"Ein Wort, ein Satz…". Группа авторов


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hat. Denn es geht um etwas anderes. Es geht nicht um Unsterblichkeit und auch nicht darum, durch ein Buch die Welt zu verändern. Sondern darum: »Du klappst das Buch zu, hebst den Blick und schaust anders in die Welt.« Das verdanken wir den Büchern, und ich wüsste nicht, wieso mir die künftigen, noch ungeborenen Leser wertvoller sein sollen als die jetzt lebenden.

      Wer dennoch etwas schreiben möchte, das noch in fünfhundert Jahren gelesen wird, dem will ich gern verraten, wie es geht: Nimm eine fünf- bis sechsstellige Summe und kaufe ein Stück Wald, mindestens fünf Hektar. (Zwanzig oder gar hundert Hektar wären besser.) Gehe zu einem Notar und lass ein Schriftstück aufsetzen, wonach der Besitz dieses Waldes an die unabwendbare Verpflichtung geknüpft ist, die Hälfte der Fläche unberührt zu lassen, und nur auf der anderen Hälfte wirtschaftliche Verwertungshandlungen (wie Bautätigkeit, Nutzholzgewinnung etc.) gestattet sind, und dass der Besitz nur als Einheit vererbt, verkauft oder sonst wie übertragen, aber nicht parzelliert, geteilt oder zerstückelt werden darf. Wer dagegen verstößt, verliert sein Eigentumsrecht sofort an den Ersten, der in die ursprüngliche Verpflichtung einzutreten gedenkt. Kurzum: Du schaffst ein Waldstück, das total verwildert, zu einem Urwald renaturiert. Dies ist eine Provokation, ein Steinchen im Schuh, und alle Jahre wieder wird die Frage erörtert, wieso dieses Waldstück so nutzlos vor sich hin wächst – und dann kommt dein Schriftstück ins Spiel: Menschen werden es sich vornehmen und lesen, um ein Schlupfloch zu finden (und dass die Hälfte der Fläche profitabel sein darf, hat damit zu tun, dass es rational und lohnend sein muss, das Ganze zu besitzen, sonst will niemand deinen Wald). Und je ausführlicher du über deine natur- und klimaschützerischen sowie kapitalismus- und zivilisationskritischen Motive schreibst, desto mehr wird von dir gelesen. (»Desto mehr« meint: Dreitausend Wörter Vertrag und Pamphlet sind mehr als tausend Wörter Vertrag.) Du solltest weiterhin deinen Text mit Gendersternchen und sonstigem modischen Krimskrams verzieren, für die garantiert gestrige Wirkung in späteren Zeiten. Überhaupt, je heutiger, je zeitgenössischer dein Sprachgebrauch ist, desto schneller altert dein Text und desto leichter wird er als etwas längst Vergangenes einsortiert.

      Natürlich kann es passieren, dass dein Text durch Enteignung obsolet wird, oder weil es einem künftigen Waldbesitzer gelingt, das notarielle Konstrukt zu knacken. Aber bis das geschieht, wird man deinen Text öfter gelesen haben als die meisten Bücher, die in der Bibliothek des Trinity College stehen.

      SAFIYE CAN

      Werkbegriff und Werkberufung

      I

      Manches geschieht ohne Planung, sondern einfach nur, weil es genauso sein soll, wie es am Ende vorliegt. Meine ersten drei Lyrikbände sind so geworden, wie sie sein mussten. Am vierten arbeite ich gerade. Wenn ich an einem Gedichtband arbeite, denke ich immer auch darüber nach, wie er die Menschen erreichen soll, aber auch, was in zwanzig, dreißig Jahren mit dem Buch sein wird. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich beim Schreiben eines jeden einzelnen Gedichtes stets die LeserInnen vor dem geistigen Auge habe. Und dies nicht deshalb, weil es mich etwa motivierte, vielmehr geschieht das von selbst.

      Ich begann Gedichte zu schreiben, wie man das üblicherweise so macht, in Pubertätstagen, verfasst für die beste Freundin, den Großvater, und stellte irgendwann fest, dass ich längst nicht mehr für einen Bekanntenkreis schrieb und dass ich beim Schreiben die (mir zwar vertrauten, aber doch) unbekannten LeserInnen vor Augen habe. Sie kamen ganz so, wie einem plötzlich eine gute Idee in den Sinn kommt, unerwartet, unangemeldet. Und sie blieben; ich kann sie mir nicht wegdenken.

      Sobald ich schreibe, und das geschieht – samt Klängen und Rhythmen – freilich erst im Kopf, sind sie als stumme BegleiterInnen dabei. Der Unterschied zwischen diesem Publikum von heute zu dem von früher ist der, dass es sich bei Ersterem nicht nur um zeitgenössische LeserInnen handelt, sondern auch um solche, die heute noch nicht auf der Welt sind. Das muss merkwürdig klingen.

      Ich habe mir bei all meinen Büchern und Herausgeberschaften etwas gedacht. Allen liegt eine Konzeption zugrunde und alle sind, wenn man es sehen mag, politisch.

