Das Traummosaik. Paul Walz

Das Traummosaik - Paul Walz


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noch einmal.

      »Da haben sie eine Leiche rausgezogen.«

      Finkler drehte sich um. Ein älterer Mann in einem warmen Lodenmantel sah ihn unter einer Schiebermütze neugierig an. Ein kleiner Mischlingshund zerrte an seiner Leine. Er winselte im Regen und sah sein Herrchen flehentlich an.

      Finkler zeigte dem Mann seinen Dienstausweis. »Wohnen Sie hier?«

      »Ich bin seit meiner Geburt hier im Viertel. Und seit zweiunddreißig Jahren hier im Haus. Wir waren froh über den Komfort damals. Keine Ölöfen mehr wie in der alten Wohnung. Heute ist das alles ein bisschen in die Jahre gekommen, obwohl die mit der Zeit einiges investiert haben.«

      »Wer sind die?«

      »Na, die Verwaltungsgesellschaft. Das Haus gehört so einem Fatzke in der Schweiz.«

      Finkler beließ ihn bei seinem Irrtum. »Haben Sie den Namen der Verwaltungsgesellschaft?« Der Mann nickte und gab Finkler breitwillig den Namen und die Adresse. Währenddessen ruckte er immer wieder an der Leine, damit der Hund zu ziehen aufhörte.

      »Was war mit den Protesten der Hausbesetzer?«

      »Sie wissen davon? Das ging eine Weile so. Erst wurden die Häuser besetzt, um sie zu retten, dann ziemlich rabiat geräumt.«

      »Rabiat?«

      »Das war wie eine Straßenschlacht mit Verletzten und so. Nach dem Abriss, als bereits gebaut wurde, kam es immer wieder zu Aktionen, Maschinen wurden beschädigt und Material unbrauchbar gemacht. Diese ganzen linken Spinner mit ihrem Protest waren mir suspekt. Haben nur Unruhe reingebracht und was von Unrechtsstaat gefaselt. Genauso wie dieser Reporter – Ferdinand Nager, wobei der Name Programm war. Verdammt lange Zähne. Verstehen Sie? Hat die Fakten verdreht, wo er nur konnte. Das war damals nicht anders als heute mit den Medien.«

      Bevor der Alte mit einer Tirade über die Falschmeldungen der Mainstreammedien beginnen konnte, zu der er ganz offensichtlich gerade ausholte, bedankte sich Finkler und ging.

      ***

      Ferdinand Nager war inzwischen achtundsiebzig und hatte in seiner langen Laufbahn als freier Journalist für viele renommierte und weniger geachtete Zeitungen und Zeitschriften geschrieben. Tendenziell war er eher links. In den achtziger Jahren hatte sein Engagement der Hausbesetzerszene in Frankfurt gegolten. Finkler fand mehrere Artikel, in denen er sich kritisch gegen die damals grassierende Spekulationswelle wendete, die einige Stadtviertel vollkommen umgekrempelt hatte. Der Fall der Immobilie, die Finkler interessierte, hatte es nicht zuletzt durch seine Reportagen mehrfach in die Presse geschafft. Nager war so nahe dran gewesen, dass er selbst in eine der Schlägereien geraten und ins Krankenhaus transportiert worden war.

      Schließlich fand Finkler unter Ferdinand Nager tatsächlich einen Eintrag im Netz, doch niemand hob ab, als er die Nummer wählte.

      ***

      Der Club Rose lag in einer Nebenstraße in der Nähe des Finanzzentrums. Eine angesagte Adresse, die in dem Ruf stand, den ausgelaugten Arbeitssoldaten der Banken nach Büroschluss die besten Cocktails der Stadt zu servieren.

      Es ging schon auf elf Uhr zu, als Finkler mit Melanie die Treppe erreichte, die in den Barbereich hinabführte. Als sie sich bei ihm einhängte, lächelte Melanie ihn an. Er hatte sich wie versprochen Sakko und Hemd angezogen, dazu seine rahmengenähten Budapester. Doch mit ihr konnte er nicht mithalten. Ihre blonden Haare schimmerten im Licht der Lampen wie Gold. Sie flossen weich über ihren Rücken und bildeten einen schönen Kontrast zu dem dunklen Hosenanzug, den sie trug. Er roch ihr Parfüm und genoss es, mit einer so attraktiven Frau auszugehen.

      Melanie hatte eine Ausstrahlung, die sie von anderen abhob. Wenn sie einen Raum betrat, wandte sich ihr die Aufmerksamkeit zu. Doch das letzte Jahr war auch für sie nicht einfach gewesen und so hatten sich erste kleine Fältchen um ihre Augen geschlichen.

