Das Traummosaik. Paul Walz

Das Traummosaik - Paul Walz


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dass er vorher noch nie bemerkt hatte, wie schäbig der fensterlose Raum mit seinem abgenutzten Mobiliar war. Er spielte mit dem Gedanken, alles hinzuwerfen. Doch wenn er nun ginge, würde er die Verdächtigungen, die Prock gerade in den Raum gestellt hatte, nur noch befeuern. Nein, er musste bleiben und das widerlegen.

      Ein jäher Impuls durchfuhr ihn und er drosch so heftig auf die Tischplatte, dass es in dem kahlen Raum dumpf dröhnte.

      ***

      Als Finkler in sein Büro zurückkam, holte er die Akten aus dem Schrank und fotografierte jede einzelne Seite mit dem Handy. Die Unterlagen, die bereits digitalisiert waren, zog er auf einen Stick. Wenn Prock ihn abziehen wollte, bitte. Dann machte er eben alleine weiter und würde ihm zeigen, wer hier manipulierte und wer nicht. Den Rosetti-Fall zu lösen war der einzige Weg. Er hielt inne und lachte. »Du spinnst.«

      Er besaß nicht die Möglichkeiten und die Kraft, einen Fall zu lösen, an dem sich die anderen trotz aller Unterstützung die Zähne ausbissen.

      Sein Mut sank, doch welche Wahl hatte er? Er musste es alleine versuchen.

      Gerade als er mit den Unterlagen durch war, kamen Bender und Schulz herein.

      Finkler griff wortlos die Akten und legte sie vor Bender auf den Tisch. »Hier hast du den Kram. Vollständig!« Er betonte das letzte Wort. Dann wandte er sich um und räumte seinen Schreibtisch.

      Bender seufzte. »Es ist vielleicht etwas unpassend, doch ich wollte dich fragen, ob ich mich an dich wenden kann, wenn im Rosetti-Fall Unklarheiten aufkommen? Ich würde mich freuen, wenn ich deine Einschätzung bekommen könnte.«

      Am liebsten hätte er Nein gesagt, doch er würde Bender brauchen, um weiterzukommen. »Kein Problem, ruf mich einfach an, wenn du mich brauchst.«

      Bender wartete noch einen Augenblick, doch als Finkler wieder schwieg, verließ er wortlos das Büro.

      »Er meint es gut mit dir.«

      »Lass gut sein, Lukas.«

      Als Finkler die Schreibtischunterlage anhob, segelte ein Notizzettel gemächlich wie ein altersschwacher Falter aus einem der seitlichen Einschubfächer und landete auf Schulz’ Seite. Dieser griff den Zettel, sah kurz drauf und reichte ihn über den Tisch. Finkler riss ihm das gelbe Papier unwillig aus den Fingern.

      »Briefgeheimnis gilt nur für verschlossene Post.« Schulz grinste schief wie ein beim Rauchen ertappter Schüler.

      11.05.

      23:00 Uhr – Club Rose

      FN wird dort sein

      Finkler betrachtete den Zettel. Er stammte von ihm selbst. Wie es seine Gewohnheit war, hatte er oben am Rand das Datum vermerkt. Er musste nicht nachrechnen: zwei Wochen vor dem Lkw.

      »Club Rose, der ist meines Wissens gleich bei den Banken«, mischte sich Schulz weiter ein.

      Finkler antwortete nicht, knüllte den Zettel zusammen und steckte ihn achtlos in die Tasche. Es war Zeit zu gehen.

      Als er in der Tür stand, sah er sich nochmals im Zimmer um. Es fühlte sich wie ein Abschied für immer an. Er seufzte und wandte sich ein letztes Mal an seinen Kollegen.

      »Tu mir nur einen Gefallen. Wenn weitere Details zu der Toten vom Parkdeck hereinkommen, schick mir die Datei.«

      Es entstand eine Pause, während der Schulz nachdachte. »Warum?«

      »Seit gestern hat das etwas Persönliches.«

      Schulz nickte. »In Ordnung. Bleibt aber unter uns.«

      Finkler nickte und zog die Tür endgültig zu.

      ***

      Finkler marschierte über leere Felder, die sich unterhalb des Taunus erstreckten. Der Winter rückte näher und anders als früher graute es ihm vor der Dunkelheit und Kälte. Heute allerdings schien die Sonne ab und an zwischen den Wolken hervor. Keine Menschenseele war unterwegs und nur in der Ferne durchfurchte ein Traktor die Erde, während ihn Saatkrähen umflatterten.

      Er mochte die Leere hier und brauchte Abstand zur Stadt und ihrer Hektik, um seine Gedanken zu sortieren und den Frust zu vertreiben. Und tatsächlich: Nach einer Weile half ihm die gleichmäßige Bewegung an der frischen Luft, klarer zu denken.

