Liebe um Liebe. Dragica Rajčić Holzner
Dragica Rajčić Holzner
Liebe um Liebe
Roman
Von hier aus gesehen, wo nichts mehr geschieht,
und das ist auch gut so,
muß man die Vergangenheit ganz ableiden.
Ingeborg Bachmann
Inhalt
Rückkehr ins Glück 24. Juni 2011
Verliebt in Igor 24. Juni 1975
Fluch(t) ins Exil Split – Belgrad – Chicago 1976
Die Nacht und der Morgen danach 1977
Mail to [email protected] 2011
Split – Zagreb – Frankfurt Chicago
Rückkehr ins Glück 24. Juni 2011
Wäre Mutter anders, hätte ich nie geheiratet. Wie ein Hund, von der Leine gerissen, lief ich durchs Fenster weg, hängte ich mich an Igor. Ich wollte tanzen, lieben, schreiben, ich wollte Glück ernten, ich wollte ein schönes Haus mit großen Fenstern und Licht, ohne Angst, ohne Schläge, ohne Zittern, ohne Mutter, die mich nie, nie geküsst hat.
Igor liegt auf der Herzstation im Firule-Spital, in Split. Ich fürchte, wenn ich auf diesen Fersen ins Hospital komme, wenn ich in Igors helle braune Augen, die entsetzliche Angst vor dem Tod haben müssen, blicke, wenn ich seine Finger und den Handrücken mit den kleinen Narben von den Zigaretten auf dem Bettlaken sehe, wenn ich mich neben das Bett setze, am helllichten Tag, dann wird sich zeigen, dass wir noch immer dieselben sind, keine Sekunde abgerückt von uns von damals. Was, wenn ich seine Verzweiflung aufnehme, mich sofort als Wurm fühle oder als Herrscherin des Universums? Zu beidem konnte er mich damals machen.
Ein Mann vom Nachbarhaus, auf der Leiter, mit dem Rücken zu mir, hat ein buntes Tuch um die Haare gewickelt, er streicht die Fassade weiß. Ich schweige wie ein Stein. Was sagen nach so vielen Jahren? Sicher denkt er, ich hätte Igor allein gelassen, er habe sich deswegen zerstört.
Die Außentreppen aus Marmor sind voll schwarzer Flecken. Marmor von der Insel Brač, einmal sehr teuer, der Kaktus ist nicht an seinem Platz neben dem Eingang, mein ganzer Stolz, sicher gut anderthalb Meter groß.
Das erste Stockwerk ist eine materialisierte Igor-Illusion. Jahrelang hielten wir uns an den Bau wie an eine Festigkeit, die auf die Normalität unserer Ehe, unseres Lebens verweisen sollte, auf ein Leben für die Wahrnehmung von außen. Gut, Igor wollte auch mir und seinem Vater beweisen, dass er es in Chicago geschafft habe, dass Vaters ganze Sammelwut nichts bringe, dass man im kapitalistischen Ausland schneller sparen könne und ein Haus ohne Kredit aufbauen. Die Träume von Igors Vater sollten sich durch Igor verwirklichen. Ein Haus, ein schönes Haus, glänzend gebaut. Weiß. Hoch. Er würde allen zeigen, was man allein schaffen kann. Zeigen. Das Geld würden wir uns vom Mund absparen, wie man so sagt, aber wir aßen genug und nahmen Kredit auf. Im Sommer bauten wir am Traumhaus. Ich war in einen Film geraten, aber es gab keinen Regisseur, kein Ende der Drehtage und