      Vor seinem Unfall waren er und Melanie häufig in solche Clubs gegangen. Sie hatten viel getanzt, miteinander geflirtet, getrunken und waren schließlich meist für den Rest der Nacht in Melanies Wohnung mit dem grandiosen Blick auf die Skyline gestrandet. Eine andere Zeit, wie ihm heute schien. Fast ein anderes Leben.

      Sie schlenderten zur Bar, die sich an der Wand des Gewölbekellers entlangzog, und setzten sich auf die chromglänzenden Barhocker. Obwohl es mitten in der Woche war, war der Club rappelvoll. Einige Gäste bewegten sich auf der Tanzfläche im Rhythmus der Musik, die laut durch den dämmrigen Raum dröhnte. Die meisten aber standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich laut im wechselnden Licht der LEDs, die hinter den Glasregalen blinkten. Viele der anwesenden Männer schienen noch den Anzug und die Krawatte vom Morgen zu tragen und waren offensichtlich gleich nach der Arbeit hierhergekommen. Es wurde viel gelacht, manchmal zu laut und zu schrill. Finkler war sich sicher, wenn er mit einem Drogenhund zwischen den Gästen hindurchliefe, würde das arme Tier nicht wissen, wo es zuerst bellen sollte.

      Melanie las gut gelaunt die Cocktailkarte, während Finkler dem Barmann winkte. Der Mann hatte sich die Haare zurückgekämmt und das Hemd unter der Weste weit aufgeknöpft. Der Prototyp eines geschmeidigen Südeuropäers, der, wenn er nicht mit Ausschenken beschäftigt war, mit vollem Einsatz die Bar oder Gläser auf Hochglanz polierte. Finkler sah zu, wie er die Zutaten abmaß und in den Shaker schüttete, während seine dunklen Augen den Raum abtasteten wie eine Überwachungskamera. Dem Mann entging nichts.

      Er orderte einen Tequila Sunrise und Melanies geliebten New England Highball.

      Während sie auf die Cocktails warteten, beobachtete er die Umstehenden in der Hoffnung, der Zufall möge ihm behilflich sein, doch niemand reagierte auf ihn. Als ihre Getränke kamen, stießen sie an und Melanie drückte ihm einen Kuss auf die Wange, dann einen weiteren, diesmal auf die Lippen.

      »Tanzen?« Ihre Augen hatten einen besonderen Glanz, als er ihr auf die Tanzfläche folgte. The beauty and the beast, schoss es ihm durch den Kopf.

      Nachdem sie ein paar Runden auf der Tanzfläche gedreht und sich in der Musik hatten treiben lassen, wurden ihm die Umstehenden egal. Er drückte Melanie eng an sich. Es war schön, ihre Arme um seinen Hals und ihren Körper an seinem zu fühlen, und Finkler spürte, wie sich endlich der Knoten in seinem Inneren löste und Frust und Sorgen wie trockener Lehm von ihm abplatzten. Erst als die Musik wechselte und sie Melanie nicht mehr gefiel, kehrten sie an die Bar zurück und bestellten eine neue Runde.

      Der Barmann kam mit den Gläsern, schenkte Melanie ein Lächeln, das hart an der Grenze zur Anzüglichkeit war, und blinzelte Finkler verschwörerisch zu, doch mit einem Mal stutzte er und ging mit fragendem Blick davon.

      Melanie sog an ihrem Strohhalm. Auch sie hatte das Zögern bemerkt.

      »Kennt der dich?«

      Er feixte. »Du weißt doch, mein Gedächtnis ist nicht voll auf der Höhe. Ich frag ihn mal.«

      Er ging die wenigen Meter zur Bar, wo der Barkeeper mit den Zapfhähnen beschäftigt war.

      Der Mann sah kurz auf. »Schön, Sie wiederzusehen. Was ist mit Ihrem Gesicht passiert?«, rief er gerade so laut, dass Finkler es trotz der Musik verstehen konnte.

      »Ich hatte einen Unfall. Hat mich längere Zeit außer Gefecht gesetzt.«

      »Deshalb waren Sie also so lange nicht hier.«

      Finkler nickte, obwohl er keine Erinnerungen an den Mann hatte. »Ich war im letzten Jahr öfter mit einem Bekannten hier – haben Sie den in letzter Zeit mal gesehen?«

      »Nein, leider keine Idee, wen Sie meinen könnten.«

      Finkler setzte gerade zu einer neuen Frage an, als er sah, wie sich ein Kerl neben Melanie an den Tresen stellte.

      »Was will der denn?«, sagte er mehr zu sich selbst, doch der Barkeeper hatte ihn gehört.

      »Nehmen Sie es ihm nicht krumm. Bei Dr. Altmann wird es ab und an mal der eine oder andere Drink zu viel. Sie verstehen?«

      Finkler nickte und ging hinüber, während der Säufer unverhohlen an der Perlenkette vorbei in Melanies Ausschnitt starrte.


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