Die Erscheinungen von Kibeho. Immaculée Ilibagiza
sie nicht, weil ihr euch von materiellen Dingen ablenken lasst. Jesus sagt euch, dass ihr eure Ohren für seine Botschaft und eure Herzen für seine Liebe öffnen sollt. Zu viele Menschen sind vom Weg abgekommen und gehen auf der bequemen Straße, die von Gott wegführt. Jesus sagt, ihr sollt zu seiner Mutter beten, dann wird die selige Jungfrau Maria euch zum allmächtigen Gott hinführen. Der Herr ist mit Botschaften der Liebe und dem Versprechen der ewigen Glückseligkeit zu euch gekommen, doch ihr bittet stattdessen um Wunder. Hört auf, am Himmel nach Wundern zu suchen. Öffnet euer Herz für Gott; wahre Wunder geschehen im Herzen.«
Pater Rwagema schaltete den Kassettenrekorder aus und schenkte den Jungen und Mädchen, die ihn ehrfürchtig anstarrten, ein breites Lächeln. Noch heute, fünfundzwanzig Jahre später, kann ich dieses Lächeln vor meinem geistigen Auge sehen, weil es mir gezeigt hat, dass Gott wirklich existiert.
DIESES LÄCHELN SAH MAN IN JENEN TAGEN AUF VIELEN GESICHTERN IN MATABA, dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Es liegt in Ruanda, einem kleinen und unglaublich schönen Land im Herzen Afrikas. Doch leider denken die meisten Leute, wenn sie den Namen Ruanda hören, nicht an die Schönheit des Landes; das, wofür Ruanda auf der ganzen Welt bekannt ist, ist der blutige Völkermord des Jahres 1994, bei dem mehr als eine Million unschuldiger Männer, Frauen und Kinder – unter ihnen auch ein Großteil meiner Familie – grausam niedergemetzelt wurden.
Doch an dem Tag, an dem ich mit den anderen Kindern aus dem Dorf Pater Rwagemas Kassetten anhörte, war der Tag des Genozids noch zwölf Jahre entfernt. Wenn jemand mir damals gesagt hätte, dass fast alle meine Verwandten und Freunde bald bei einem Völkermord ums Leben kommen würden, hätte ich ihn für verrückt gehalten. Für mich war mein Land ein echtes, friedliches Paradies – zumal in den frühen Achtzigerjahren, als die wundersamen Ereignisse ganz Ruanda mit einem nationalen Gefühl der brüderlichen Liebe und des Glaubens an Gott erfüllten.
In dieser Zeit erschienen die Jungfrau Maria und ihr Sohn Jesus – so unglaublich dies auch klingen mag – erstmals einer Gruppe junger Leute in einem Dorf namens Kibeho, das im Süden Ruandas liegt. Die Seher überbrachten himmlische Botschaften, die für die ganze Welt bestimmt waren: Botschaften der Liebe und Anweisungen für ein besseres Leben, ein fürsorglicheres Miteinander und ein effektiveres Beten. Außerdem aber gingen mit diesen Botschaften düstere, apokalyptische Warnungen einher: Hass und Sündhaftigkeit würden Ruanda und den Rest der Welt in einen finsteren Abgrund stürzen. Dass die Jungfrau Maria den Völkermord des Jahres 1994 vorhersagte, ist einer der Hauptgründe dafür, dass die katholische Kirche den Erscheinungen von Kibeho eine solche Aufmerksamkeit schenkte.
Im November 2001 erkannte die Kirche in einem außergewöhnlichen Schritt die Marienerscheinungen der drei Schülerinnen Alphonsine, Anathalie und Marie-Claire offiziell an. Zuvor hatten Ärzte, Wissenschaftler, Psychiater und Theologen die Mädchen aufs Strengste befragt und untersucht. Doch keine Untersuchung konnte die wunderbaren und übernatürlichen Ereignisse erklären, die geschahen, wenn die selige Jungfrau Maria den Mädchen erschien. Es war unumstößlich erwiesen, dass es sich um eine echte Erscheinung handelte, und der Ortsbischof sagte, in Ruanda habe sich zweifellos ein Wunder ereignet. Also bestätigte der Vatikan jene Stätte, die heute als »Heiligtum Unserer Lieben Frau der Schmerzen« bekannt ist. Es ist der einzige anerkannte Erscheinungsort in ganz Afrika.
Bislang hat die Kirche nur die Visionen von Alphonsine, Anathalie und Marie-Claire anerkannt und bestätigt, die zwischen 1981 und 1989 stattgefunden haben. Einige andere Seher (unter ihnen Segatashya, von dem bereits die Rede war) haben jedoch sowohl die selige Jungfrau Maria als auch Jesus gesehen und sind von demselben Expertenteam untersucht worden. Zehntausende von Augenzeugen – viele von ihnen Priester und Wissenschaftler – haben die Erscheinungen von mindestens fünf dieser anderen Seherinnen und Seher miterlebt. Die kirchliche Anerkennung dieser Erscheinungen steht zwar noch aus, doch dieses Kapitel sei, so der zuständige Bischof, noch nicht abgeschlossen, auch wenn die Ermittlungen zurzeit ausgesetzt seien. Es ist also durchaus denkbar, dass die Kirche in Zukunft noch weitere Seher anerkennen wird. Im vorliegenden Buch werde ich mich auf die acht bekanntesten Seherinnen und Seher konzentrieren, über die wir am meisten wissen.
