"Ein Wort, ein Satz…". Группа авторов


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Verhältnis zu einem vorherigen Buch; sie stammen schließlich aus einer Feder und sind – ohne eine Art Fortsetzungsroman sein zu müssen – die erweiterte Gedanken-, Traum und /oder Wunschwelt des Schreibenden. Auch in meinen Büchern findet man einen roten Faden, der sich durch alle Bände zieht, und dennoch wird jeder einzelne neu und unabhängig von allem zuvor Geschriebenen sein.

      Meine Gedichtbände sind stets in Kapitel eingeteilt und schließen ab mit einem Langgedicht, das sozusagen die Hauptschlagader des Buches ist und auch immer der Titelgeber des Buches selbst. Diese Einteilungen können etwa aufführen, wie verschiedenartig Lyrik schreibbar ist z. B. in Form von Gedichtcollagen, visueller Poesie u. v. m. Das ist mir wichtig und arbeitet gegen den im deutschen Sprachraum nach wie vor festgefahrenen und weitverbreiteten Gedanken von einfältig-langweiliger Poesie, Schnulzgedichten oder durchweg verschlossener, nicht zugänglicher Lyrik.

      Eine weitere Idee für alle Bände war zudem, nach dem Langgedicht am Buchende deren Übersetzung ins Englische abzudrucken, an der ich mit dem Übersetzer arbeitete, um möglichst viele Menschen im Land, aber auch außerhalb davon, zu erreichen, die der deutschen Sprache gar nicht oder nicht ausreichend mächtig sind. Englisch ist nun einmal die dominierende Weltsprache.

      Bei jedem Vorhaben steht die Authentizität der Gedichte im Vordergrund. Gedichte, die sich quasi von alleine schreiben, weil sie sich einem aufdrängen, sind die besten Gedichte.

      Meine Texte entstehen aufgrund eines inneren Drangs, sie zu schreiben. Ich würde sagen, das Gedicht kommt von alleine zu mir. Ich dränge mich dem Gedicht nicht auf. Werde ich angefragt, zu einem bestimmten Thema zu dichten, fällt mir dies schwer, wenn es nicht mein Thema ist, und ich lehne ab. Es sei denn, das Thema zündet sofort. Auch dann kommt das Gedicht ganz von alleine; so als wartete es die ganze Zeit darauf, dass jemand sagt: Schreib! Los! Um die Freiheit im Schreiben von Texten beizubehalten, entstehen sie zuerst, ohne dass ich mir Gedanken über das große Ganze mache.

      Die Gedichte kommen zu mir, aber ich arbeite sehr lange an ihnen. So lange, dass es fast an Selbstzerstörung grenzt. Ich verabschiede oder distanziere mich auch nicht von meinen Büchern. Sie sind bei Lesungen dabei. Auch wenn ein aktuelles Buch auf dem Markt ist, lese ich meist aus allen. Die Gedichte werden schließlich nicht alt, sie altern nicht.

      Und in Zukunft?

      Mein zweiter, Diese Haltestelle hab ich mir gemacht, und vor allem mein dritter Lyrikband, Kinder der verlorenen Gesellschaft, sind inhaltlich politischer. Ich weiß, dass ich auch in Zukunft diese Richtung verfolgen werde, weil es Themen gibt, die bearbeitet werden wollen und müssen. Aufgrund ihrer Natur sind manche so gewichtig, dass sie einen langen Reifeprozess benötigen.

      Die Freiheit jedoch, ich sprach es an, bleibt das A und O beim künstlerischen Schaffen. Die Kreativität will kein aufgezwängtes Korsett tragen. Und sollte ich einmal einen Roman schreiben, wird auch das aus Liebe zur Lyrik geschehen.

      Die Quintessenz meines Beitrags ist also folgende: Meine Bücher sind durchdacht, und doch fügen sie sich aus Einzelteilen zusammen, sodass am Ende ein Buch vorliegt, das so ist, wie es sein sollte, noch bevor ich es mir erdachte.

      DANIELA DANZ

      Das Geschriebene / das zu Schreibende

      Wer wäre ich geworden, wenn 1990 das Land, in dem ich aufgewachsen bin, nicht aufgehört hätte zu existieren? Ich frage mich das oft, habe geradezu einen Hang zu solchen Fragen: Wer wäre ich als Mann, wer vor zweihundert Jahren, wer von einem Wissen her, das ich nicht habe, einem Wissen zum Beispiel um den Zeitpunkt meines Todes? Und diese Fragen umgeben mich in Ringen: Wer wären meine Kinder in einer anderen genetischen Kombination oder ohne die erzieherischen Eingriffe ihrer Eltern und nächst dieser Frage: Wie wäre mein Werk ohne seine praktischen Bedingungen? Und auch diese Frage wächst in Ringen um mich herum: Wie hätte Hölderlin geschrieben, hätte er einen Verlag und einen Literaturbetrieb wie ich gehabt? Hätte er jene sprachliche Radikalität von einer abgesicherteren Position aus erreicht? Oder welches Vokabular hätte Celan benutzt, wenn er nicht auf einem Außenposten der deutschen Sprache, in der Bukowina, das Sprechen erlernt hätte?

