wie einem Falken. Bis zur Frühstückszeit hatte ich ihn gestürzt, seine Mauern zerstört und sein Volk abgeschlachtet und hatte seine Frau hinunter zum Flussufer geschickt. Meine Armee verhielt sich wie Löwen mit ihrer Beute (…) Habseligkeiten, Rinder, Fett, Honig – (…) sie teilten die Gegenstände untereinander auf, mit fröhlichem Herzen.
Von Kamose erfahren wir auch etwas über das Schicksal von Avaris:
Was Avaris an den Zwei Flüssen betrifft, so machte ich es ohne seine Bewohner dem Erdboden gleich; ich zerstörte ihre Städte und verbrannte ihre Häuser für immer zu rötlichen Ruinenhaufen, aufgrund der Zerstörungen, die sie mitten in Ägypten angerichtet hatten: Sie hatten es sich erlaubt, dem Ruf der Asiaten zu folgen; (sie) hatten Ägypten, ihre Herrin, im Stich gelassen!6
Und damit vertrieben die Ägypter die Hyksos aus ihrem Land. Sie flohen zurück nach Retjenu (einer der altägyptischen Namen für das heutige Israel und Syrien; dieselbe Region nannten die Ägypter auch Pa-ka-na-na, Kanaan). Damit wurde gleichzeitig die 18. Dynastie eingeleitet, die Kamoses Bruder Ahmose begründete und mit der die Epoche des – wie wir heute sagen – Neuen Reiches in Ägypten begann.
Avaris und das übrige Ägypten wurden zu jener Zeit wieder aufgebaut, Avaris wurde umbenannt. Zur Zeit von Hatschepsut und Thutmosis III., etwa 60 Jahre später, also um 1500 v. Chr., war es endlich wieder eine blühende Stadt. Jetzt hieß sie Peru-nefer, besaß Paläste mit Fresken im minoischen Stil, die den Stiersprung zeigten und andere Szenen, die deutlich besser in die Ägäis passten als nach Ägypten. Ein Archäologe spekulierte einmal, es habe sogar eine königliche Hochzeit zwischen einem ägyptischen Herrscher und einer minoischen Prinzessin stattgefunden.7 Es gab durchaus eine Reihe ägyptischer Pharaonen der späten 18. und der 19. Dynastie, die Prinzessinnen aus dem Ausland heirateten, in erster Linie, um diplomatische Bande zu knüpfen oder Verträge mit fremden Mächten zu zementieren, wie wir später sehen werden; die minoischen Wandmalereien in Ägypten lassen sich aber auch erklären, ohne politisch motivierte Ehen ins Spiel zu bringen, denn es gibt viele davon unabhängige Hinweise auf Kontakte zwischen dem östlichen Mittelmeer, Ägypten und, in diesem Fall, der Ägäis.
Rückblende: Mesopotamien und die Minoer
Wir wissen dank einer Vielzahl von Daten, u.a. archäologischen Artefakten, Texten und bildlichen Darstellungen, dass die Minoer von der Insel Kreta bereits lange vor ihren Beziehungen zu den ägyptischen Pharaonen des Neuen Reiches mit verschiedenen Regionen des alten Orients in Kontakt standen. Zum Beispiel kennen wir minoische Objekte, die im 18. Jahrhundert v. Chr. über die Ägäis und das östliche Mittelmeer bis ins Zweistromland, das Land zwischen den Flüssen Tigris und Euphrat, gelangten – vor fast 4000 Jahren also.
In der antiken Stätte Mari, westlich vom Euphrat im heutigen Syrien gelegen, fanden französische Archäologen in den 1930er Jahren mehr als 20.000 beschriftete Tontafeln, die solche Artefakte und ihren Handel dokumentieren. Einheimische hatten den Archäologen mitgeteilt, sie hätten einen Mann ohne Kopf gefunden – dieser stellte sich als steinerne Statue heraus, und sie war nur eine von vielen. Darunter befand sich, wie eine Inschrift bewies, das Standbild des Königs einer antiken Stadt.8 Die Tafeln waren mit Texten in Altakkadisch beschrieben und stammten aus einem Archiv mit der königlichen Korrespondenz und anderen, eher banalen Aufzeichnungen zu den Königen von Mari. Einer dieser Könige hieß Zimri-Lim und regierte ca. 1750 v. Chr. Die Tontafeln enthielten alle möglichen Informationen, die für die Verwaltung des Palastes und der Organisation des Reiches notwendig waren, und sie verraten einiges über das Alltagsleben jener Zeit.
Eine Tafel zum Beispiel beschäftigt sich mit dem Eis für Zimri-Lims Erfrischungsgetränke, zu denen Wein, Bier und Drinks aus fermentierter Gerste gehörten, die Granatapfelsaft oder Anis enthielten. Wir wissen, dass er den Bau eines Kühlhauses am Ufer des Euphrat befahl, das dazu dienen sollte, Eis, das im Winter von den schneebedeckten Bergen herangekarrt werden sollte, aufzubewahren, bis man es in den heißen Sommermonaten benötigte. Er behauptete, kein König vor ihm habe jemals ein solches Kühlhaus errichtet, und das mag durchaus der Fall gewesen sein; Getränke mit Eis zu kühlen, war jedoch alles andere als neu in der Region, auch wenn ein König einmal seinen Sohn ermahnen musste, die Diener das Eis doch bitte säubern zu lassen, bevor es im Getränk landete: »Lass sie Eis sammeln! Lass sie es waschen und von Zweigen, Dung und Schmutz befreien!«9
Die Archive enthalten Aufzeichnungen über Handel und Kontakt mit anderen Regionen des Mittelmeeres und des Nahen Ostens, und sie erwähnen ausdrücklich ungewöhnliche Gegenstände, die man erhalten hatte. Wir wissen von diesen Tontafeln auch, dass zwischen den Herrschern von Mari und denen anderer Städte und Königreiche oft Geschenke ausgetauscht wurden und dass die einen Könige mitunter die Dienste der Ärzte, Handwerker, Weber, Musiker und Sänger eines anderen Königs in Anspruch nahmen.10 Zu den Highlights der auf den Tafeln von Mari verzeichneten exotischen Importgegenstände gehören ein Dolch und andere Waffen aus Gold, verziert mit kostbarem Lapislazuli, sowie Kleidung und Textilien, hergestellt »auf kaphtorische Art und Weise«.11 Kaphtor (oder Kaptaru) war der mesopotamisch-kanaanitische Name für Kreta, das die Ägypter später Keftiu nannten. Die Objekte mussten von Kreta aus einen weiten Weg zurücklegen; sie waren aufgrund ihrer aufwendigen Verarbeitung und des hochwertigen Materials ohnehin schon Luxusgegenstände, und die lange Reise machte sie noch wertvoller.
Eine Tafel beschreibt eine ziemlich ungewöhnliche Situation: Zimri-Lim, schickte ein Paar im minoischen Kreta gefertigte