Das Traummosaik. Paul Walz

Das Traummosaik - Paul Walz


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und Warum, die ihn in den Wahnsinn zu treiben schienen. Bis er irgendwann schwieg.

      »Es ist kompliziert. Lass uns auf die Suche gehen, und zwar genau so, wie wir es besprochen haben: rational und streng analytisch. Alles hat eine Ursache, für alles finden wir eine Erklärung. Du bist jetzt verwirrt, doch merke dir: Was nicht in dir drin ist, kann auch nicht heraus. Die Lösung liegt in dir.«

      Doch wo kamen die Menschen her, die er unentwegt sah? Die Frauen, der Mann, die Verbrecher. Was war das für ein Garten? Wie hatten diese Dinge den Weg in ihn hinein gefunden? Wo waren die Zusammenhänge zwischen dem Lkw-Attentat, denn als solches betrachtete er es nun, und dem Geschundenen, zwischen diesen Verbrechern und der Mutter mit ihrem Kind, dem weglaufenden Mädchen, der Toten vom Parkdeck?

      »Aber ich kenne diese Menschen nicht.«

      »Ich habe es bereits gesagt. Dein Gehirn vermischt die Dinge. Nimm eine Schlaftablette, die fängt auch die Bilder ab. Morgen bin ich wieder in der Praxis, dann machen wir einen Termin. Wenn es trotzdem nicht besser wird, musst du in die Ambulanz gehen. Bleib dann nicht alleine.«

      Sie legten auf und Finkler bemühte sich, die Szenen zu deuten, vernünftig zu analysieren, doch jeder klare Gedanke wurde von einer Erinnerung an den Traum zerrieben.

      Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und warf sich doch eine Schlaftablette ein.

      Kurz darauf dämmerte er weg. Ein letzter Gedanke kristallisierte sich aus dem Chaos: Die tote Frau, das Attentat, das nur von den Rosettis beauftragt worden sein konnte, alles hing zusammen, schien ineinander verwoben zu sein. Er würde es herausfinden, würde den Knoten entwirren müssen, wollte er eine Chance wahren, wieder so zu werden, wie er mal gewesen war.

      Er grinste, schon halb im Schlaf: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

      5

      Mittwoch, 16. November

      Er erwachte ohne die bohrende Angst, verrückt zu werden, und sah in einen sonnigen Herbsttag, der fast schon auf Winter machte. Silbrig schimmernd überzog eine dünne Schicht Raureif die umliegenden Gärten und es fror ihn beim Hinaussehen.

      Obwohl er wie erschlagen war, schleppte er sich in die Küche und brühte sich einen Kaffee. Es duftete verführerisch und weckte seinen Hunger, schließlich hatte er seit dem gestrigen Mittag nichts mehr gegessen. Während er frühstückte, bewertete er seine Optionen. Sich krank melden und zu Hause bleiben ging nicht. Prock würde praktisch augenblicklich in Gang kommen und versuchen, ihn loszuwerden. Zudem musste er zusehen, was mit der Toten war und wie es mit dem Rosetti-Fall weiterging, wollte er sein Vorhaben in die Tat umsetzen.

      Das Beste würde sein, sich nicht zu verstecken und im Präsidium Präsenz zu zeigen.

      ***

      Als Finkler sein Büro betrat, erkannte er an Schulz’ erstauntem Blick, dass die Nachricht von seinem Zusammenbruch offenbar schon wie ein Buschfeuer durch die Büros gelaufen war.

      »Kannst du überhaupt arbeiten?«

      Finkler rang sich ein Lächeln ab. »Geht schon. Die Ärzte glauben, es war die Migräne«, log er drauflos, »sind sich aber wie immer bei meiner Matschbirne nicht sicher. Es herrscht große Verunsicherung.«

      »Nicht nur bei ihnen.«

      Er wusste bereits, was kam. »Lass mich raten: Prock war schon oben.«

      »Ja.«

      »War zu erwarten. Weißt du was? Ich scheiß drauf. Er macht ohnehin, was er will.«

      Schulz zuckte bedauernd mit den Schultern. »Mal was anderes: Die Tote von gestern ist bei uns gelandet, doch ich sehe nicht wirklich, warum wir hier von organisierter Kriminalität ausgehen sollen. Wie war dein Eindruck?«

      Finkler vermied es, an seinen Wachtraum zu denken. »Sie lag schon einige Jahre in dem Gang. Ich vermute mal, sie wurde kurz vor dem Bau des Parkplatzes dort abgelegt. Sonst hätte man sie sicherlich früher entdeckt. Nun, so wie die Leiche dort versteckt wurde, ist ein organisiertes Verbrechen nicht ausgeschlossen. Wir sollten schon ermitteln. Wann wurde das Parkdeck gebaut?«

