Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter  Benjamin


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nur in der Anschauung, nur in der Anschauung gibt es das Absolute. Die malerische Farbe ist nur ein Abglanz der Phantasie. In ihr biegt eigentlich die Phantasie ins Schaffen um, sie macht Übergänge mit Licht und Schatten, sie verarmt. Der geistige Grund im Bild ist die Fläche und wenn du wahrhaft sehen gelernt hast, so siehst du: die Fläche erhellt die Farbe, nicht umgekehrt. Die Raumunendlichkeit ist die Form der Fläche, sie ist der Kanon und von ihr geht die Farbe aus.

      margarethe Du wirst nicht so paradox sein, zu sagen, daß Phantasie nichts mit Kunst zu tun hat. Und mag ihr Kanon geistig sein und formende Schöpfung der Lebendigkeit bedeuten – die freilich auf die Natur allein in unendlichen Möglichkeiten sich bezieht – so empfängt doch der Künstler auch. Ihm erscheint das Einfach-Schöne, die Vision, das Beglückende des reinen Schauern nicht weniger, sondern mehr und tiefer als uns andern.

      georg Wie verstehst du das Erscheinende der Phantasie? Meinst du es als ein Vorbild und das Schaffen als Abbild?

      margarethe Der Schöpfer kennt kein Vorbild und also auch keines in der Phantasie. Ich meine es nicht als Vorbild, sondern als Urbild. Als das Erscheinende, in dem er aufgeht, in dem er verharrt, das er nie verläßt und das der Phantasie entsprungen ist.

      georg Die Muse gibt dem Künstler das Urbild der Schöpfung. Du hast wahr gesprochen. – Und was andres ist dies Urbild, als die Bürgschaft der Wahrheit seiner Schöpfung, die Gewähr, eins zu sein mit der Einheit des Geistes, aus dem Mathematik nicht minder als Plastik entspringt, Geschichte nicht weniger als die Sprache. Was andres verbürgt die Muse dem Dichter durch das Urbild, als den Kanon selbst, die ewige Wahrheit, die der Kunst zu Grunde liegt. Und jener Rausch, der bei der höchsten geistigen Klarheit durch unsere Nerven fließt, der verzehrende Rausch des Schaffens, ist das Bewußtsein, im Kanon zu schaffen, gemäß der Wahrheit, die wir erfüllen. In der schreibenden Hand des Dichters, in der malenden des Künstlers, in den Fingern des Spielers, in der Bewegung des Bildners, der einzelnen Regung, dem völligen Aufgehen in der Geberde, die er als gottbeseelt in sich anschaut – sich selbst, den Bildenden, als eine Vision, seine Hand geführt von. der Hand der Muse – darin waltet die Phantasie als Anschauung des Kanons im Schauenden und den Dingen. Als Einheit der beiden in der Anschauung des Kanons. Allein das Walten der Phantasie führt den Rausch des Genießenden, von dem ich erzählte, zum Rausch des Künstlers. Und nur, wo er das Urbild zum Vorbild zu machen strebt, wo er des Geistigen sich gestaltlos bemächtigen will, formlos anschaut, wird das Werk phantastisch.

      margarethe Wenn aber Phantasie die Gabe der reinen Empfängnis überhaupt ist, spannen wir ihr Wesen nicht ins Unermeßliche? Denn dann ist Phantasie in jeder Bewegung, die ganz rein, ganz selbstvergessen, in der Anschauung gleichsam getan ist, in Tanz und Gesang und Gang und Sprache ganz ebenso, wie im reinen Sehen der Farbe. Und warum wollten wir doch die Phantasie vorzüglich im Wesen der Farbe erblicken?

      georg Gewiß gibt es eine reine Anschauung in uns auch von unsrer Bewegung und von allem unserm Erzeugen und hierauf beruht ja, wie ich glaube, die Phantasie des Künstlers. Aber doch bleibt die Farbe vom Wesen der Phantasie der reinste Ausdruck. Denn eben ihr entspricht in dem Menschen kein schöpferisches Vermögen. Die Linie ist nicht so rein empfangen, weil wir sie durch Bewegung im Geiste verwandeln können und der Ton ist nicht absolut, weil wir die Gabe der Stimme haben. Sie sind nicht von der reinen, unantastbaren, der erscheinenden Schönheit der Farbe. – Ich sehe freilich, daß mit dem Gesicht eine besondere Region menschlicher Sinne anhebt, denen kein schöpferisches Vermögen entspricht: Farbwahrnehmung, Geruch und Geschmack. Sieh, wie deutlich und scharf das die Sprache bezeichnet. Von diesen Gegenständen sagt sie das gleiche, wie von der Tätigkeit der Sinne selbst: sie riechen und schmecken. Von ihrer Farbe aber: sie sehen aus. Denn so sagt man von Gegenständen niemals, um die reine Form an ihnen zu bezeichnen. Ahnst du den geheimnisvollen, tiefen Bezirk des Geistes, der hier beginnt?

