Veza Canetti zwischen Leben und Werk. Vreni Amsler

Veza Canetti zwischen Leben und Werk - Vreni Amsler


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aussehen könnte. „Eine Kanzlei war ihr Ziel, sie lag in einem Wohnhaus. Der Raum war wie ein Hofzimmer. Aber sie verlor hier ihre Zaghaftigkeit, es schien, als wäre diese Düsterheit ihre Luft. Sie ging auf die Schreibmaschine zu, in Hut und Mantel, und betastete sie, wie ein Galeerensklave nach dem Ruder greift. Mit einem Lappen wischte sie über die Maschine. Dann begann sie den verstaubten Schreibtisch zu ordnen. Sie ahnte selbst, dass sie die Papiere eher in Unordnung brachte.“ (DF 48) Ihr Ziel dieses Morgens ist nicht die Arbeit, sondern sie möchte den Kunstmaler Bent kennenlernen, dabei entpuppt sich das, was sie als Nachteil empfunden hatte, ein Leben buchstäblich „ohne Gesicht“, als Vorteil für den Maler. (DF 59) Nachdem eine Begegnung mit Bent eingefädelt ist: „Dann wandte sie sich der Maschine (Schreibmaschine, Anm. va) zu. Die Maschine lief nach einem alten System. Aber die Sprünge und Widerstände der alten Maschine waren ihr recht.“ (DF 53)

      Ernst Polak ist derjenige Autor, der Ivan Cankars Erzählung Knecht Jernej mit einer Rezension in der Literarischen Welt184 im Jahr 1929 dem deutschsprachigen Publikum bekannt gemacht hat. Die Übersetzung dieses Werkes ins Deutsche war zuvor im Niethammer-Verlag Wien185 erschienen. Der Knecht Jernej lässt sein Lebenswerk, einen gutgehenden, ertragsreichen Bauernhof, in Flammen aufgehen, nachdem ihm durch alle Instanzen hindurch bestätigt worden ist, dass er absolut keine Rechte am Hof hat, da der Besitzer ein anderer ist und seine Aufbauarbeit nur der Familie seines Herrn gedient hat.186

      Die Fremdsprachenkorrespondentin Anna in der Erzählung Drei Viertel, die sich einerseits als Galeerensklavin sieht, die ihr Ruder, eben die Schreibmaschine, ergreift, scheint hingegen noch weit mehr Freude an ihrem Beruf gehabt zu haben. Genau dieses Bild evoziert auch Georges Canetti, wenn er Vezas Rolle im Leben seines Bruders mit verbannt auf diese Galeere, die ihr nicht gehöre, vergleicht. (BaG 185)

      Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Veza Canetti mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in Wien als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet hat. Wenn sie schreibt, dass sie „commercial correspondance in 3 Sprachen“187 kann, meint sie bestimmt Englisch, Französisch und Deutsch. Falls sie aber Fremdsprachen gemeint hat, wäre zu klären, was die dritte Sprache gewesen sein könnte. Das Ladino der spaniolischen Juden war wohl nicht gemeint, vielleicht jedoch Spanisch oder noch wahrscheinlicher Ungarisch, die Muttersprache ihres Vaters und eines Teils der Verwandtschaft Calderon.

      Veza Canetti hat für den Malik-Verlag nicht nur Übersetzungen gemacht, wie das mehr oder weniger intensive Ghostwriting für die Übersetzungen der drei Bücher von Upton Sinclair durch Elias Canetti in diesem Verlag beweist, sondern sie hat, wie sie selber 1947 in einem Brief an Wieland Herzfelde schreibt, in diesem Verlag ausserdem lektoriert: „So bin ich geblieben, was ich bei Ihnen zuletzt war, Lektorin bei einem englischen Verlag.“188 Da Veza Canetti im Malik-Verlag als Schriftstellerin nicht nur vor, sondern auch noch nach dessen 1933 erfolgtem Gang ins Exil nach Prag publiziert hat, ist zu vermuten, dass sie auch für den Exil-Malik-Verlag weiter lektoriert hat.

      Veza Canetti betont im zuvor erwähnten Brief an Wieland Herzfelde weiter, dass es viel zu erzählen gebe189 und dass sie lieber warte, bis dies mündlich möglich sei, „(…) denn wir werden uns doch alle einmal wieder zusammen finden.“190 Dies wirft natürlich die Frage auf nach dem genauen Umfang der Zusammenarbeit mit dem Malik-Verlag. Hat Veza schon Mitte 20er Jahre, von 1924 bis 1926,191 als der Verlag kurze Zeit eine Zweigstelle in Wien, am Bauernmarkt 1, betrieben hat, für Malik gearbeitet oder war das erst später der Fall? Als Autorin des Malik-Verlages taucht sie erst 1932 auf, nämlich in der Anthologie Dreissig neue Erzähler des neuen Deutschland mit der Erzählung Geduld bringt Rosen. Deutlich früher erfolgten die Übersetzungen Elias Canettis für Wieland Herzfeldes Malik-Verlag; gut vorstellbar ist, dass die Malik-Lektorin Veza Taubner ihrem damaligen Freund diese Übersetzertätigkeit im Anschluss an das Chemiestudium 1929 vermittelt hat.

