Das Neue Land. Verena Pausder

Das Neue Land - Verena Pausder


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ein Tisch aufgebaut, an dem vier Männer saßen,

      jeder hatte ein Namensschild vor sich.

      Wer die Männer ausgewählt hatte, war nicht klar und

      warum sie da saßen,

      welche Funktion sie hatten,

      auch nicht.

      Bei Wortmeldungen musste man nun sagen, wer man sei, wie alt,

      welchen Beruf, Ausbildung

      und

      in welchem Bereich man sich ganz konkret engagieren wolle.

      Zur Auswahl standen: Arbeitsmarkt, Soziales, Wirtschaft, Bildung.

      Das hatte zur Folge, dass jeder, der sich meldete,

      erst mal ausführlich seinen eigenen Lebenslauf referierte und

      sich selbst im besten Licht darstellte.

      Die Aufgerufenen erzählten,

      was er oder sie schon Tolles gemacht hatten,

      um schließlich vertiefend zu erläutern,

      worin ihre Kompetenz im jeweiligen Bereich bestand.

      Hinzu kam, dass weit mehr über die Politik geschimpft wurde,

      als dass neue Lösungen oder Ideen vorgebracht wurden.

      Am Ende wurde man einer Arbeitsgruppe zugeteilt.

      Beim dritten Mal wurde dann endgültig begonnen,

      »Strukturen« zu schaffen.

      Ein Schatzmeister wurde ernannt.

      Fast der ganze Abend bestand darin, Posten und Aufgaben zu besprechen,

      festzulegen, wer was macht,

      und wer welches Amt bekommt.

      Plötzlich war da eine Lähmung.

      Der verbindende Geist hatte sich verflüchtigt.

      Man dachte nur noch in Zuständigkeiten,

      in regionalen Verbänden und Ausschüssen.

      Ich konnte zuschauen, wie der Mehltau sich auf das senkte,

      was sich immer noch euphemistisch »Bewegung« nannte.

      Nur bewegen wollte sich keiner mehr.

      Für mich eine betrübliche, aber rückblickend

      auch eine erhellende Erfahrung.

      Heute weiß ich:

      Wir brauchen ein Neues Land.

      Und wir dürfen nicht lockerlassen.

      Wir werden es in Bewegung bringen.

      Vielleicht sehe ich vieles zu »unternehmerisch«.

      Vielleicht habe ich zu lange in einem Klima gelebt,

      in dem man Dinge anpackt,

      indem man nicht lange zögert, wenn man von etwas überzeugt ist.

      Wer zwei Unternehmer als Eltern hat, kann sich dem kaum entziehen.

      Beim Mittagessen musst du still sein, weil im Radio die Börsenkurse genannt werden und gesagt wird,

      wo der Goldpreis gerade steht.

      Beim Abendessen geht es um die Firma,

      und am Wochenende wird der Tisch frei geräumt,

      weil Rechnungen gestapelt und abgearbeitet werden.

      Das kann man blöd finden, weil man oft zu kurz kommt.

      Weil man naturgemäß wenig von der Schule erzählen kann,

      wenn im Radio Kurse verlesen werden.

      Aber es kann einen mitreißen, es kann einen begeistern.

      Denn Unternehmertum heißt immer auch:

      Nichts ist wie gestern. Jeder Tag ist neu.

      Es gibt keine Routine. Kein Tag ist egal.

      Positiv wie negativ.

      Du bist always-on.

      Du musst immer alles geben.

      Und immer gilt das Mantra:

      »Das Glück ist mit den Tüchtigen!«

      »Von nichts kommt nichts!«

      »Mut wird belohnt!«

      Alles Sätze, die mich geprägt haben.

      Ja, das ist meine Sozialisation.

      Mich hat es nicht genug abgeschreckt.

      Ich habe es sogar richtig gemocht.

      Deshalb bin ich selbst Unternehmerin geworden.

      Weil ich es verinnerlicht habe,

      das Gefühl,

      sich etwas zu trauen,

      etwas auszuprobieren,

      einfach loszulaufen – auch wenn man nicht genau weiß, wohin es einen führt.

      Ich habe die Erfahrung gemacht,

      man läuft meist weiter, als man denkt,

      man steigt oft höher als gedacht.

      Damit das passiert, brauchen wir ein Ziel,

      eine gemeinsame Richtung, in die wir laufen.

      Gute Politik soll große Visionen entwickeln und große Wetten eingehen – aber:

      der Weg dahin wird in kleine, messbare, schnelle Schritte zerlegt.

      Keine*r im Neuen Land wartet auf den Riesenwurf.

      Jede*r im Neuen Land weiß aber:

      Wir brauchen ein Zielbild.

      Nehmen wir es also in die Hand und modernisieren das Land.

      Oder mit anderen Worten gesagt:

      Das 21. Jahrhundert hat noch einmal begonnen.

      Und es wäre schön, wenn viele mitmachen würden.

      Denn:

      Wir sind auf dem besten Weg, ein Naherholungsgebiet für China zu werden.

      Diese Gefahr ist durch Corona nicht geringer geworden –

      ganz im Gegenteil.

      Wir sind fast selbstverständlich dabei,

      Know-how, ganze Firmen, Patente nach Fernost zu veräußern –

      und darauf zu vertrauen,

      dass wir irgendwo immer noch Weltmarktführer sind.

      Warum sind wir so?

      Weil wir im Kopf noch zwischen 1983 und 1997 feststecken,

      weil wir in Autos und Maschinen denken,

      weil uns der Gedanke an die Zukunft verloren gegangen ist.

      Doch ich bin mir sicher, meine Generation, und vor allem auch die Jüngeren, die wollen nicht verwalten,

      sondern mitgestalten, wohin sich die Welt entwickelt.

      Das ist der Kern des Neuen Landes:

      Man wagt etwas, bevor man urteilt.

      Man probiert etwas aus, bevor man es schlecht redet.

      Wir haben alle wenig Ahnung,

      wie die Technologie unser Leben noch umkrempeln wird.

      Trotzdem halten wir an alten Statussymbolen fest,

      an alten Industrien,

      an einer veralteten Schulbildung,

      an einem überholten Verständnis von Arbeit und Produktion.


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