      margarethe Habe ich ihn nicht früher geahnt, als du, Georg? Doch ich will die Farbe rein aus dem geheimnisvollen Reich der Sinne hervorheben. Denn je tiefer wir in jenes zweite Reich der aufnehmenden Sinne steigen, denen kein schöpferisches Vermögen entspricht, desto ärger werden seine Gegenstände substantiell, desto weniger dürfen die Sinne reine Eigenschaften empfinden. Man kann sie nicht für sich allein, mit dem reinen, abgesonderten Sinn aufnehmen, sondern nur als Eigenschaft einer Substanz. Aber die Farbe entspringt darum im Innersten der Phantasie, weil sie nur Eigenschaft ist, in nichts ist sie Substanz oder bezieht sich auf sie. Also läßt sich von ihr nur sagen, sie sei Eigenschaft, nicht aber, daß sie eine Eigenschaft hätte. Darum sind die Farben für die Phantasielosen zu Symbolen geworden. In der Farbe ist das Auge rein dem Geistigen zugewandt, sie erspart den Weg des Schaffenden durch die Form in der Natur. Sie läßt im reinen Aufnehmen den Sinn unmittelbar auf das Geistige treffen, auf die Harmonie. Ein Sehender ist ganz in der Farbe, sie ansehen heißt den Blick in ein fremdes Auge versenken, wo er verschlungen wird, in das Auge der Phantasie. Die Farben sehen sich selbst, in ihnen ist das reine Sehen und sie sind sein Gegenstand und Organ zugleich. Unser Auge ist farbig. Farbe ist aus dem Sehen erzeugt und färbt das reine Sehen.

      georg Du hast sehr schön gesagt, wie in der Farbe das eigentlich geistige Wesen der Sinne, das Aufnehmen, erscheint, wie die Farbe als dieses Geistige, Unmittelbare der reine Ausdruck der Phantasie ist. Auch verstehe ich erst jetzt, was die Sprache sagt, wenn sie vom Aussehen der Dinge spricht. Sie weist eben auf das Gesicht der Farbe hin. Die Farbe ist der reine Ausdruck des Weltanschauens, die Überwindung des Sehenden. Durch die Phantasie berührt sie sich mit Geruch und Geschmack und es werden die vornehmsten Menschen Phantasie im ganzen Bezirk ihrer Sinne frei entwickeln. Ich wenigstens glaube, daß erlesene Geister Phantasien des Geruchs, ja des Geschmacks rein aus sich selbst empfangen, wie andere Phantasien der Farbe. Erinnerst du dich nicht an Baudelaire? Diese äußersten Phantasien werden sogar Bürgschaft der Unschuld sein, da nur die reine Phantasie, aus der sie fließen, durch Stimmung und Symbole nicht entweiht wird.

      margarethe Unschuld nennst du den Bezirk der Phantasie, in dem die Empfindungen noch rein als Eigenschaften an sich selbst leben, ungetrübt noch im empfangenden Geiste. Ist diese Sphäre der Unschuld nicht die der Kinder und der Künstler? Ich sehe nun klar, daß beide in der Welt der Farbe leben. Daß Phantasie das Medium ist, in dem sie empfangen und schaffen. Ein Dichter schrieb: »Ware ich aus Stoff, ich würde mich färben.«

      georg Empfangend zu schaffen ist die Vollendung des Künstlers. Diese Empfängnis aus Phantasie ist keine Empfängnis des Vorbilds sondern der Gesetze selbst. Sie würde den Dichter seinen Gestalten selbst vereinigen im Medium der Farbe. Ganz aus Phantasie schaffen, hieße göttlich sein. Es hieße ganz aus den Gesetzen schaffen, unmittelbar und frei von der Beziehung auf sie durch Formen. Gott schafft aus einer Emanation des Wesens, wie die Neuplatoniker sagen; da dieses Wesen nichts andres mehr wäre, als die Phantasie, aus deren Wesen der Kanon hervorgeht. Vielleicht erkannte der Dichter dies in der Farbe.

      margarethe So verweilen nur die Kinder ganz in der Unschuld, und im Erröten gehen sie selbst in das Dasein der Farbe zurück. In ihnen ist die Phantasie so rein, daß sie es vermögen. – Aber sieh, es hat zu regnen aufgehört. Ein Regenbogen.

      georg Der Regenbogen. Sieh ihn an; er ist nur Farbe, nichts an ihm ist Form. Und er ist das Sinnbild des Kanons, wie er göttlich aus der Phantasie hervorgeht, denn in ihm ist die Folge der Schönheit die der Natur. Sein Schönes ist das Gesetz selbst, nicht mehr in Natur, nicht mehr im Raum verwandelt, nicht mehr durch Gleichheit, Symmetrie und Regeln schön. Nicht mehr durch Formen, abgeleitet aus dem Kanon, nein, in ihm selbst schön. In der Harmonie, da Kanon und Werk zugleich ist.

      margarethe Und geht auf diesen Bogen als Sinnbild nicht alles Schöne zurück, in dem die Ordnung der Schönheit als Natur erscheint?

      georg So ist es. In der reinen Anschauung steht der Kanon und erscheint allein in der Farbe. Denn in der Farbe ist die Natur geistig und sie ist von ihrer geistigen Seite her rein farbig. Sie ist wirklich Urbild der Kunst nach ihrem Dasein in der Phantasie. Die Natur lebt innerst in ihr, als die Gemeinschaft aller Dinge, die nicht schaffend, nicht geschaffen wurden. In der reinen Anschauung empfing die Natur. Auf sie geht alle Gegenständlichkeit der Kunst zurück.

      margarethe Könnte ich dir sagen, wie vertraut die Farbe mir ist! Eine Welt von Erinnerung ist um mich. Ich denke an die Farben der Kinder. Wie ist sie dort überall das rein Empfangene, der


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