Charleston, Jazz & Billionen. Walter Rauscher

Charleston, Jazz & Billionen - Walter Rauscher


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Ergebnis derart unzufrieden, dass die USA den Friedensvertrag nicht ratifizierten.

       Österreichs erster Staatsvertrag

      War am Jahrestag des Attentats von Sarajevo auf Schloss Versailles der Frieden mit Deutschland geschlossen worden, wurde in weiterer Folge in Saint-Germain und Trianon über die Konkursmasse des zerstückelten Habsburgerreiches beschieden. Für die Sieger galten (Deutsch-)Österreich und Ungarn als Rechtsnachfolger der Doppelmonarchie und damit mitverantwortlich für den Ausbruch und den Verlauf des Krieges. Die Besiegten sahen dies hingegen völlig anders. Deutschösterreich war nach der Auffassung sowohl der Rechtsgelehrten als auch der Politik in Wien ein gänzlich neuer Staat, der sich zu keiner Zeit mit einem anderen im Kriegszustand befunden habe. Dieser Standpunkt war jedoch in Paris nicht durchzusetzen. Für den Präsidenten der Friedenskonferenz war der Krieg im Augenblick seiner Erklärung in Wien – wie in allen anderen Hauptstädten der an ihm teilnehmenden Parteien auch – nicht nur stürmisch begrüßt worden, sondern das österreichische Volk hatte nach Auffassung Clemenceaus bis zur endgültigen Niederlage auch »nichts getan, um sich von der Politik seiner Regierung und seiner Verbündeten zu trennen«. Daher sollte es gezwungen werden, seinen Anteil an der Verantwortung zu übernehmen.

      Dem Kleinstaat an Donau und Alpen wurde darüber hinaus der Herzenswunsch seiner Gründerväter untersagt: der »Anschluss« an die Deutsche Republik. Von den zehn Millionen Deutschsprachigen des kaiserlichen Österreich sollten durch den Vertrag 3,5 Millionen fortan jenseits der neuen, rot-weißroten Grenze leben. Die deutschsprachigen Gebiete der böhmischen Länder und kleinere Teile niederösterreichischen Gebiets wurden der Tschechoslowakei zugeschlagen, Südtirol ging an Italien und die Untersteiermark an das jugoslawische Königreich. Als eine Art Kompensation erhielt Österreich Teile Westungarns. Über die weitere Zukunft Südkärntens sollte eine Volksabstimmung entscheiden. Als ein weiterer kleiner Erfolg gegenüber dem ersten, noch härteren Vertragsentwurf konnten Einschränkungen bei dem an die Tschechoslowakei aus eisenbahntechnischen Gründen abzugebenden Gebiet im nördlichen Niederösterreich verbucht werden. Für viele galt dieser »Rest« des alten habsburgischen Österreich schon aufgrund seiner offenkundigen wirtschaftlichen Schwäche auf sich allein gestellt aber als nicht lebensfähig.

      »Arbeiten, arbeiten und nicht verzweifeln, an die Zukunft glauben«, bemühte sich Staatskanzler Renner in seiner von stürmischem Beifall begleiteten Rede vor der Nationalversammlung trotzdem Aufbruchsstimmung zu vermitteln. Wenn auch der Führer der Christlichsozialen Partei, der oberösterreichische Prälat Johann Nepomuk Hauser, von einem »Todesurteil« für Österreich sprach, stimmte doch die Mehrheit der Volksvertretung unter feierlichem Protest für die Unterzeichnung. Die betont nationalen Großdeutschen votierten dagegen, die Tiroler Abgeordneten, verbittert über die Abtretung ihres Landesteils südlich des Brenners, enthielten sich der Stimme. Karl Renner reiste noch einmal nach Paris und unterfertigte am 10. September 1919 im Pavillon Henri IV. den Friedensvertrag von Saint-Germain. Die Österreicher selbst bezeichneten das Dokument fortan jedoch als Staatsvertrag.

       Trianon

      Ungarn hatte sich bei Kriegsende von Österreich losgesagt und befand sich seither auf einem radikal republikanischen Weg. Nichtsdestotrotz wurde es von der Entente ebenso als Nachfolger der zerfallenen Doppelmonarchie angesehen und für den Weltkrieg mitverantwortlich gemacht. Dementsprechend wurde mit Ungarn auf der Friedenskonferenz verfahren. Als sich abzeichnete, dass die Sieger in Paris planten, das alte Reich des heiligen Stephan zugunsten seiner Nachbarn erheblich zu verkleinern, trat die Regierung zurück. Die Macht wurde »dem Proletariat der Völker Ungarns« übergeben.

      Es folgten die 133 Tage Terrorherrschaft der bolschewistischen Räte unter dem in russischer Kriegsgefangenschaft zum kommunistischen Agitator geschulten Béla Kun. Das Land litt unter den militärischen Operationen der ungarischen Roten Armee gegen die von Frankreich unterstützten Besatzungstruppen der Nachbarstaaten und unter der blutigen Reaktion der gegenrevolutionären Nationalisten; deren Armee wurde vom letzten Oberbefehlshaber der k. u. k. Kriegsmarine, dem ehemaligen Flügeladjutanten Franz Josephs, Miklós Horthy, angeführt. Geschlagen floh Béla Kun mit seinen Genossen nach Österreich. Aus der Volksrepublik und der nachfolgenden Räterepublik wurde wieder das Königreich Ungarn – jedoch vorerst ohne König. Karl von Habsburg weilte im Exil in der Schweiz.

