Das Traummosaik. Paul Walz

Das Traummosaik - Paul Walz


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Männer reden, kann aber nicht verstehen, was gesprochen wird, nur die Wut, die Aggression ist spürbar.

      Er geht auf fleckigem Linoleum ins erste Zimmer. Eine Glühbirne hängt nackt von der Decke und flackert heftig, der Gestank von Mottenpulver dringt unangenehm in seine Nase. Regale sind vollgestopft mit Stofftieren und Karnevalskostümen: Cowboy und Indianer, Polizist und Superman.

      Er folgt der Regalreihe bis zu einem Durchgang. Ein Mann kauert gefesselt auf einem Sessel, der aussieht wie ein Frisierstuhl. Seine Hände öffnen und schließen sich in unwillkürlicher Hektik, kämpfen gegen die ledernen Schlaufen, die seine Handgelenke an die abgenutzten Armlehnen zwingen. Die Knöchel treten hervor. Ströme von Schweiß rinnen ihm vom Gesicht, das von Schlägen gerötet und verquollen ist. Aus einem Riss oberhalb der Augenbraue sickert Blut über seine gequälten Züge. Ein bulliger Kerl steht vor dem Gefesselten und brüllt, dass er endlich reden soll. Er will dem Mann helfen, doch instinktiv weiß er, dass er nichts bewirken kann.

      Als der Gefesselte wiederholt den Kopf schüttelt, erhält er einen so harten Schlag ins Gesicht, dass sein Kopf nach hinten katapultiert wird und gegen die Lehne kracht.

      Er steht unentdeckt im Durchgang und muss zuschauen, wie der Mann gequält wird und schließlich das Bewusstsein verliert, als ihn ein besonders wuchtiger Hieb an der Schläfe erwischt. Ein weiterer Mann springt hinzu und ohrfeigt den Schläger, der dies mit gesenktem Kopf hinnimmt.

      Nach einer heftigen Diskussion in einer Sprache, die er nicht versteht, binden die beiden Männer das armselige Bündel los. Es knackt vernehmlich, als ein schwerer Stiefel auf eine Brille tritt, die in viele kleine Splitter zerspringt. Dann ist da nur noch das schabende Geräusch von Schuhsohlen, die willenlos über einen unebenen Boden schleifen. Er folgt dem Trio. Es geht zwischen weiteren Regalreihen hindurch, die ungeordnet mit Büchern und Wäsche, Geräten und Werkzeugen gefüllt sind. Sie bringen ihr Opfer in einen dunklen Raum, wo sie ihn achtlos wie einen Sack fallen lassen und hinausgehen.

      Er bleibt im Zwielicht mit dem Gefolterten zurück. Bis auf ein Wimmern ist nichts zu hören. Doch es ist nicht der Mann, der weint. Die Geräusche kommen aus einem anderen Winkel des Raums, dessen Ausmaße er nicht abschätzen kann.

      Als sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben, wird die Silhouette einer Frau sichtbar. Durch einen schmalen Spalt zwischen den Vorhängen fällt ein wenig Licht in den Raum und er erkennt jetzt, dass sie auf ein rissiges Foto starrt, das aus besseren Tagen zu stammen scheint. Eine Frau ist darauf zu sehen und er weiß sofort, dass es die Weinende ist. Sie hat ein Kind auf dem Arm und lächelt in die Kamera, während das Kleine an einer Kette zieht, die um ihren Hals hängt. Ein Amulett reflektiert die Sonne. Es glänzt, doch oben, gleich neben der Öse, ist ein hässlicher Schaden.

      Er will mit ihr sprechen, aber es reißt ihn aus dem Raum heraus. Er ist wieder auf dem Flur mit den grünen Wänden. Doch diesmal ist er nicht alleine. In weiter Ferne steht jemand und starrt ihn an. Es ist ein junges Mädchen, das sich auf einmal abwendet und in wilder Angst davonläuft, weg von ihm. Schritte trommeln dumpf. Wie aus dem Nichts brennt in ihm der Wunsch, sie einzuholen und mit ihr zu sprechen. Während er rennt, ruft er ihr hinterher, dass sie stehen bleiben soll. Doch sosehr er sich auch anstrengt, er kommt ihr nicht näher.

      Sein Herz droht zu zerspringen, aber er weiß, dass er nicht aufgeben darf. Er muss die Frau retten. Schließlich rast hinter einer Biegung ein Lkw auf ihn zu und überfährt ihn. Alles wird schwarz.

      4

      »Können Sie mich hören?« Der Arzt leuchtete Finkler in die Augen, der vor dem grellen Licht wegzuckte. »Die Medikamente scheinen zu wirken.«

      »Was ist passiert?« Finklers Stimme knarzte.