Tatsächlich darf ich mich selbst als eine der Ersten betrachten, die die Überzeugung hegten, dass Maria und Jesus nach Ruanda gekommen waren. Lange bevor unser Ortspriester Pater Rwagema begann, nach Kibeho zu reisen und die Botschaften der Seher aufzuzeichnen, wusste ich schon tief in meinem Herzen, dass unser Land von einer göttlichen Macht berührt worden war.
Meine Eltern sind oft in Kibeho gewesen und haben mir ihre Besuche in allen Einzelheiten geschildert, und ich habe die Jungfrau Maria schon immer sehr geliebt. Neben meiner Faszination für die Erscheinungen war es diese Liebe, die mich gedrängt hat, so viel wie möglich herauszufinden und das Herausgefundene auf den folgenden Seiten mit Ihnen zu teilen. Ich bin mit den Bischöfen, Priestern und Ärzten zusammengetroffen, die die Erscheinungen untersucht haben; ich habe mehrere der Seher persönlich kennengelernt und mich mit ihnen angefreundet; und ich habe mir mehrfach Pater Rwagemas stundenlange Aufnahmen auf Kassetten von den Erscheinungen angehört. Aus diesen Quellen speist sich das vorliegende Buch. Mit anderen Worten, es handelt sich nicht um eine Geschichtsstunde, sondern um meinen persönlichen Bericht über ein echtes Wunder und seine tiefe Wirkung auf mein Land, meine Eltern und meinen Glauben.
Das Heiligtum Unserer Lieben Frau in Kibeho ist für Hunderttausende von Pilgern aus ganz Afrika zu einem Ort der Verehrung und des Gebets geworden. Viele von ihnen haben an dieser Stätte wunderbare Heilungen erlebt, und doch kennt man in den meisten Regionen der Welt nicht einmal den Namen dieses gesegneten Ortes. Es ist meine tiefste Hoffnung, dass dieses kleine Buch helfen kann, dies zu ändern, und dass Kibeho genauso bekannt werden wird wie Fatima oder Lourdes. Die Botschaften, die Jesus und Maria in Kibeho überbracht haben, sind Botschaften der Liebe – wie sie die heutige Welt so dringend braucht.
Kapitel 1
Mein Glaube wurde in Fatima geboren
Dieses Geständnis fällt mir nicht ganz leicht, aber ohne die Erscheinungen Jesu und seiner heiligsten Mutter in Kibeho hätte ich vielleicht nie so richtig an Gott geglaubt.
Wer meine ersten beiden Bücher, Left to Tell1 und Led by Faith2, gelesen hat, ist jetzt vielleicht überrascht, denn darin beschreibe ich meine Kindheit in einer sehr gläubigen katholischen Familie, die Stunden, die ich im Gebet verbrachte, und meine tiefe Verehrung für die Jungfrau Maria. Jeden Sonntag ging ich in die heilige Messe zusammen mit meinen Eltern Leonard und Rose und meinen drei Brüdern Aimable (dem Ältesten), Damascene (der ein paar Jahre älter war als ich) und Vianney (dem Nesthäkchen). Und als ich mich 1994 während des Genozids drei Monate lang versteckt hielt, beschloss ich, den Rest meines Lebens dem Dienst an Gott zu weihen.
Eigentlich sollte man also meinen, dass er in meinem Leben eine ziemlich bedeutende Rolle spielte.
Und wirklich übte, solange ich noch ein Kind war, alles, was mit Gott zu tun hatte, eine bemerkenswerte Anziehungskraft auf mich aus. Doch im Alter von etwa elf Jahren funkte mein wissbegieriger Verstand dazwischen, und die Zweifel, ob Gott überhaupt existierte, nagten am Fundament meines Glaubens. Noch ehe ich in die Pubertät kam, fragte ich mich bereits, ob ich vielleicht auf dem besten Weg war, eine eingefleischte Atheistin zu werden.
Diese jugendliche Glaubenskrise befiel mich nicht etwa, weil ich ein besonders frühreifes Kind gewesen wäre, sondern weil ich so viel Zeit damit zubrachte, über Gott nachzudenken. Meine frühesten Erinnerungen wurzeln in der Frömmigkeit. Meine Brüder rissen gerne Witze darüber und sagten, meine ersten Wörter seien nicht »Mama« oder »Papa«, sondern »Gegrüßet seist du, Maria« gewesen. Was gar nicht so abwegig gewesen wäre, denn ich erinnere mich noch ganz deutlich daran, wie meine