Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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sind, vielmehr nur das Gefüge der Beziehungen, in dem die Identität des einzelnen Wesens Funktion einer unendlichen Kette von Reihen ist, in denen das Gedichtete sich entfaltet. Das Gesetz, nach dem sich alle Wesenheiten im Gedichteten als Einheit der prinzipiell unendlichen Funktionen zeigen, ist das Identitätsgesetz. Kein Element kann irgend bezugsfrei sich aus der Intensität der Weltordnung, die im Grunde gefühlt ist, herausheben. An allen einzelnen Fügungen, der innern Form der Strophen und Bilder wird dies Gesetz sich erfüllt zeigen, um schließlich in der Mitte aller dichterischen Beziehungen dies zu bewirken: die Identität der anschaulichen und geistigen Formen unter- und miteinander – die raumzeitliche Durchdringung aller Gestalten in einem geistigen Inbegriff, dem Gedichteten, das identisch dem Leben ist. — Hier aber muß nur die gegenwärtige Gestalt dieser Ordnung genannt sein: die vom Mythologischen weitabliegende Ausgleichung der Sphären der Lebendigen und der Himmlischen (so nennt Hölderlin sie meist). Und es erhebt sich nach den Himmlischen, sogar nach Nennung des Gesanges, nochmals »der Fürsten | Chor nach Arten«. So daß hier, um die Mitte des Gedichts, Menschen, Himmlische und Fürsten, gleichsam abstürzend aus ihren alten Ordnungen, zu einander gereiht sind. Daß aber jene mythologische Ordnung nicht entscheidet, daß ein ganz andrer Kanon der Gestalten dieses Gedicht durchzieht, liegt am erleuchtetsten in der Dreiteilung, in der Fürsten noch einen Platz neben Himmlischen und Menschen behaupten. Diese neue Ordnung der dichterischen Gestalten – der Götter und der Lebendigen – beruht in der Bedeutung, die beide für das Schicksal des Dichters haben wie für die sinnliche Ordnung seiner Welt. Gerade deren eigentlicher Ursprung, wie Hölderlin ihn sah, kann sich erst am Ende als das Beruhende aller Beziehungen ergeben, und was früher sichtbar ist, ist nur die Verschiedenheit der Dimensionen dieser Welt und dieses Schicksals, die sie an Göttern und Lebendigen annehmen, und eben: das völlige Leben dieser einst so abgesonderten Gestaltenwelten im dichterischen Kosmos. Das Gesetz, das formal und allgemein die Bedingung für den Bau dieser dichterischen Welt zu sein schien, beginnt nun aber, fremd und gewaltig, sich zu entfalten. – Alle Gestalten gewinnen, im Zusammenhang des dichterischen Schicksals Identität, daß sie darin mit einander aufgehoben in einer Anschauung sind, und so selbstherrlich sie erscheinen, schließlich zurückfallen in die Gesetztheit des Gesanges. Die wachsende Bestimmtheit gesteigerter Gestalten wird in den Änderungen gegen die erste Fassung am eindringlichsten erkannt. Es wird sich die Konzentration der poetischen Kraft an jeder Stelle Raum schaffen und der strenge Vergleich wird den Grund noch der geringsten Abweichung als den einheitlichen erkennen lassen. Dabei muß sich denn über die innere Absicht, auch wo die erste Fassung nur schwächlich ihr folgte, das Wichtige ergeben. Das Leben im Gesange, im unwandelbaren dichterischen Schicksal, das Gesetz der hölderlinschen Welt ist, verfolgen wir am Gestaltzusammenhang.

      Es gehen in gewichtig sehr abgehobnen Ordnungen Götter und Sterbliche in entgegengesetztem Rhythmus durch das Gedicht. Im Fortgang und im Zurückgehen von der Mittelstrophe wird dies deutlich. Eine höchst geordnete, wenn schon verborgne Abfolge der Dimensionen wird vollzogen. Die Lebendigen sind, jeweils deutlich, in dieser Welt Hölderlins, die Erstreckung des Raumes, der gebreitete Plan, in dem (wie noch sichtbar werden wird) sich das Schicksal erstreckt. In Hoheit – oder an Orientalisches gemahnender Weitläufigkeit – setzt der Anruf ein »Sind denn nicht dir bekannt viele Lebendigen?« Welche Funktion hat der Eingangsvers der ersten Fassung? Die Verwandtschaft des Dichters mit allen Lebendigen war angerufen als Ursprung des Mutes. Und es blieb nichts, als ein Bekannt-Sein, ein Kennen der Vielen. Die Frage nach dem Ursprung dieser Bestimmtheit der Menge durch den Genius, dem sie »bekannt« ist, führt in die Zusammenhänge des Folgenden. Viel, sehr viel über den Kosmos Hölderlins ist in diesen folgenden Worten gesagt, die – wieder fremd wie aus östlicher Welt und doch wieviel ursprünglicher als die griechische Parze – dem Dichter Hoheit geben. »Geht auf Wahrem dein Fuß nicht, wie auf Teppichen?« Die Umwandlung des Gedichtanfanges in seiner Bedeutung für die Art des Mutes setzt sich fort. Die Anlehnung an die Mythologie weicht dem Zusammenhang des eigenen Mythos. Denn hier hieße es an der Oberfläche bleiben, wollte man nur die Umsetzung der mythologischen Anschauung in eine nüchterne des Gehens erkennen; oder nur erkennen, wie die Abhängigkeit in der Urfassung (»Nährt zum Dienste denn nicht selber die Parze dich?