      »Sie sind auf einer Baustelle zusammengebrochen und wurden in die Notaufnahme gebracht. Erinnern Sie sich daran?«

      »Ich habe einen Tatort untersucht.«

      Der Mediziner machte ein unschlüssiges Gesicht und schaute auf die Werte im Monitor. »Im Augenblick scheinen sich Ihre Werte zu normalisieren. Was ist mit Ihrem Kopf?«

      »Unfall.«

      »Kraniotomie?«

      »Ja, sie haben den Schädel geöffnet, um Druck abzulassen.«

      »Dann sollten wir dringend die Neurologen hinzuziehen.«

      Finkler grinste müde. »Das können Sie sich sparen. So oft wie die sich meinen Schädel von innen und außen angesehen haben, wird das zu keinen neuen Erkenntnissen führen.«

      Der Arzt schnallte Finkler eine Manschette um den Arm und maß den Blutdruck. Auch diese Werte waren in Ordnung.

      »Im Augenblick gibt es keinen Grund, Sie notfallmedizinisch hierzubehalten. Aber ich würde Sie gern auf der neurologischen Station einweisen, um der Sache auf den Grund zu gehen.«

      »Nein.«

      Der Arzt sah ihn groß an.

      »Ich bleibe nicht.«

      »Aber …«

      »Ich werde nicht bleiben. Mein Bedarf an Krankenhäusern ist gleich null.«

      Der Arzt zögerte, dann gab er sich geschlagen.

      »Es ist Ihre Entscheidung. Aber ich notiere, dass Sie gegen meine Empfehlung und auf eigenen Wunsch gehen. Sollen wir jemanden benachrichtigen? Sie sollten definitiv nicht alleine nach Hause fahren.«

      »Meine Freundin kann mich abholen.«

      In einer Kabine lagen seine verschmutzten Kleider, die er mühsam überstreifte. Jede Bewegung strengte an. Als endlich die Schuhe geschnürt waren, ließ er den Kopf gegen die Wand sinken. Sein Schädel dröhnte und es gelang ihm nicht, die Bilder seines Traums zu vertreiben. Jedes Detail stand ihm so deutlich vor Augen wie eine Filmsequenz, die in Endlosschleife ablief. Selbst den muffigen Geruch des verstaubten Zeugs auf den Regalen und die Kälte auf seiner Haut glaubte er noch zu spüren.

      Einen kurzen Augenblick war er versucht, doch zu bleiben, aber alles in ihm sträubte sich.

      Er schlüpfte in seine Jacke und fand in den Taschen Schlüssel, Portemonnaie und das Smartphone. Er sah Nachrichten auf dem Display. Bender und Schulz hatten versucht, ihn zu erreichen, und auf WhatsApp besorgte Ansprachen hinterlassen, doch er antwortete nicht, denn mit einem leisen Ton fiel als Letztes ein winziges Plastiktütchen auf den Boden. Verwundert bückte er sich und hob es auf, um den Inhalt zu betrachten.

      Das Medaillon der Toten war das aus seinem Traum und blinkte golden in dem Tütchen.

      Er starrte es an und für einen kurzen Moment befand er sich wieder in der Dunkelheit und hörte das wimmernde Weinen, das den Raum erfüllte.

      Er bohrte seine Nägel in die Handballen und riss sich von den Bildern los. Dann floh er stolpernd aus dem Krankenhaus, ohne auf Melanie zu warten.

      ***

      Finkler stand in seiner dunklen Wohnung und beobachtete, wie in den Wohnungen gegenüber die Fernseher flimmerten, das Abendbrot zubereitet wurde und ein Pärchen die Vorhänge zuzog. Er musste hinaussehen, den Kontakt zur Realität halten, denn hinter ihm in der Wohnung lauerten nur die Bilder seiner Träume oder Intrusionen, wie Sarah es genannt hatte.

      Wie einfach konnte das Leben sein. Wie schön war die profane Normalität. Er lächelte bitter, wusste er doch, er konnte nicht ewig hier stehen. Abrupt drehte er sich dem Wohnzimmer zu.

      Augenblicklich waren die Bilder zurück: die weinende Frau, der Gequälte, der Garten, das weglaufende Mädchen und schließlich die Verbrecher. Der bullige Schläger und der andere. Den kannte Finkler schon, hatte ihn in seinen Träumen gesehen, ganz kurz nur, doch überdeutlich hinter dem Steuer des Lkw. Kalte Augen.

      Er presste die Hände gegen die Schläfen und versuchte schließlich wieder, Melanie zu erreichen, doch da war nur die Mailbox mit ihrer Stimme und dem flotten Spruch. Auch auf seine Nachrichten reagierte sie nicht.

      Sarah Herbst war sofort am Apparat. »Was ist los, Sebastian?«


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