Fliegen lassen. Hans-Dietrich Reckhaus
zwischen Mensch und Insekt in eine neue Dimension. Das Ergebnis ist ein Umdenken in der Kundschaft.«
»Das Fensterprodukt ist viel zu teuer. Ich schätze, es würde knapp 200 Euro kosten. Ein heutiges Fliegenprodukt kostet fünf Franken. Das geht alles überhaupt nicht auf. Ich sehe die Sinnhaftigkeit in euren Überlegungen, aber in die Fensterbranche kann ich nicht einsteigen.«
Wir vereinbaren Stillschweigen über diese freundliche Art der Insektenbekämpfung, vielleicht ist das ja etwas für die Zukunft.
»Wir brauchen trotzdem ein überzeugendes Kommunikationskonzept«, sagt Patrik. »Die Medien könnten die Rettungsaktion sonst als billige Werbeaktion abwerten.«
»Wir benötigen einen Pressesprecher! Ich habe auch schon eine sehr gute Besetzung. Meine beste Studienfreundin! Sie ist kommunikativ stark, spricht sechs Sprachen fließend und möchte sich gerade beruflich verändern. Und wir brauchen einen Biologen! Einen Insektenspezialisten, der sich kompetent mit allen Fragen der Fliegenrettung auseinandersetzen kann. Auch hier habe ich schon die ideale Besetzung: Daniel Bucher aus Herisau. Ich kenne ihn seit Jahren. Aber es gibt da einen wunden Punkt: Die Aktion nächstes Jahr macht nur Sinn, wenn wir noch in diesem Jahr die Zusage von mindestens einem Kunden erhalten. Wenn wir also einen Auftrag zur Lieferung von Flippi im nächsten Frühjahr erhalten.«
»Das ist uns klar. Aber wir können nicht erst ein paar Wochen warten, bis Herr Paul den ersten Auftrag hat. Wir müssen unmittelbar starten, es gibt sehr viel zu tun.«
Zehn Tage später treffe ich mit Verstärkung im Atelier ein. Ohne meine Pressesprecherin, ich konnte sie nicht überzeugen, ihr ist die Rettungsaktion zu verrückt. Aber immerhin sind Herr Paul und Herr Bucher mitgekommen. Auch ihnen sieht man deutlich ihr Unbehagen an, mit Kunst hatten sie bisher nichts am Hut. Sie sind sich nicht sicher, ob Frank, Patrik und ich es wirklich ernst meinen. Und falls ja, ob sie dann vielleicht als fremdgesteuerte Akteure in einer skurrilen Kunstaktion fungieren.
Patrik holt eine kleine Kamera.
»Ich hoffe, es ist für euch in Ordnung, dass ich alles filme. Die Dokumentation gehört zu jedem Prozess dazu. Da muss man sich erst dran gewöhnen, aber später merkt man es gar nicht mehr.«
DÜRFEN WIR MIT TIEREN SO UMGEHEN?
WAS SAGT DIE ETHIK?
Ich beginne die Diskussion, richtig geheuer ist auch mir die Filmerei nicht.
»In den letzten Tagen haben mich intensiv die Fragen gequält, ob wir als Unternehmen überhaupt so mit Tieren umgehen dürfen und ob wir Fliegen für unseren ökonomischen Erfolg instrumentalisieren dürfen. Wie können wir eine ökologische und ethische Berechtigung für unser Tun erlangen?«
Über eine halbe Stunde diskutieren Frank, Patrik und ich, bevor Frank unsere Gedanken zusammenfasst:
»Wir brauchen ein nachhaltiges Konzept, das sich positiv auf die Natur auswirkt und langfristig angelegt ist. Nach der Rettungsaktion müssen unbedingt weitere Aktionen folgen. Außerdem müssen wir einen Geldbetrag pro verkaufter Fliegenscheibe festlegen, der von Reckhaus für Naturschutzprojekte abgeführt wird.«
»Herr Bucher, haben Fliegen Vorteile?«, frage ich. »Gibt es Orte, die von Fliegen profitieren? Frank, Patrik und ich haben uns überlegt, die geretteten Fliegen in Naturschutzgebieten auszusetzen, damit diese nicht in die Städte zurückfliegen und wiederum von den Menschen bekämpft werden.«
Fast stotternd führt der Biologe aus, dass auch Fliegen ökologisch wertvoll sind, er aber auf diese Frage nicht vorbereitet sei. Zum nächsten Treffen werde er uns gern einige Informationen mitbringen.