      Wenn er es nüchtern betrachtete, war es logisch, dass Prock ihn vom Rosetti-Fall abzog. Er hätte wahrscheinlich nicht anders gehandelt. Sein körperlicher Zustand war schlecht, sein Gedächtnis nicht intakt und die Akten nicht vollständig.

      Auch dass Prock ihn so überstürzt vom Dienst freigestellt hatte und gleich mit einer Untersuchung drohte, konnte er verstehen, schließlich musste er die Arbeit in seiner Abteilung vor einem möglichen Manipulanten schützen. Aber konnte es wirklich sein, dass Prock ihn ernsthaft verdächtigte? Nach all den Jahren ihrer Zusammenarbeit?

      Er trat gegen einen Stein und fluchte. Verdammt! Wenn er sich doch bloß erinnern könnte.

      Wo waren die Unterlagen geblieben? Bei Güdner?

      Und was, wenn die Akten tatsächlich manipuliert worden waren? Zugang zu ihnen hatte praktisch jeder, der über einen Personalschlüssel verfügte. Das hieß, alle Kollegen der Abteilung III und noch einige andere, angefangen bei der Putzkolonne. Er betrachtete die Skyline Frankfurts. Oder hatte Güdner vor seinem Tod irgendetwas an den Akten gedreht?

      Und was war mit ihm selbst? Was, wenn Procks Verdacht ins Schwarze traf? Konnte er sich da sicher sein? Machte er sich gerade auf, um sich selbst zu überführen? Er wusste es nicht und das war zum Verzweifeln.

      Wichtig war es, vorerst in Deckung zu gehen, um weiter im Rennen zu bleiben. Er würde unter dem Radar mit Daniel zusammenarbeiten, nur so käme er an die relevanten Informationen und nur so könnte er herausfinden, was wirklich passiert war, was hinter dem Ganzen steckte, denn alles lief in diesem einen Fall zusammen.

      Doch dann war da immer noch die Tote. Sein Gehirn hatte sie gemeinsam mit dem Rosetti-Fall in einem Traum zusammengeworfen, doch gab es diese Verbindung wirklich? Unwahrscheinlich. Sie lag seit dreißig Jahren oder länger dort unter dem Parkdeck. Der Gedanke war lächerlich. Ihr Medaillon hatte ihn in den Traum getriggert. Was noch? Er konnte sie nicht kennen, damals war er zwei Jahre alt gewesen. Die Verbindung musste sein Gehirn auf einer anderen Ebene hergestellt haben, die er nicht erfasste. Er brach den Gedankengang ab. Sarah sollte das interpretieren.

      Inzwischen hatte er sein Auto erreicht und stieg ein, fuhr aber noch nicht los. Und wenn er auch zu dem Schluss kommen sollte, dass er selbst mit drinsteckte – dann wüsste er es wenigstens. Außerdem war wegducken nicht seine Art, daran konnte er sich erinnern.

      7

      Sonja Güdner saß Finkler unbeweglich gegenüber. Ganz in die Ecke des Sofas gekauert, schaute sie abwesend in den Garten hinaus, während ihr Kaffee in der Tasse kalt wurde. Sie hielt die Lippen zusammengepresst, was ihnen einen bitteren Ausdruck verlieh. Ihre Haare hingen strähnig herab. Eigentlich kannten sie sich kaum, dachte Finkler. Wenn er ehrlich war, hatten Güdner und sein Privatleben ihn nie wirklich interessiert. Einmal war er zu Achims fünfunddreißigstem Geburtstag gekommen. Damals war sie eine fröhliche junge Frau gewesen, die strahlend mit ihrem Mann tanzte und ihm nach ein paar Gläsern Wein ein Geburtstagsständchen sang, das alle zum Lachen brachte.

      Ein zweites Mal war er nach seiner Reha bei Sonja gewesen, da er sich verantwortlich gefühlt hatte, ohne zu wissen, warum und wofür. Damals war ein befreundetes Paar zu Besuch und hatte all das, was zwischen ihm und Sonja stand, in einem andauernden Redeschwall erstickt. Doch jetzt war niemand da, der das Schweigen füllte.

      Finklers Augen folgten Sonjas Blick durch die Glasfront in den Garten. Draußen spielten dick vermummt ihre beiden Kinder. Elias ging in die erste Klasse, sein Bruder war jünger, wie alt er war, wusste er nicht mehr. Die Brüder stritten sich darum, wer die Schubkarre über den Rasen schieben durfte, auf dem verfaulendes Laub darauf wartete, zusammengerecht zu werden.

      Sonja hatte sich bemüht, freundlich zu sein, als er vor der Tür stand, doch ihr


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