Das Neue Land. Verena Pausder

Das Neue Land - Verena Pausder


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wahrlich disruptiven Textilgewerbe,

      und weiß:

      Wandel ist schmerzhaft. Wandel bedeutet tiefe Einschnitte.

      Ein Wandel kann alles auf den Kopf stellen.

      Aber: Ein Wandel ist nicht das Ende.

      Wandel kann man aktiv gestalten.

      Heute erleben wir den Übergang vom Industrie- zum Digitalkapitalismus.

      Und wie bei den industriellen Revolutionen zuvor

      denken wir wieder alle:

      Es wird schlimmer.

      Es wird aber nicht schlimmer.

      Durch die jeweiligen industriellen Revolutionen hat sich

      die Lebensqualität der Menschen verbessert.

      Die Arbeitsbelastung ist geringer geworden.

      Die Zahl der Arbeitsplätze hat zugenommen.

      Mir ist bewusst: In einer Zeit, in der krisenbedingt viele Arbeitsplätze verloren gehen,

      kann der Glaube an eine neue Arbeitswelt verloren gehen,

      auch wenn die Anzeichen bereits vor der Krise sichtbar waren.

      Ich bin überzeugt,

      dass wir noch nicht einmal ahnen,

      wie viele Arbeitsplätze wir mit dem digitalen Wandel schaffen,

      wie viel Arbeitsplätze im Neuen Land geschaffen werden.

      Denn das, was vor uns liegt, hat eine Bedeutung,

      die wir erst beginnen zu überblicken.

      Wir erleben die Auswirkungen einer weltweiten Pandemie.

      Menschen haben ihr Leben verloren.

      Unternehmen haben harte Zeiten vor sich.

      Arbeitsplätze gehen verloren, Träume zerplatzen,

      Entwürfe und Konzepte haben sich erledigt.

      Aber:

      Es geht weiter.

      Und wir haben nun zwei Möglichkeiten:

      Erstens:

      Wir können den Wandel tragisch und dramatisch finden,

      und alle diejenigen, denen etwas weggebrochen ist,

      irgendwie trösten und

      so lange wie möglich notwendige Maßnahmen hinauszögern.

      Oder zweitens:

      Wir können etwas machen.

      Wir können Chancen eröffnen.

      Wir können den Menschen zeigen, was vor ihnen liegen könnte,

      und gemeinsam mit ihnen ein positives Bild der Zukunft entwickeln.

      Darin sehe ich die Aufgabe von Politik:

      Wir brauchen politische Führung, die Chancen sieht,

      und nicht nur in Krisen handlungsfähig ist –

      sondern auch in »normalen« Zeiten.

      Wir brauchen Menschen, die Verantwortung für die Zukunft übernehmen.

      Wir brauchen mehr Engagement, mehr Fantasie, mehr Wille –

      und vor allem einen Glauben daran,

      mit verändern zu können.

      Deshalb engagiere ich mich für das Neue Land!

      Und auch, weil es langsam Zeit ist.

      Einmal, 2003 mit Mitte 20, wollte ich mich bereits politisch einbringen.

      Es hatte sich damals der Bürgerkonvent auf Initiative des Sozialwissenschaftlers Meinhard Miegel gebildet.

      Menschen aus der Mitte der Gesellschaft wollten

      etwas gegen die »Lähmung« tun.

      Sie wollten Deutschland besser machen.

      Es gab den Appell, dass Deutschland »eine Schippe drauflegen« müsse.

      Und diese Menschen fühlten sich diesem Appell verpflichtet.

      Eine Partei war es noch nicht, eher eine Bürgerbewegung, der Beginn einer Bewegung.

      In jeder großen Stadt bildeten sich Stammtische.

      Man traf dort Ärzt*innen, Steuerberater*innen, Beamt*innen, Lehrer*innen, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft,

      Leistungsträger*innen.

      Ich steckte gerade in meinem ersten Job bei der Münchener Rück.

      Der Zusammenbruch der New Economy lag hinter uns,

      und Deutschland erholte sich langsam von der Rezession.

      Mir ging das alles nicht schnell genug.

      Ich hatte das Gefühl, die Menschen – und gerade auch die Politik – waren viel zu träge, das alte Land wiederaufzubauen.

      Deshalb war ich so angetan von dieser Bürgerbewegung.

      Sie stellte die Schaffenskraft nach dem Zweiten Weltkrieg der Trägheit und »Sattheit« im Jahr 2003 gegenüber.

      Allein die Videos der Initiative sprachen mich so sehr an.

      Und die Sprache euphorisierte mich:

      »Deutschland ist besser als jetzt!«

      »Krempeln wir unsere Ärmel hoch, sind wir uns für nichts zu schade, packen wir es an!«

      Da wollte ich auf jeden Fall dabei sein!

      Also ging ich zum ersten Treffen in einem Münchener Lokal am Englischen Garten,

      es war eine klassische bayerische Wirtsstube.

      Die Decken niedrig, die Luft etwas stickig, schwere, dunkle Holzmöbel.

      Im Raum vielleicht hundert Menschen, viele Männer, kaum Frauen –

      und alle älter als ich.

      Aber wie die anderen war ich begeistert.

      Endlich!

      Endlich kommt Bewegung in unser Land!

      Endlich, der berühmte Ruck! Da ist er!

      Beim ersten Mal saßen alle an Tischen und auf Stühlen kreuz und quer verteilt im Raum,

      alle dicht gedrängt, alles leicht chaotisch.

      Viel Energie und Aufbruch lagen in der Luft –

      aber noch wenig Struktur.

      Man sollte sich melden, wurde vom Organisator aufgerufen.

      Dann sollte man sagen, warum man da sei

      und was die Motivation sei, beim Bürgerkonvent mitzumachen.

      Ich meldete mich als Zweite – und hob zu einem leidenschaftlichen Vortrag an:

      Dass ich Anfang 20 sei, noch lange in Deutschland leben würde und meinen Beitrag leisten wollte, dass Deutschland zukunftsfähig bliebe.

      Ich kam richtig in Fahrt.

      Ich rief in den Raum, dass wir mehr Chancen als Risiken sehen,

      nicht so viele Bedenken haben sollten,

      uns einfach mal trauen sollten.

      Das kam an.

      Es gab viel Applaus, die Leute schienen begeistert,

      dass sich eine junge Frau wie ich so für die Belange des Landes interessierte.

      Beim zweiten Treffen ging es schon wesentlich gesitteter zu.

      Es war derselbe Raum.

      Aber es waren weniger


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