      Bestimmt aber wurde im Hause Taubner/Canetti kurz vor dem Jahr 1930 sehr viel übersetzt. Rechnet man die Übersetzung von John Cowper Powys’ Wolf solent192 durch Veza Canetti vor dem Publikationsjahr 1930 im Unterakkord für Dr. Hoffmann bei Zsolnay dazu, sind es allein für den Malik-Verlag vorerst die beiden Übersetzungen von Upton Sinclairs Leidweg der Liebe193 und Das Geld schreibt,194 beide ebenfalls vor 1930 – Upton Sinclairs Alkohol195 hingegen wurde erst 1932 veröffentlicht.

      Der Biograf Elias Canettis, Sven Hanuschek, zitiert einen Tagebuchauszug Elias Canettis vom 5. September 1927, wo er festgehalten hat, was Veza an der Wollzeile in Wien um 11 ½ Uhr vormittags zu ihm gesagt hat: „Vor einem Jahre war ich jung und blühend, nun bin ich alt und verwelkt.“196 Hanuschek interpretiert diese Aussage dahingehend, dass Elias Canetti gemeint haben soll, er mache alle Frauen alt, wie es schon bei seiner Mutter der Fall gewesen sein soll. Dass Veza Taubner ausgerechnet an der Wollzeile, wo sich das Übersetzerbüro von Dr. Richard Hoffmann befand, diese Aussage macht, und zwar kurz vor der Mittagspause, könnte vielmehr etwas mit der hohen Arbeitsbelastung Veza Taubners zu tun gehabt haben. Wahrscheinlich war Veza einfach erschöpft von der sich kumulierenden Übersetzungs-Arbeit für zwei Verlage. Zudem muss sie parallel auch noch schriftstellerisch tätig gewesen sein. Sonst wären die Publikationen ihrer Erzählungen und Novellen anfangs der 30er Jahre ja nicht möglich geworden; ausserdem hatte sie ja zu diesem Zeitpunkt schon zwei Romane fertig, als da sind Kaspar Hauser und Die Geniesser.197 Dies würde ferner erklären, dass Elias Canetti mit seiner Übersetzertätigkeit frühestens ab 1928/29 eher Veza Taubner entlastet hat als umgekehrt. Gerade auch weil Elias Canetti im Februar noch seine Dissertation in Chemie abschliessen musste.198

      Leider kann nicht mit Sicherheit belegt werden, dass Veza Taubner vor 1930 für den Malik-Verlag lektoriert hat. Für die Anthologie Dreissig neue Erzähler des neuen Deutschland, die mit halbseitigen Porträts zu den 30 vertretenen Autoren endet, ist hingegen Veza Taubner als Lektorin in Betracht zu ziehen. Es stellen sich nur vier Dichter, darunter Veza Magd, gleich selbst vor, indem sie aus der Ich-Perspektive spannungsvolle Eckpunkte aus der eigenen Biografie schildern.199 Die mit „Notizen über Leben und Werk der 30 neuen deutschen Erzähler“ betitelten Autorenporträts weisen bei jedem Einzelnen explizit auf die proletarische Herkunft des Dichters oder der Dichterin hin. Der Stil dieser Porträts – eine Mischung aus Stolz und Sarkasmus – weist auf die Feder Veza Taubners hin. Leider ist kein Verfasser oder keine Verfasserin der Autorenporträts angegeben, gut vorstellbar ist, dass dies das Lektorat gleich selbst erledigt hat.200

      Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Lektorieren für den Malik-Verlag für Veza Taubner beziehungsweise Veza Canetti ab 1924 bis zum Jahr 1938 in Betracht gezogen werden muss. Die Übersetzertätigkeit für Malik erfolgte unter dem Namen von Elias Canetti, die literarischen Produktionen unter den Pseudonymen Veza Magd 1932 und Veronika Knecht 1934.

      Ein weiteres potenzielles Berufsfeld Veza Taubners ergibt sich aus Recherchen im Zusammenhang mit deren Preisgewinn bei der Arbeiter-Zeitung im Jahre 1933. In der Preisausschreibung zu diesem literarischen Wettbewerb erfährt man, dass dieser für die freien Mitarbeiter ausgeschrieben worden war, genauer für die in der heutigen Zeit vielfach in Not lebenden freien Mitarbeiter: „Die Arbeiter-Zeitung wünscht ihren Lesern einige angenehme Stunden zu bereiten, aber auch ihren in der heutigen Zeit vielfach in Not lebenden freien Mitarbeitern eine angenehme Aussicht zu eröffnen, indem sie ein Preisausschreiben für die beste Kurzgeschichte veranstaltet.“201

      Für diese freie Mitarbeit bei der Arbeiter-Zeitung gibt es leider keine direkten Belege. Eventuell waren mit freier Mitarbeit Personen gemeint, die seit Längerem Erzählungen in der Arbeiter-Zeitung veröffentlichen konnten; das war mit der Erzählung Der Sieger und dem Novellenzyklus Geduld bringt Rosen im Sommer 1932 bei Veza Taubner der Fall. Es könnte hingegen auch ganz anders gewesen sein, schreibt doch Elias Canetti in einem Brief an Georges vom 1. März 1934: „Sie (Veza Canetti, Anm. va) war bereits im Januar, als Mit-Arbeiterin einer hiesigen Zeitung und jugoslawische Staatsbürgerin, von einer Abschiebung nach Jugoslawien bedroht.“ (BaG 18) Ob es sich dabei um die Arbeiter-Zeitung handelt,


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