INTO THE BEAT. TextDoc Kiesel

INTO THE BEAT - TextDoc Kiesel


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schien ein wenig aufgeregt, das war eigentlich untypisch für ihn. Er ist sonst immer ganz cool. Auch vor den Auftritten.

      »Ich mach den großen Sprung heute nur für dich«, sagte er und lächelte mich an.

      »Toi, toi, toi, Papa!«, sagte ich und spuckte ihm auf die Schulter.

      Er ging auf seine Position Richtung Bühne, zwinkerte mir noch mal zu, setzte seine Vogelmaske auf und konzentrierte sich jetzt voll und ganz auf seinen Auftritt. Noch mal tief Luft holen.

      Im Zuschauersaal brandete Applaus auf.

      Dann eröffnete er sein Solo, perfekt und exakt zum richtigen Zeitpunkt. Stolz schaute ich zu aus unserer Ecke in der Nullgasse. Wir konnten alles gut sehen. Papa tanzte hingebungsvoll und ausdrucksstark im Lichtkegel.

      Plötzlich stand Romy neben mir. Jetzt, da die Vorstellung lief, schien die Anspannung von ihr gewichen zu sein.

      »Hey, Katya«, sagte sie. »Schön, dich zu sehen.«

      Und dann meinte sie flüsternd, wie unglaublich ähnlich ich meiner Mutter mittlerweile sähe. Da war er wieder, dachte ich. Der Vergleich. Wie oft hatte ich den schon gehört – den Orlow-Vergleich …

      Zum Glück ging es jetzt gerade nicht um mich. Jetzt stand Papa auf der Bühne im Rampenlicht. Und ich nur in der Nullgasse.

      »Und was macht New York?«, fragte Romy.

      »Das wird«, sagte ich und lächelte Romy an.

      »Wow. Was für ein Traum«, meinte Romy. »Wir drücken alle die Daumen, dass das was wird. Dein Vater redet von nichts anderem mehr.«

      Wieder lächelte ich sie an. Es war schön, zu wissen, dass andere an einen glauben. Und Romy war Profi durch und durch. Ihre Aussage bedeute was. Aber noch mal, eigentlich war das jetzt nicht wichtig. Denn jetzt und hier ging es um Papa. Er ließ sich gerade in der Drahtseilkonstruktion befestigen.

      Gleich würde er fliegen.

      Der große Sprung.

      Wie oft hatte er ihn geprobt.

      Wie oft hatte er davon erzählt.

      Passend zur Musik, die immer dramatischer wurde, nahm er Anlauf und setzte zum großen Sprung an.

      Jetzt gleich hob er ab, schwebte höher und höher durch die Lüfte.

      Gigantisch sah das aus.

      Grandios sah das aus.

      Ich schaute gebannt wie alle anderen zu.

      Der Lichtkegel der Scheinwerfer verfolgte den fliegenden Tänzer …

      Doch dann passierte das Schreckliche.

      Das, was niemand erwartet hatte.

      Keiner hatte es kommen sehen.

      Alles lief ab wie im Zeitraffer.

      Der Aufschrei im Zuschauersaal.

      Der dumpfe Knall seines Aufschlags auf dem Bühnenboden.

      Die fassungslose Stille …

      Ehe alle zu ihm stürzten – zu Papa auf dem Boden.

      Noch immer sind meine Augen wie vor Schreck geweitet, wenn ich an diese verdammte Szene denke. Noch immer zittere ich am ganzen Körper. Noch immer kann ich kaum glauben, was seither passiert ist.

      Alle dachten, Papa würde nach diesem Unfall nie wieder laufen können.

      Zum Glück hatten sie nicht recht.

      Aber alles kam ganz anders.

      Wochen später

      (Aus dem Drehbuch)

      TANZSCHULE / BALLETTSAAL

      INNEN – TAG

      Im Ballettsaal sitzt Katya unter den Elevinnen auf dem Boden.

      Sie ist in Gedanken.

      FRAU ROSEBLOOM

      (zu den Elevinnen)

      All right, Ladies. Wir haben noch drei Wochen.

      Ihr habt ab jetzt nichts anderes als Ballett im Kopf.

      Trainiert in jeder freien Sekunde. Keine Pause.

      Keine Ablenkung. Okay?

      Die Elevinnen nicken.

      FRAU ROSEBLOOM (CONT’D)

      I hope so. See you tomorrow.

      Die Mädchen packen ihre Taschen.

      Frau Rosebloom kommt zu Katya.

      FRAU ROSEBLOOM (CONT’D)

      Er kommt heute nach Hause, richtig?

      Katya nickt. Frau Rosebloom lächelt warm.

      FRAU ROSEBLOOM (CONT’D)

      Keine Angst, Katya.

      Ihr habt schon ganz andere Dinge gemeinsam geschafft.

      Alles wird gut, glaub mir.

      Katya lächelt Frau Rosebloom ermutigt an.

      FRAU ROSEBLOOM (CONT’D)

      Victor kann übrigens sehr stolz auf dich sein.

      Du hast noch mal enorme

      Fortschritte gemacht.

      New York ist für dich zum Greifen nah.

      KATYA

      Danke.

      FRAU ROSEBLOOM

      Richtest du ihm liebe Grüße aus?

      KATYA

      Mach’ ich, Frau Rosebloom.

      Frau Rosebloom nickt und schaut Katya liebevoll hinterher.

      BALLETTSCHULE / UMKLEIDE

      INNEN – TAG

      In der Umkleide steht Katya an ihrem Spind und zieht sich um. Janine setzt sich auf die Bank und seufzt übertrieben.

      KATYA

      Ja, Janine?

      JANINE

      (gespielt freundlich)

      Nichts. Ich wollte dir nur sagen, wie unglaublich stark du bist.

      Erst die Sache mit deiner Mutter vor drei Jahren und jetzt das …

      Hoffentlich kann er bald wieder richtig laufen.

      JANINE (CONT’D)

      Ich hab’ ihn doch noch vor ein paar Tagen tanzen sehen.

      Janine schüttelt mit betroffener Miene den Kopf.

      JANINE (CONT’D)

      Und dann der ganze Druck mit New

      York. Jeder, der normal ist, müsste

      doch daran kaputt gehen.

      Katya blickt auf. Sie spürt, Janine holt zum Schlag aus.

      JANINE (CONT’D)

      Aber was soll’s? Es stand ja sowieso schon in der Zeitung: Orlows Nachfolgerin wartet in den Startlöchern.

      Bei dem Namen ist es doch

      sowieso egal, wie man tanzt …

      Katya rastet aus.

      KATYA

      (gereizt)

      Halt doch einfach mal deine Klappe.

      Katya geht. Janine schaut ihr grinsend hinterher.

      Daheim

      Unsere


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