»Lasst uns zum Reiseziel kommen«, gehe ich zum nächsten Thema über. »Dürfen wir Fliegen überhaupt nach Mallorca einführen? Was passiert, wenn unsere Fliegenretter am Zoll festgehalten werden?«
»Wir brauchen ein zweites Ziel«, sagt Patrik. »Ich schlage Teneriffa vor.«
»Herr Paul, darf ich Sie bitten, bezüglich der Einfuhr von Fliegen mit den spanischen Behörden auf den Flughäfen Kontakt aufzunehmen?«
»Gerne, Herr Reckhaus«, antwortet Paul trocken.
»Lasst uns doch schon über nationale Reiseziele reden, wenn die Fliegen nicht nach Spanien eingeführt werden dürfen«, sagt Frank. Auch Deutschland wäre für die Künstler in Ordnung, wichtig ist ihnen nur, dass die Fliegen im Flugzeug reisen und einen eigenen Sitzplatz haben.
»Daniel, hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, wie die Reiseboxen aussehen können?«, fragt Patrik. »Die Fliegen müssen sich mehrere Tage darin wohlfühlen. Wichtig ist auch, dass die Boxen auf die Sitzplätze im Flugzeug passen. Ich gebe dir nachher eine Zeichnung mit, die die genauen Maße eines Flugsitzes zeigen.«
»Sind Fluggesellschaften überhaupt bereit, Insekten wie einen normalen Passagier zu transportieren?«, fragt Herr Bucher.
»Ich gehe davon aus, dass Lufthansa oder AirBerlin die Fliegen aufgrund des hoffentlich großen Medieninteresses für unser Projekt sehr gerne transportieren. Wir brauchen einen strategischen Fluglinienpartner. Herr Paul, das wäre ebenfalls eine super Aufgabe für Sie. Könnten Sie bitte mit beiden Gesellschaften erste Gespräche führen?«
Herr Paul nickt kurz und macht sich Notizen.
»Die Fliegen brauchen am Flughafen einen VIP-Service«, fordert Frank. »Und was passiert eigentlich mit den Fliegen, wenn sie zurückkommen?«
»Wir eröffnen einfach das erste Fliegenhotel Deutschlands«, sage ich. »Eine Wellnessoase, vielleicht ein Stall in einem alten Bauernhof, mit perfekten klimatischen Bedingungen und einer Webcam.«
D | |
Seit Jahren reden wir über DOWNSIZING. Die Diskussion geht für mich am Thema vorbei.Es reicht nicht aus, das Alte lediglich zurückzufahren, effizienter, schlanker und ressourcenschonender zu gestalten. Was wir brauchen, ist schnelles, exponentielles Wachstum mit Neuem. Und damit wir dieses Neue überhaupt finden, etwas Neues, das von Grund auf nachhaltig ist, müssen wir unser ganzes unternehmerisches Potenzial und Geschick in die Waagschale werfen. | Externalisierte, sinnentleerte Märkte zurückdrängen und stattdessen neue, nachhaltigkeitsorientierte Märkte aufbauen – da müssen wir jetzt ran. Bei einem ökologischen Fußabdruck von über 2,5 Erden gibt es viel zu tun! (M) |
»Eine sehr gute Idee, so könnte es gehen«, sagt Patrik.
»Wir haben noch nicht darüber gesprochen, wo und wann wir die Aktionen planen«, sagt Frank. »Ich bin für Großstädte wie Berlin, Hamburg und München, damit wir möglichst viele Menschen erreichen.«
»Ja, das finde ich gut«, sage ich. »Wenn wir dann pro Monat – also April, Mai, Juni, Juli und August – je eine Aktion in einer Stadt machen, dann ist Flippi die gesamte Saison lang Thema.«
»Wir müssen noch über die Medien sprechen«, fordert Patrik. »Wir sind skeptisch, ob die Medien unsere Geschichte so schnell aufgreifen. Unsere Erfahrung zeigt, dass Printmedien – wenn überhaupt – erst mit einer Zeitverzögerung reagieren. Bevor sie schreiben, recherchieren die Journalisten erst einmal im Netz und prüfen die Geschichte auf ihre Glaubwürdigkeit.«
»Entscheidend für uns ist daher, dass wir eine eigene Internetseite aufbauen und uns an den sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter beteiligen«, äußert sich Frank. »Am besten stellen wir unsere Geschichte bereits jetzt online.«
»Das geht mir viel zu weit«, sage ich. »Unsere Aktion ist noch zu jung und zu fragil. Ich möchte nicht Dinge in der Öffentlichkeit ankündigen und dann nicht genau so machen. Das ist unseriös.«
»Bezüglich der Medien können wir uns aber schon einmal kritische Fragen überlegen, die sicher kommen werden. Wir machen dir eine Liste dazu.«
Nach fünf Stunden verabreden wir ein nächstes Treffen in vier Wochen. Kaum zurück im Büro ist die Mail von Frank und Patrik auch schon da:
Herr Reckhaus,