      »Mitte der achtziger Jahre, genauer gesagt im Frühjahr 1986.«

      Finkler spürte, wie gut es ihm tat, aktiv zu werden. Es lenkte ihn ab. Der Polizist in ihm funktionierte also noch. »Hast du einen Grundbuchauszug und die Bauakte angefordert?«

      »Nein.« Schulz wirkte routiniert und konzentriert. Er machte sich Notizen. »Veranlasse ich sofort, auch wenn ich nicht glaube, dass uns das weiterbringen wird. Ich denke, schon ihre Identifikation wird schwierig, wenn sie tatsächlich schon so lange dort liegt.«

      Finkler nickte. »Die Vermisstenfälle von damals wurden mittlerweile allesamt vernichtet. Wann ist die Obduktion?«

      »Gestern schon passiert.«

      »Gestern?«

      Schulz hob die Hände. »Ich war auch überrascht. Vielleicht ist es denen langweilig. Ich habe keine Ahnung. Moment, ich schick dir die Dateien.«

      Kurz darauf piepste Finklers Computer. Unvermittelt sah er in das Gesicht der Toten. Er hielt den Atem an, konzentrierte sich wieder.

      Sie war ermordet worden. Dem eingedrückten Zungenbein nach hatte der Täter sie erwürgt. Bis auf eine Wunde am Kopf war sie unverletzt. Die Rechtsmediziner schätzten das Alter zum Todeszeitpunkt auf zwischen dreißig und vierzig. Wann der Tod eingetreten war, wusste man noch nicht zu sagen. Die Kleidung schien von den Marken her aus den achtziger Jahren zu stammen. Der Pathologe hatte 1985 an den Rand gekritzelt und dazu den Kommentar: Tour-Shirt meiner damaligen Lieblingsband. Finkler grinste.

      Als er sich gerade der Tatortanalyse zuwenden wollte, flog die Tür ohne vorheriges Klopfen auf und Prock trat ins Büro.

      »Da bist du ja doch! Ich hatte heute nicht mit dir gerechnet.«

      »Wir sind an der Toten von gestern dran.«

      Prock winkte gelangweilt ab. »Das ist doch sinnlos bei einer solchen Mumie. Wir lassen die Standardroutinen durchlaufen und dann kommt der Deckel drauf. Die von der Mordkommission sollen damit machen, was sie wollen.« Ohne Umschweife wechselte er das Thema. »Viel wichtiger ist: Was war das gestern bei dir?«

      Finkler winkte ab. »Ein Schwächeanfall, wahrscheinlich ausgelöst durch die Migräne, die ich seit dem Unfall habe.«

      »Wie du dir vorstellen kannst, musste ich reagieren. Es gibt für solche Ereignisse, besonders bei deiner Vorgeschichte, klare Anweisungen.«

      »Du schiebst mich ab«, unterbrach ihn Finkler, um Prock die Pointe vorwegzunehmen.

      »Würde ich gerne, das weißt du«, seufzte Prock, »aber so einfach geht das bei uns Beamten ja leider nicht. Du musst zu einer neuen Diensttauglichkeitsuntersuchung. Dein Termin ist am 18. Dezember, vorher war nichts zu machen.«

      Finkler nickte überrascht. Man gewährte ihm eine Galgenfrist. »Okay, ich werde es mir notieren.«

      Procks Augen schauten spöttisch und ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen. »Bis dahin nur noch Innendienst. Akten fressen. Und vergiss nicht: Heute Nachmittag ist die Besprechung zum Rosetti-Fall. Bring Bender auf Stand. Er trifft ab jetzt die Entscheidungen.«

      Wenig später stand Daniel Bender im Büro. Er setzte sich, einen Becher Kaffee in der Hand, und sah aus wie immer. Jedes Haar lag an seinem Platz, seine Jeans wirkte wie frisch aus der Reinigung und die Schuhe glänzten poliert. Finklers Pflegemutter hätte gesagt: wie aus dem Ei gepellt.

      »Das Zeug da ertrage ich immer noch nicht.« Finkler deutete auf den Kaffeebecher und schob den Obduktionsbericht der mumifizierten Leiche unauffällig beiseite.

      »Man gewöhnt sich dran.«

      Bender trank einen großen Schluck und machte den Anschein, es zu genießen.

      Wenn Finkler einen Gegenstand auf eine einsame Insel mitnehmen dürfte, würde die Wahl auf seine Kaffeemaschine fallen. Seine Wohnung bestand aus einem Sammelsurium


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