Posttraumatische Belastungsstörungen. Mareike Augsburger
1992; van der Kolk et al. 2005).
2.2 KPTBS nach ICD-11
Eine KPTBS als »Geschwisterdiagnose« der PTBS kann diagnostiziert werden, wenn folgende Kriterien erfüllt sind (Augsburger und Maercker 2018a; Maercker und Augsburger 2017):
Das traumatische Ereignis
Die Grunddefinition eines traumatischen Ereignisses baut auf dem traumatischen Ereignis der PTBS auf. Es ist ergänzt um den Aspekt der Dauer (langanhaltend oder wiederholt) und der Unmöglichkeit, dem Ereignis zu entkommen. Als Beispiele werden Folter, Sklaverei, Genozid-Kampagnen, häusliche Gewalt sowie sexueller Missbrauch und Misshandlungen in der Kindheit genannt.
Die drei Kernsymptomgruppen der PTBS
Damit eine KPTBS diagnostiziert werden kann, müssen die drei Kernsymptomgruppen der PTBS (Wiedererleben, Vermeidung, Wahrnehmung einer gegenwärtigen Bedrohung) in klinisch signifikantem Ausmaß vorhanden sein.
Abb. 2.1: Konzeptualisierung der KPTBS
Zusatzsymptome spezifisch für die KPTBS
Wie aus Abbildung 2.1 ersichtlich (
Beeinträchtigung
Auch bei der KPTBS muss die Symptomschwere ein Ausmaß annehmen, dass eine signifikante funktionelle Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen vorliegt, ähnlich der Formulierung bei der PTBS.
Dieser neue Diagnoseschlüssel erlaubt es, Patienten und Patientinnen mit einem tiefgreifenden Störungsbild adäquat zu beschreiben und einer geeigneten Behandlung zukommen zu lassen, ohne sie mit dem Stigma einer Persönlichkeitsstörung zu belegen.
2.3 Validität und Nutzen der neuen Diagnose
Mittlerweile liegen mehrere Studien vor, die die Validität der neuen Diagnose nach ICD-11 stützen, wie eine aktuelle Übersichtsarbeit zeigt (Brewin et al. 2017). Auch die Konzeptualisierung der KPTBS als Erweiterung der PTBS-Kernsymptome um Zusatzsymptome ist empirisch gestützt (Brewin et al. 2017; Hyland et al. 2017b).
Eine KPTBS tritt häufiger als eine PTBS nach traumatischen Erfahrungen in der Kindheit auf und ist mit stärkeren Beeinträchtigungen assoziiert (Brewin et al. 2017). Doch auch im Erwachsenalter ist die Entwicklung einer PTBS nach sehr schweren traumatischen Erlebnissen möglich. Dies wurde in einer Studie mit Überlebenden in Kriegs- und Konfliktregionen gezeigt (De Jong et al. 2005). Zusammenfassend zeigt die Forschung, dass es sich bei der KPTBS um eine klinisch nützliche und valide Diagnose handelt. Mit der Aufnahme in das ICD-11 wird berücksichtigt, dass komplex Traumatisierte einen höheren therapeutischen Aufwand nach sich ziehen.
2.4 Exkurs: Vergleich der Klassifikationssysteme
Die beiden aktuell gültigen Klassifikationssysteme unterscheiden sich deutlich in der Konzeptualisierung von PTBS bzw. KPTBS. Im DSM-5 ist nicht nur die Anzahl der jeweils benötigten Kriterien genau spezifiziert, sondern es wird auch neben den drei Grundsymptomgruppen eine Anzahl von nötigen Zusatzsymptomen benannt. Im Gegensatz dazu verfolgt die ICD-11 einen anderen Ansatz: Mit dem Ziel der maximalen klinischen Nützlichkeit fokussiert sich die Konzeptualisierung des Störungsbilds auf die drei wesentlichen Kernsymptomgruppen. Alle potentiell mit anderen Störungsbildern überlappenden Symptome wurden aus der Kategorisierung gestrichen. Tabelle 2.1 stellt die unterschiedlichen Definitionen der PTBS im direkten Vergleich gegenüber (
Tab. 2.1: Gegenüberstellung der Kriterien für die PTBS nach den beiden Klassifikationssystemen (APA 2015; WHO 2018)
DSM-5ICD-11
Anmerkung: Obwohl nicht explizit genannt, wird der Ausschluss medizinischer Ursachen auch in der ICD-11 implizit vorausgesetzt.
Dies hat zur Folge, dass je nach Klassifikationssystem unterschiedliche Personengruppen mit einer PTBS diagnostiziert werden können. Verschiedene Untersuchungen haben dies gezeigt (z. B. Barbano et al. 2018; Hyland et al. 2018; Wisco et al. 2017). Zu interessanten Ergebnissen kommt eine Studie, die Unterschiede in Prävalenzen in verschiedenen Stichproben untersucht hat: Während bei studentischen Teilnehmenden die Anwendung der ICD-11 Kriterien zu weniger Fällen führte im Vergleich zu DSM-5, ergab sich bei chronischen Schmerzpatienten und Schmerzpatientinnen sowie bei Militärangehörigen kein Unterschied (Hansen et al. 2017). Weitere Forschung und die klinische Praxis werden klären müssen, wie sich diese Widersprüche auflösen lassen.
Merke
Je nach Diagnosesystem könnten unterschiedliche Personengruppen mit einer PTBS klassifiziert werden. Da im deutschsprachigen Raum in der Praxis vorrangig ICD-Kriterien angewandt werden, wird dieses Problem vor allem im internationalen Vergleich relevant.
3 Häufigkeit von PTBS und KPTBS
Das Risiko, jemals in seinem Leben ein potentiell traumatisches Ereignis zu erleben, ist hoch. Basierend auf einer großen epidemiologischen Untersuchung in Deutschland berichten ca. 67 % aller Befragten von der Konfrontation mit einer traumatischen Situation. Die häufigsten Ereignisse sind bezeugte Situationen, Unfälle und körperliche Gewalt (Maercker et al. 2018). Doch nur eine Minderheit der betroffenen Personen entwickelt anschließend auch eine PTBS oder KPTBS.
3.1 Prävalenzraten
Eine große epidemiologische Studie mit bevölkerungsrepräsentativen Daten ist die European Study of the Epidemiology of Mental Disorders/Mental Health Disability (Europäische Studie zur Epidemiologie psychischer Störungen/psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen) aus dem Jahr 2000 (Alonso et al. 2002). Die Diagnosen basieren auf den (älteren) Kriterien nach DSM-IV. Die für Deutschland an einer Stichprobe von 1.323 Personen ermittelten Zahlen aus diesem Survey sind in Tabelle 3.1 zu finden (
Tab. 3.1: Prävalenzraten der PTBS in Deutschland (nach Koenen et al. 2017)
PrävalenztypPrävalenzrate
Für die aktuellen Kriterien nach ICD-11 hat eine erste repräsentative großangelegte Untersuchung der Bevölkerung in Deutschland (2.524 Teilnehmende) ergeben, dass im Einmonatszeitraum 1,5 % die Kriterien der PTBS bzw. 0,5 % der KPTBS erfüllen (Maercker et al. 2018). Hierbei handelt es sich um Selbstberichte der Teilnehmenden, die die eigentliche Diagnose mittels strukturierten Interviews somit überschätzen könnten.
Prävalenzen im weltweiten Vergleich
Basierend auf den Daten der European Study