      Es dauerte bis zum 4. Juni 1920, bis in Trianon der Vertrag mit den Siegermächten des Ersten Weltkrieges unterzeichnet wurde. Dieser Friedensschluss galt für die Magyaren als nationale Katastrophe. Er beschränkte Ungarn auf sein altes, ethnisch einheitliches Kernland. Das Königreich musste mehr als zwei Drittel seiner Fläche abtreten und verlor knapp zwei Drittel seiner Einwohner. Ein ganzes Land demonstrierte seinen nationalen Schmerz. Trauerglocken läuteten von allen Kirchtürmen. In der Nationalversammlung beklagte ihr Präsident István Rakovszky die Zerstückelung eines »tausendjährigen Reiches«, sprach wie deutsche und österreichische Politiker zuvor von »Unmöglichkeiten, die nicht erfüllt werden können«, und prophezeite durch ein solches Dokument »ewigen Unfrieden« unter den Völkern.

      Mit den beiden restlichen besiegten Mittelmächten, mit Bulgarien und der Türkei, wurde in den Pariser Vororten Neuilly-sur-Seine und Sèvres Frieden geschlossen. Letzterer, am 10. August 1920 unterzeichnet, galt für die aufgebrachten türkischen Nationalisten als Freibrief zur Zertrümmerung ihres Landes. Sèvres führte aber auch zum Ende der Jahrhunderte währenden osmanischen Herrschaft und zur Umwandlung des Staates von der Monarchie in eine Republik unter dem Nationalhelden Mustafa Kemal Atatürk. Militärischer Widerstand und die internationale Entwicklung zu Beginn der Zwanzigerjahre ermöglichten es der Türkei, den bis dahin nicht ratifizierten Vertrag durch die Ergebnisse der Konferenz von Lausanne vom 24. Juli 1923 in Teilen zu verbessern.

       Zum Scheitern verurteilt?

      Die Nachkriegsordnung wurde unter denkbar schlechten Bedingungen entworfen. Eine Welt in Aufruhr und Elend, zwischen Nationalismus und Kommunismus, machte es zu einer kaum lösbaren Aufgabe, dauerhaften Frieden zu schaffen. Das Pariser Vertragswerk stellte keinesfalls einen bloßen Gewaltfrieden dar, wie dessen Gegner es unaufhörlich behaupteten. Die Sieger unterließen es sehr wohl, die Besiegten ohne jegliche Gnade zu bestrafen. Es handelte sich aber auch um keinen Versöhnungsfrieden, der Europa wohl gutgetan hätte. Nach der Einschätzung Henry Kissingers kam das Vertragswerk einem »zerbrechlichen Kompromiss zwischen amerikanischem Utopismus und europäischer Paranoia« gleich. Der ehemalige US-Außenminister und Friedensnobelpreisträger hielt dessen Bestimmungen für »zu drückend, um zur Aussöhnung zu führen«, und gleichzeitig für »nicht rigoros genug, um eine dauerhafte Unterwerfung zu gewährleisten«.

      Die Besiegten des Krieges sahen ihre Friedensverträge allerdings als Diktat. Sie sprachen von vollkommener Demütigung, hinter der am Schluss sogar die völlige Vernichtung stehen mochte. In Verdrehung der Tatsachen sprach man im Deutschen Reich davon, erst aufgrund von Wilsons 14 Punkten um Waffenstillstand angesucht zu haben. Deutschland sei jedoch getäuscht und in Versailles betrogen worden. In Wirklichkeit hatte das Reich aber nicht wegen des Friedensprogramms des US-Präsidenten den Krieg beendet, vielmehr waren die eigenen Kräfte derart geschwunden, dass es keine Aussicht auf einen Sieg mehr gab. Erst im Zeichen der eigenen Schwäche griff man auf eine Friedenskonzeption zurück, die den Besiegten auf Grundlage des nationalen Selbstbestimmungsrechts schonen sollte. Die politische Rechte – allen voran in Deutschland und Ungarn, viel weniger einflussreich dagegen in Österreich – rief jedenfalls nach Vergeltung und Revision. Die Linke unter der Führung Sowjetrusslands, das gar nicht an der Konferenz teilgenommen hatte, verfolgte wiederum ohnedies ein anderes Ziel, nämlich die von vielen gefürchtete Konzeption einer kommunistischen Weltordnung.

      In den Siegerstaaten, vor allem unter den Großmächten, herrschte nach der Friedenskonferenz keineswegs ungetrübte Zufriedenheit vor. Die maßgeblichen Persönlichkeiten in Frankreich waren sich trotz des Sieges der Schwäche ihres eigenen Landes durchaus bewusst. Deshalb hatten sie ursprünglich aus Angst


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