INTO THE BEAT. TextDoc Kiesel

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und meine Knöchel sorgfältig mit Tape umwickelt. Darüber hatte ich Satin­bänder gebunden und die Haare nach Vorschrift zum Dutt hochgesteckt. So saß ich nun da auf dem Parkett unserer prunkvollen Schule, wie die anderen Elevinnen auch, und wartete. Wartete auf die Ansage unserer Tanzlehrerin.

      Dann kam sie durch die weiße, mit Goldfarben verzierte Flügeltür. Wie eine Königin schritt die große alte Dame auf uns zu. Jedem ihrer Schritte und jeder ihrer Gesten war die Erhabenheit anzusehen. Frau Rosebloom hatte eine unfassbar erfolgreiche Ballett­karriere als Prima Ballerina hinter sich. Sie hatte Beifall­stürme auf den Bühnen dieser Welt rund um den Globus erlebt, lange Artikel mit großen Fotos waren in den Zeitungen über sie erschienen, sie wurde gefeiert, auch nach ihrer Karriere. Sie hatte schon meinen Papa trainiert, und Elevin an ihrer Tanzschule zu sein, war Auszeich­nung und Ehre zugleich. Frau Rosebloom war eine Göttin für uns. Und Göttinnen huldigt man, auch wenn man sie nicht immer liebt.

      »Guten Morgen, young Ladies«, sagte die Göttin zu uns Mäd­chen und fuhr mit ernster und fordernder Stimme fort: »Ihr habt noch acht Wochen bis zum Vortanzen. Denkt immer daran: Die New York Ballet Academy sucht nur eine für das Stipendium aus. Das ist eure große Chance. Enttäuscht euch nicht.«

      Da war er wieder. Der Druck. Die Jury der Academy würde genau hinsehen, und ja, nur eine von uns, nur eine einzige von uns allen würde genommen werden.

      Ich wollte genommen werden. Und ich war mir sicher, dass ich es schaffen würde.

      Ich heiße Katya. Ich bin 16. Manche nennen mich anmutig und schön und selbstsicher. Sollen sie. Mir ist das egal, was andere über mich denken. Ich bin ich. Von meinen Fragen, meinen Zweifeln und Unsicherheiten wissen sie ohnehin nichts. Alles war schwer genug die letzten Jahre. Nicht nur wegen des Trainings im Ballett. Auch zu Hause. Vor allem seit der Sache mit Mama.

      Aber daran konnte ich jetzt nicht denken. Frau Rosebloom klatschte in die Hände und sagte: »Wir beginnen heute mit der Solo­variation aus Dornröschen Auroras Geburtstag«.

      Dann schaute sie mich direkt an und bat mich nach vorn.

      Ich war also als Erste dran. Vortanzen im Training. Nichts Besonderes. Ich eilte zum Spiegel und ging in Startstellung.

      Der Pianist begann zu spielen.

      »S’il te plait.« Los ging’s.

      Mit den ersten Klavierklängen begann ich, die vorgegebene Choreografie und die Figuren zu tanzen.

      Auf den Spitzen. Die Hände immer wieder federleicht in der Höhe. Die Arme geschwungen. Alles war fließend, graziös, fehlerfrei.

      »Cinquième.«

      Die schier endlosen Aufzählungen von Frau Rosebloom schreckten mich nicht.

      Entrée.

      Ballonné, Ballonné.

      Battement tendu, Battement tendu.

      Assemblé.

      Fouetté en tournant.

      Fouetté en tournant.

      À la seconde.

      Ailes de Pigeon.

      Zweimal Glissade und Grand jeté …

      Ich tanzte alles perfekt. Bis zur Schlussposition.

      »Bravo, Katya«, sagte Frau Rosebloom anschließend. Die Worte waren ihr Applaus. »So tanzt nur eine echte Orlow.«

      Ja, ich war eine Orlow. Eine echte Orlow. Die Orlows waren und sind eine Meistertänzer-Familie. Papa war stolz auf mich.

      Staatsballett

      Wie ich meine Freiheit liebte. Auf dem Fahrrad zum Beispiel spürte ich sie. Ich trat in die Pedalen und raste durch die Straßen. Aus den Kopfhörern dröhnte laut Popmusik. Ja, ich weiß, das ist verboten, auf dem Rad Musik zu hören. Aber das war mir in diesem Moment egal. Ballett war Ballett. Und Freiheit war FREIHEIT.

