Das muss gesagt werden. Elfriede Hammerl

Das muss gesagt werden - Elfriede Hammerl


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Wirkung sich sogar bis in die Hundeerziehung durchgesprochen hat, ist in der schulischen Menschenerziehung hierzulande wenig verbreitet. Sparsames Lob, reichlich Tadel. Schwachstellen entdecken. Nicht, um zu helfen, sondern um Blödheit zu diagnostizieren.

      Weil: Wo kommen wir denn hin, wenn alle! Es kann doch nicht jeder! Wer ungebildete Eltern hat, die mangels Kenntnissen nicht in der Lage sind, bei den Hausaufgaben zu helfen, gehört halt nicht ins Gymnasium. Wer gebildete Eltern hat, die mangels didaktischer Ausbildung nicht in der Lage sind, den Schulstoff zu erklären, gehört halt nicht ins Gymnasium. Kinder berufstätiger Mütter gehören nicht ins Gymnasium. Wer kein Genie ist, das nie Hilfe oder Unterstützung braucht, gehört nicht ins Gymnasium. Wessen Eltern keine Nachhilfestunden zahlen können, der oder die soll halt nicht in eine höhere Schule gehen.

      Denn: Die Eltern sollen ihre Aufgaben gefälligst nicht an die Schule delegieren. Die Aufgabe der Eltern ist es, gebildet und wohlhabend zu sein, über didaktische Kenntnisse zu verfügen und ein unbegrenztes Zeitbudget zur Verfügung zu haben. Sind sie nicht willens und fähig, dieser ihrer Aufgabe nachzukommen, sollen sie sich nicht wundern, wenn aus ihren Kindern nix wird.

      Exzellenzen sind gefragt! Eliten! High Potentials! Die bezieht man am besten aus Elternhäusern, die traditionell mit der Herstellung von Führungspersönlichkeiten betraut sind. Nur keine Experimente!

      Im Ernst: Da wird angeblich über mehr Chancengleichheit nachgedacht, und alles, was herauskommt, ist eine großspurig mittlere Reife genannte (Knock-out-)Prüfung auf dem Weg zur Matura. Fühlt sich dabei irgendwer gepflanzt? Nein? Warum nicht?

      Oh ja, Leistung muss sein. Aber die ständige Drohung, Kindern schon noch zu zeigen, dass sie ja doch nicht in eine höhere Schule gehören, ist weniger Leistungsansporn als vielmehr eine Methode der Demoralisierung. Übrig bleiben nicht unbedingt die Klügsten, sondern vor allem Robuste, die wenig Selbstzweifel kennen.

      Die Einstellung, dass beim Gros der Kinder wahrscheinlich eh Hopfen und Malz verloren ist, findet sich nicht nur in explizit konservativen Kreisen. Auch Aufsteiger, die offiziell Lippenbekenntnisse zu einem egalitären Bildungszugang ablegen, sind als Eltern in privaten Gesprächen besorgt, dass es ihren Kindern schadet, wenn die Schule dem Nachwuchs aus bildungsfernen Schichten zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Und LehrerInnen aller politischen Lager werden nicht müde, auf Begabungsdifferenzen hinzuweisen, die nun einmal nicht aus der Welt zu schaffen wären.

      Tatsächlich ist unbestreitbar, dass Kinder unterschiedlich talentiert und von unterschiedlich schneller Auffassung sind. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen man daraus zieht. Ein gutes Bildungssystem gibt sich nicht damit zufrieden, die Unterschiede zu konstatieren und mangelnde Begabungen abzustrafen, sondern es bemüht sich, auch nicht offensichtliche Stärken von Kindern zu entdecken und zu fördern. Nicht alle können alles (werden), aber in vielen steckt mehr drin, als man fürs Erste vermutet.

      Vor allem schießt sich ein gutes Bildungssystem nicht auf die Eltern ein. Getroffen werden dabei nämlich die Kinder. Mag sein, dass viele SchülerInnen mit Eltern geschlagen sind, die ihnen weder sozial verträgliche Umgangsformen noch Lerneifer in ausreichendem Maß mitzugeben imstande oder willens sind. Das ist ein Jammer, aber man kommt ihm nicht bei, indem man weitere Generationen inkompetenter Erwachsener heranzieht. Soll heißen: Die Schule wird sich der Aufgabe stellen müssen, erzieherische Defizite des Elternhauses zu kompensieren.

      Dazu muss sie entsprechend ausgerüstet werden, personell und finanziell, keine Frage. Dass es mit der Ausrufung der gemeinsamen Schule bis 14 nicht getan wäre, bestreitet ohnehin niemand, der dieses Konzept befürwortet. Aber zunächst einmal braucht es die grundlegende Bereitschaft, (höhere) Bildung nicht als ein Privileg zu sehen, das vor dem Zugriff der Massen geschützt werden muss.

      Mai

      23

      2011

      Vergeltung

      Bei Gewalt gegen Frauen lässt das Unrechtsbewusstsein oft aus.