«) zu einer Setzung in der zweiten wird (»Geht auf Wahrem dein Fuß. nicht …?«). – Analog war das »verwandt« der ersten Fassung zu einem »bekannt« gesteigert: eine Aktivität aus einem Abhängigkeitsverhältnis geworden. – Sondern entscheidend ist die Umsetzung dieser Aktivität selbst wiederum ins Mythische, aus dem die Abhängigkeit im frühem Gedicht floß. Es gründet sich aber der mythische Charakter dieser Aktivität darin, daß sie selbst gemäß dem Schicksal verläuft, ja seinen Vollzug schon in sich begreift. Wie alle Aktivität des Dichters in schicksalgemäß bestimmte Ordnungen greift und so in diesen Ordnungen ewig aufgehoben ist und sie selber aufhebt, dafür zeugt die Existenz des Volkes, ihre Nähe zum Dichter. Sein Kennen der Lebendigen, ihr Dasein beruht auf der Ordnung, die im Sinne des Gedichtes die Wahrheit der Lage zu nennen ist. Die Möglichkeit des zweiten Verses mit der unerhörten Spannkraft seines Bildes, setzt die Wahrheit der Lage als Ordnungsbegriff der hölderlinschen Welt notwendig voraus. Die räumliche und geistige Ordnung erweisen sich verbunden durch eine Identität des Bestimmenden mit dem Bestimmten, die ihnen gemeinsam eignet. Diese Identität ist in beiden Ordnungen nicht die gleiche sondern die identische und durch sie durchdringen sie sich zur Identität miteinander. Denn entscheidend ist für das räumliche Prinzip: es erfüllt in der Anschauung die Identität des Bestimmenden mit dem Bestimmten. Die Lage ist für diese Einheit Ausdruck; der Raum ist zu fassen als Identität von Lage und Gelegnem. Allem Bestimmenden im Raum ist immanent dessen eigne Bestimmtheit. Jede Lage ist im Raum allein bestimmt und allein in ihm bestimmend. Wie nun im Bilde des Teppichs (da eine Ebene für ein geistiges System gesetzt ist) zu erinnern ist an seine Musterhaftigkeit, die geistige Willkür des Ornamentes im Gedanken zu sehen ist – und also das Ornament eine wahre Bestimmung der Lage ausmacht, sie absolut macht – so wohnt der beschreitbaren Ordnung der Wahrheit selbst die intensive Aktivität des Ganges als innere plastisch zeitliche Form ein. Beschreitbar ist dieser geistige Bezirk, welcher gleichsam den Schreitenden mit jedem Willkürschritte im Bereich des Wahren notwendig beläßt. Diese geistig-sinnlichen Ordnungen machen in ihrem Inbegriff die Lebendigen aus, in denen alle Elemente dichterischen Schicksals in einer innern und besondern Form gelagert sind. Die zeitliche Existenz in der unendlichen Erstreckung, die Wahrheit der Lage, bindet die Lebendigen an den Dichter. Im gleichen Sinne erweist sich die Verbundenheit der Elemente in der Beziehung von Volk und Dichter noch in der Endstrophe. »Gut auch sind und geschickt einem zu etwas wir«. Nach einem (vielleicht allgemeinen) Gesetz der Lyrik erreichen die Worte ihren anschaulichen Sinn im Gedicht, ohne den übertragnen daran zu geben. So durchdringen sich in dem Doppelsinn des Wortes »geschickt« zwei Ordnungen. Bestimmend und bestimmt erscheint der Dichter unter den Lebendigen. Wie in dem Partizipium »geschickt« eine zeitliche Bestimmung die räumliche Ordnung im Geschehen, die Eignung, vollendet, ist nochmals in der Zweckbestimmung: »einem zu etwas« diese Identität der Ordnungen wiederholt. Als müßte durch die Ordnung der Kunst die Belebung doppelt deutlich werden, ist alles andere ungewiß gelassen und die Vereinzelung innerhalb großer Erstreckung in dem »einem zu etwas« angedeutet. Nun ist erstaunlich, wie an dieser Stelle, da doch das Volk auf das höchste abstrakt bezeichnet ist, aus dem Innern dieser Zeile eine fast Neugestalt des konkretesten Lebens sich erhebt. Wie als innerstes Wesen des Sängers das Schickliche sich finden wird, als seine Grenze gegen das Dasein, so erscheint dies hier vor den Lebendigen als das Geschickte; daß die Identität entsteht, in einer Form: Bestimmendes und Bestimmtes, Mitte und Erstreckung. Die Aktivität des Dichters findet an den Lebendigen sich bestimmt, die Lebendigen aber bestimmen in ihrem konkreten Dasein – »einem zu etwas« – sich an dem Wesen des Dichters. Als Zeichen und Schrift der unendlichen Erstreckung seines Schicksals besteht das Volk. Dieses Schicksal selbst ist, wie später deutlich wird, der Gesang. Und so als Symbol des Gesanges hat das Volk den Kosmos Hölderlins zu erfüllen. Das gleiche erweist die Verwandlung, die aus »Dichtern des Volks« »Zungen des Volks« schuf. Vorbedingung dieser Dichtung ist, immer mehr die einem neutralen »Leben« entlehnten Gestalten in Glieder einer mythischen Ordnung zu verwandeln. Gleich stark sind in dieser Wendung Volk und Dichter dieser Ordnung einbezogen. Besonders fühlbar wird in diesen Worten die Abkehr des Genius in seiner Herrschaft. Denn es ist der Dichter, mit ihm das Volk, aus dem er singt, ganz in den Kreis des Gesanges hinein versetzt, und eine flächenhafte Einheit des Volkes mit seinem Sänger (im dichterischen Schicksal) ist von


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