      Wie ist es nun mit meinem Werk? Habe ich ein Werk, arbeite ich an einem Werk, werde ich ein Werk haben, es gehabt und erarbeitet haben? Ist ein Werk nur das Geschaffene oder auch das zu Schaffende? Wenn ich sage: mein Leben, dann meine ich das gegenwärtige und das zurückliegende, über das zukünftige weiß ich gnädigerweise nichts. Allerdings verlängere ich wie selbstverständlich die Linien des bisherigen in die Zukunft hinein, würde aber doch stocken, die berüchtigte Frage zu beantworten: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? In Bezug auf mein Werk gibt es solche Linien in die Zukunft nicht. Es gibt so etwas wie Reisepläne: Themen, für die ich gerne Zeit hätte. Aber ansonsten liegt hinter mir klar und deutlich der gekommene Weg, vor mir keine Spur. Rückblickend sehe ich zwei Linien, die der Prosa und die der Lyrik. Was die Linie der längeren Prosawerke betrifft, so besteht sie nur aus der Verbindung zwischen zwei Punkten, Türmer (2006) und Lange Fluchten

      (2016). Das ergibt zwar eine Linie, aber eine, über die sich noch nicht viel sagen lässt. Das lyrische Werk hingegen besteht aus vier thematischen Bänden, die sich mit Fragen nach der ostdeutschen Provinz (Serimunt, 2004) befassen, mit dem Zusammenhalt und den Grenzen Europas im Osten (Pontus, 2009), der Problematik von Nation und Nationalismus (V, 2014) und jetzt mit dem ambivalenten Begriff der Wildnis (Wildniß, 2020) und unserer neuerlichen Affinität dazu. Es geht immer um Gesellschaft, darum, was sie zusammenhält und wie sie sich verortet. Da die Linie vom ersten Band bis zu dem, der gerade erschienen ist, sehr geradlinig verläuft, ließe sich erwarten, dass sie weiterführt. Aber wohin und was ist ein Gedicht und wie soll ich es schreiben? Fragen und Zweifel grundsätzlichster Art stehen in der ungespurten Landschaft vor mir herum.

      Zurückkehrend zur Frage nach dem Einfluss der äußeren Bedingungen auf mein Schreiben, lassen sich nun, da die Linien gezogen sind, verschiedene Hypothesen aufstellen. Zum einen denke ich, dass die Themen, über die ich schreibe, weniger damit zu tun haben, welche Resonanz sie erfahren, ihre sprachliche Umsetzung hingegen schon mehr. Ich kann mir vorstellen, dass ich anders schreiben würde, wenn mir oft genug gesagt werden würde, dass das keiner lesen möchte, wobei mir da auch Grenzen gesetzt sind und ich müsste doch mit Hölderlins Worten bald kapitulieren: »Sollten aber dennoch einige solche Sprache zu wenig konventionell finden, so muß ich ihnen gestehen: ich kann nicht anders.« Auf meine Themenwahl hätte das aber sicher eher den Einfluss, dass ich gar nicht mehr schreiben würde oder für die Schublade. Sie ist zu geschätzten 60 Prozent von der gesellschaftlichen Situation, zu 30 Prozent von der privaten Situation und nur zu 10 Prozent davon abhängig, welche Erwartungshaltungen es an sie gibt. Alles in allem würde ich daraus aber keine Schlüsse auf mich als Autorin, sondern Schlüsse auf meine beruflichen Rahmenbedingungen ziehen. Die sind sehr gut und in meinen Augen die eines Menschen, der eine glückliche Kindheit hatte, womit ich natürlich die literarische Kindheit meine.

      In terms of theory of attachment würde man von einer sicheren Bindung sprechen (B-Typ), die es mir als Autorin bis jetzt immer ermöglicht hat, mich zuversichtlich nach meinen eigenen Gesetzen zu entfalten. Daran hat den größten Anteil die Gesellschaft, in die ich als Schreibende hineingewachsen bin – zum Beispiel in Kontrast zu der Gesellschaft, in die ich als Mensch hineingewachsen bin und von der ich mich, siehe oben, frage, auf welcher Seite der Schneide ich mit zunehmender Klarheit über die Widersprüche hinabgefallen wäre. Den zweitgrößten Anteil aber haben mein Verlag und mein Lektor als meine erste Bindungsperson. Bis heute erstaunt mich, mit welcher Unbeirrbarkeit sich beide schon gleich zu Beginn für mich entschieden hatten, als ich selbst mir über mein künftiges Werk, welchen Begriff ich gar nicht zu denken gewagt hätte, bewusst war. Und beide haben mir seither immer wieder Gelegenheit gegeben, mein Vertrauen darauf, dass ich dort eine Heimat habe, zu erneuern. Von hier aus also, again in terms of theory of attachment, erkunde ich als Autorin die Welt und schaffe mein Werk. Und, wie ein sicher gebundenes Kind, würde ich in Notsituationen als Autorin zuerst den Rat meines Lektors und meines Verlags suchen, eingedenk dessen, wie beide in den verschiedensten Lebenslagen für mich gesorgt haben. Mein Lektor hat mir darüber hinaus einmal das


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