      Im Iran hätte kürzlich ein Gerichtsurteil vollzogen werden sollen, das international verstörte. Einer Frau war zugestanden worden, einem Mann Säure in die Augen zu träufeln, er wäre daraufhin erblindet. Der Vollzug des Urteils wurde mittlerweile ausgesetzt, das Entsetzen blieb. Dem Urteil war allerdings eine noch entsetzlichere Tat vorausgegangen. Der Mann, der mit dem Verlust seines Augenlichts bestraft werden sollte, schüttete vor etwas mehr als sechs Jahren der damals 24-jährigen Armeneh Bahrami Schwefelsäure ins Gesicht, weil sie seine Heiratsanträge abgelehnt hatte. Das Opfer ist seither blind und entstellt, auch Speiseröhre und innere Organe der Frau wurden verätzt. 17 Operationen musste sie über sich ergehen lassen. Ärzten in Barcelona gelang es vorübergehend, die Sehkraft eines Auges teilweise wiederherzustellen, eine Infektion (die Bahrami sich zuzog, weil sie aus Geldmangel in einem Obdachlosenasyl wohnte) machte den Heilerfolg allerdings zunichte. Armeneh Bahrami klagte ihren Peiniger an und verlangte, ihn nach dem im iranischen Strafrecht zugelassenen Grundsatz „Auge um Auge“ bestrafen zu dürfen. Zuerst wurde ihr, weil sie der Scharia nach als Frau nur halb so viel gilt wie ein Mann, lediglich die Zerstörung eines seiner Augen zugebilligt. Sie kämpfte weiter, bis ihr das Gericht zugestand, dass sie dem Attentäter beide Augen verätzen dürfe. Es gehe ihr nicht um Rache, sagte Bahrami nach der Urteilsverkündung, sondern um ein Signal. Alle sollten wissen, dass man so etwas keiner Frau antun darf.

      Weltweit herrschte dennoch Erschütterung. Denn aus aufgeklärten Rechtssystemen ist die Idee der Vergeltung weitgehend verbannt. Gesetzesbrechern soll vermittelt werden, dass es Unrecht ist, sich nicht an die Gesetze zu halten, aber die Justiz greift dabei nicht zu denselben Mitteln wie die Kriminellen. Der Räuber soll im Strafvollzug nicht beraubt, der Gewalttäter nicht misshandelt, der Mörder nicht ermordet werden (jedenfalls nicht in Ländern, in denen die Todesstrafe abgeschafft ist). Und jetzt das! Auge um Auge! Barbarisch. Unzivilisiert. Grausam. Ja. Einerseits. Und andererseits vielleicht doch ein wirkungsvoller Beitrag zu einer Bewusstseinsänderung.

      Denn tatsächlich war der Schwefelsäureanschlag des abgewiesenen Freiers keine Ausnahmetat eines Durchgeknallten, deren Unzulässigkeit außer Zweifel steht. Vielmehr gehören Säureangriffe in orthodoxen Macho-Gesellschaften zum Reaktionsrepertoire von Männern, die sich von einer Frau – zum Beispiel durch Zurückweisung – in ihrem Stolz verletzt fühlen. In Asien gibt es bereits eine von der Unicef geförderte „Stiftung für Säureopfer“, weil immer wieder Mädchen und Frauen von abgewiesenen Bewerbern oder erzürnten Ehemännern mit Batteriesäure übergossen werden. Auch Bahramis Peiniger, der sein Opfer vor Gericht zunächst verhöhnte, fehlte es offensichtlich an Unrechtsbewusstsein. Was Ameneh Bahrami offenbar erreichen will, ist ein veränderter gesellschaftlicher Blick auf Männer wie den Attentäter, der ihr Leben zerstört hat, um seine Verfügungsgewalt über sie zu demonstrieren. Offiziell und nachdrücklich soll Männern diese Verfügungsgewalt abgesprochen werden. Der aufsehenerregende Vollzug eines aufsehenerregenden Urteils sollte mithelfen, weltweit das Bewusstsein zu etablieren, dass auch Frauen ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Und dass Bahrami auf Vergeltung besteht, hat wohl damit zu tun, dass quitt zu sein die Herstellung von Gleichrangigkeit bedeutet. Nun wurde der Vollzug des Urteils im letzten Augenblick auf unbestimmte Zeit verschoben. Das ist gut so, nach unserem Rechtsempfinden, und auch, weil es Frau Bahrami davor bewahrt, ähnlich unmenschlich zu handeln wie ihr Attentäter. Aber dass das Urteil überhaupt gefällt wurde, ist ein Signal, das hoffentlich seine Wirkung nicht verfehlt.

      Die wahnhafte Vorstellung, dass sie sich nehmen könnten, wen und was sie wollen, beherrscht allerdings nicht nur Männer aus expliziten Macho-Gesellschaften. Auch im aufgeklärten Westen gibt es immer wieder üble sexistische Übergriffe, und vor allem Big-Boss-Persönlichkeiten können sich oft nicht damit abfinden, dass ihnen etwas verwehrt wird, schon gar von einer Frau. In New York wurde bekanntlich IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn festgenommen, nachdem ihn ein Hotel-Zimmermädchen der versuchten Vergewaltigung beschuldigt hat. Wie stets gilt die Unschuldsvermutung, aber die Gründe für eine Schuldvermutung sind auch nicht von der Hand zu weisen. Strauss-Kahn wird nachgesagt, dass er immer wieder Frauen sexuell bedrängt oder genötigt habe.

      Auch im aufgeklärten Westen gilt


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