      Jeder Titel flog mir zu und jeder Titel ist gut überlegt und erwogen. Was auf dem Cover steht, wird man auch im Inhalt wiederfinden, und zwar in jedem einzelnen Gedicht und Beitrag. (Das ist vielleicht auch meiner Erziehung geschuldet: Wenn man jemandem etwas verspricht, dann soll man es auch halten.)

      Ich verfolge mit allen meinen Büchern, auch mit meinen Prosabeiträgen, das Ziel, den Leser für Lyrik zu gewinnen. Mein Motto lautet: Lest Gedichte!

      Dies ist das erste Mal, dass ich nach meinem Werkbegriff gefragt werde, und ich möchte antworten, indem ich innerhalb meiner Lyrikpublikation bleibe. Zur Lyrik fühle ich mich hingezogen und berufen.

      Mein erster Lyrikband trägt den Titel Rose und Nachtigall. Liebesgedichte. Was an Liebesgedichten ist politisch, könnte man fragen. Deutschland leidet an Poesielosigkeit. Neben meiner naturgegebenen oder selbsternannten Mission, der Lyrik mehr Popularität zu verschaffen, verfolge ich mit diesem Buch vor allem zwei Anliegen:

      1. Die Adaption der Metapher ›Rose und Nachtigall‹, die zwar schon bei Goethe und Heine vorkommt, aber in der deutschsprachigen Literatur nicht weiter übernommen wurde und weitestgehend unbekannt blieb. Was sehr schade ist, denn nicht umsonst ist sie seit Ende des 11. Jahrhunderts / Anfang des 12. Jahrhunderts bis heute in vielen anderen Sprachräumen ein häufig verwendetes Sprachbild (Songtexte inbegriffen). Die Erläuterung der Metapher halte ich für selbstverständlich, da sie dem Band den Titel gibt und aus einem anderen Sprachraum kommt. LeserInnen haben einen Anspruch auf diese Erläuterung.

      a) Diese Metapher ist populär wie keine zweite Metapher im arabischen Sprachraum und steht stellvertretend für tiefe Liebe schlechthin. Ein Buch voller Liebesgedichte Rose und Nachtigall zu nennen, erschien mir geradezu folgerichtig. Mit Verwunderung, aber auch etwas enttäuscht, musste ich damals feststellen, dass es diesen Titel auf Deutsch noch nicht gab.

      b) Bei Liebesgedichten das Wort ›Rose‹ im Buchtitel zu verwenden, bedeutet allerdings auch, ein Risiko einzugehen. Manch eine oder einer wird das Buch mit dem Gedanken gar nicht erst aufgeschlagen haben: Mehr Kitsch geht sicherlich nicht.

      2. Das Setzen politischer Zeichen. Für die Lesenden ist es so: Wenn eine Dichterin Liebesgedichte schreibt, ist das eigentlich die normalste Sache der Welt. Für den deutschsprachigen Literaturbetrieb allerdings ist dies gar nicht so selbstverständlich.

      a) Ein Gedichtband aus dem 21. Jahrhundert, der aus Liebesgedichten besteht, ist ein ungewöhnliches Phänomen – Bände mit Liebesgedichten gibt es eigentlich nur noch, wenn bei verstorbenen Dichterinnen Liebesgedichte aus allen Bänden zu einem Band zusammengestellt werden. Ungewöhnlicher bis (ich meine?) nicht da gewesen ist es, wenn es sich hierbei zudem um ein Debüt handelt.

      b) Eine Dichterin, die einen bis mehrere Migrationshintergründe und keinen deutschen Namen hat, deren Debüt aus deutschsprachigen Liebesgedichten besteht und in dem das Thema Migration, Heimat, Herkunft, Darstellung von Leidenswegen anhand diverser Traditionen und Religionen, an denen sie gelitten hat, oder Ähnliches ausbleibt, ist unüblich, wenn nicht gar unerhört. Dies wird auch der Grund gewesen sein für die vielen Absagebriefe. Wenn unseresgleichen Bücher publiziert, Prosa oder Lyrik, wird angenommen, dass dabei Migrationsthemen behandelt werden. Du kannst dich nicht mit deinem nichtdeutschen Namen einfach so auf dieselbe Stufe stellen wie deine deutschen KollegInnen. Das Land ist nicht so weit.

      Mein Debüt ist ein Statement, ich wollte ein Zeichen setzen. Und die LeserInnen haben geantwortet: Sie haben das Buch zum Lyrikbestseller katapultiert. Auch sie haben, ohne ein politisches Wort auszusprechen, eine politische Antwort gegeben.

      Ich hoffe, dass auch noch in vielen Jahren meine Gedichtbände Menschen glücklich machen. Sie sollen sie informieren, motivieren und das höchste aller erreichbaren Ziele: berühren. Selbstverständlich auch diejenigen, die noch nicht geboren sind. Es liegt in der Natur der Dinge, dass man nicht allen begegnen kann. Aber umarmen kann man sie dennoch. Mit Versen.

      II


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