      Im Kindergarten musste ich meinen Bruder Paul abholen. Er war fünf. Ich mochte den Kleinen sehr. Seit Mama weg war, musste ich mich noch mehr um ihn kümmern und so war er mir noch wichtiger geworden.

      In seinem grasbefleckten Fußballtrikot wartete Paul bereits. Am Fenster hielt er nach mir Ausschau. Als er mich sah, stürmte er hinaus zu mir. Ich nahm schnell die Kopfhörer ab, ehe es noch eine Erzieherin sah.

      »Mann, da bist du ja endlich!«, rief Paul.

      »Was denn, ich bin total pünktlich«, erwiderte ich.

      Und das stimmte sogar. Denn ich hatte mich nach dem Ballett beeilt, weil wir schnell zu Papa wollten. Er hatte heute Premiere. Aber es war noch ewig Zeit.

      Das machte ich Paul jetzt auch klar: »Die Premiere ist heute Abend. Wir könnten einmal um die ganze Welt fahren und wären immer noch rechtzeitig da.«

      Paul schaute mich irritiert und fragend an. »Hä? Um die ganze Welt?«

      So war er, unser Paul. Klein halt noch. Und ziemlich verträumt. Und manchmal ein wenig langsam im Denken. Aber klug war er trotzdem, pfiffig auch. Und immer für eine Überraschung gut.

      Ich musste schmunzeln, zeigte ihm die Tupperdose und sagte: »Hier, Wegzehrung.«

      Paul stieg auf mein Rad, den improvisierten Kindersitz liebte er.

      Ab ging’s. Auf zu Papa ins Staatsballett.

      Als wir das Foyer betraten, sahen wir Victor gleich. Unser Vater stand kerzengerade vor einem Mikrofon und gab einem Journalis­ten ein Interview. Eine Fotografin knipste Fotos. Ich wollte gerade den Finger auf meine Lippen legen, damit Paul wusste, dass er ruhig sein sollte. Aber Papa hatte uns schon gesehen und unterbrach seine Antwort für das Interview. Seine Familie war ihm wichtiger.

      »Hey, Paule«, rief er voller Freude. »Da seid ihr ja.«

      Paul war schon losgerannt und stürzte auf ihn zu.

      »Komm Paul, lass uns fliegen, fliegen … «, rief Papa und breitete seine Arme weit zum Propeller aus. So war er. Auf seine Kinder ließ unser Papa nichts kommen.

      Laut johlend stürmte Paul auf ihn zu. Papa riss ihn an sich, warf ihn freudig in die Höhe und ließ ihn durch die Lüfte sausen.

      Der Journalist sah zu und sagte: »Na, da will wohl jemand in die Fußstapfen seines Vaters treten.«

      »Na, schauen wir mal«, meinte Papa. »Ich glaube, er schießt lieber als Stürmer Tore …« Dann sah er zu mir und sprach weiter. »… Aber machen Sie sich keine Sorgen, die nächste Orlow steht schon längst in den Startlöchern.«

      Die nächste Orlow – das war ich. Jedenfalls für Papa, der seinen Stolz über seine Tochter auch jetzt nicht verbergen konnte. Freudig nahm er mein Gesicht in seine Hände und gab mir zur Begrüßung einen Kuss. Dann nahm er mich in den Arm und sagte: »Kommt, wir machen ein Familienfoto für die Zeitung.«

      Die Orlows für die Ewigkeit sozusagen.

      Premiere

      Bis zur Premiere war wie gesagt noch ein wenig Zeit. Aber wir blieben im Staatsballett. Hier war nicht immer solche Hektik, aber heute war wirklich irre viel los. Trotzdem lief alles routiniert. Wie immer vor einer Premiere. Ich war schon oft dabei. Für Paul war das alles noch ein bisschen neu. Aber er fühlte sich auch sichtlich wohl. Und war stolz auf seinen Papa, der ihn zwischendurch immer mal wieder auf den Arm genommen hatte. Und dann war Papa auch schon im Feder­kostüm, seinem Kostüm für den Auftritt.

      Wir standen in der Nullgasse zwischen den Vorhängen, schauten zur Bühne, wo Papa noch mal übte und nachher, wenn die Zuschauer im Saal waren, auftreten und bestimmt gefeiert werden würde.

      Romy, die Abendspielleiterin, schob sich an uns vorbei. »Eine Minute noch, okay!«, sagte sie.

      Wir warteten voller Spannung.

      Gleich musste Papa raus auf die Bühne.

      Das


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