Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


Скачать книгу
Tross würde die Zelte abbrechen und dem Heer langsam folgen, um es nach der Schlacht in einem neuen Lager zu erwarten.

      »Ja, mein Prinz.« Der Junge, irgendein entfernter Vetter aus einem theroischen Adelshaus, reichte ihm den runden Schild. Selbst im Halbdunkel des Zelts blitzte das polierte Silber, und die goldenen Beschläge glänzten wie das Antlitz der Sonne, dem sie nachempfunden waren. Achtlos hängte sich Athanor das Meisterwerk über den Rücken. Bis zum Abend würde von der Pracht nicht mehr viel übrig sein. Sein Vater hatte ihm den Schild zur Feier des Triumphs über Nikene geschenkt. Er war zu wertvoll, um ihn in Scharmützeln gegen gewöhnliche Krieger zu verschleißen, doch heute würden sie Etheon, dem Herrscher Itharas, gegenübertreten. Möge ihn das spiegelnde Sonnenlicht auf dem Schild so blenden, dass er Freund nicht mehr von Feind unterscheiden kann!

      Schwert und Rüstung hatte Athanor schon vor der Besprechung mit Argos angelegt. Nun reichte ihm sein Knappe den mit goldenen Ornamenten verzierten Helm. Die vom Schweiß speckig gewordenen Lederpolster hatten sich seinem Schädel so perfekt angepasst, dass er den Helm nicht mehr mit Riemen befestigen musste.

      »Alles hängt vom heutigen Tag ab, nicht wahr?«, platzte der Junge heraus.

      Athanor nickte und verließ das Zelt. Bedeutungsschwangere Abschiedsreden lagen ihm nicht. Auch wenn er nicht mehr so blauäugig in die Schlacht ritt wie zu Beginn des Kriegs, dachte er so wenig wie möglich über die Gefahren und eine mögliche Niederlage nach. Sie würden siegen, wie sie es stets getan hatten. Etwas anderes kam nicht infrage.

      Er schwang sich in den Sattel, und der Knappe reichte ihm die Lanze herauf.

      »Mögen Licht und Flamme mit Euch sein, Herr«, wünschte der Junge und trat rasch zurück, als Athanor dem Hengst die Sporen gab.

      Auch der Oberste Feldherr saß bereits im Sattel. Er sprach mit dem Boten, der den Drachen seine Anweisungen überbrachte. Athanor schnaubte. Wem machten sie noch etwas vor? Die Drachen nahmen keine Befehle an. Sie befolgten Argos’ Anweisungen, weil es ihnen beliebte. Er ahnte, dass Anandra die Wahrheit sprach. Hastig verscheuchte er den Gedanken.

      Gerade galoppierte die berittene Vorhut davon. Im Staub, den sie aufwirbelte, sammelte sich ein Kontingent Fußtruppen, um ihnen langsamer zu folgen. Die grüne Flagge mit den goldenen Flammen Theroias wehte über ihnen, und auch an Athanors Lanze flatterte ein grün-goldener Wimpel im Wind. Er ließ den Blick über die Reiter schweifen, die sich um Argos eingefunden hatten und ihrem Kronprinzen nun den Weg zu seinem Onkel freigaben. Das Gold und Silber an Zaumzeugen, Waffen und Rüstungen zeugte von ihrem hohen Stand. Der Krieg hatte einen grimmigen Zug in die Gesichter gegraben, doch mehr denn je waren diese Männer entschlossen, die einstige Hauptstadt des längst zerfallenen Alten Reichs zu erobern und ein neues Reich unter Theroias Herrschaft zu errichten. Scherzend und prahlend waren sie vor drei Jahren zu ihrem ersten Feldzug aufgebrochen. Mittlerweile brauchten sie reichlich Wein und den Taumel eines weiteren Siegs, um fröhlich zu sein.

      Athanors Blick suchte Theleus. Vielleicht hätte auch er nicht mehr gelacht, wenn sein Freund auf einem der Schlachtfelder geblieben wäre.

      Als der Bote zu den Drachen davonritt, sah sich der Oberste Feldherr kurz um. Sein grau melierter Bart und der Schatten des Helms verliehen auch ihm einen düsteren Ausdruck. Offenbar waren jene eingetroffen, auf deren Anwesenheit er Wert legte, denn er setzte ohne ein Wort sein Pferd in Bewegung. Athanor lenkte seinen Hengst neben ihn, und hinter ihnen reihten sich Theleus und Argos’ ältester Sohn ein. Weder er noch sein Onkel wandten noch einmal den Kopf. Die Kunst der Führung war, niemals daran zu zweifeln, dass das Heer ihnen folgte.

      Niemals zweifeln. Das könnte mein Wahlspruch sein. Nicht denken, sondern die Dinge einfach geschehen lassen. Andere entschieden für ihn – sein Vater, sein Onkel, die Götter … Trottete er Argos nicht im Grunde nach wie ein Kampfhund, der auf Befehl seine Gegner zerfleischte und sich dann im Jubel der Menge sonnte? Es war seine Bestimmung, dass die Männer zu ihm aufsahen und ihre Frauen und Töchter ihn anhimmelten. Warum alles infrage stellen, wenn es so gut für ihn lief? Doch Anandras Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Wie lästige Fliegen kehrten sie wieder und wieder in seine Gedanken zurück. Er musste etwas sagen. Irgendwas. »Welche Anweisungen habt Ihr den Drachen gegeben?«

      »Dass wir beim geplanten Vorgehen bleiben«, brummte Argos.

      Er wollte die Itharer angreifen, als ob es die anrückenden Kyperer nicht gab? »Warum versuchen wir nicht, Etheons Heer zu umgehen und ihm in den Rücken zu fallen?«

      Der Oberste Heerführer sah Athanor an, als hätte er ihn nie zuvor gesehen. Es lag nicht daran, dass es jemand wagte, seine Strategie infrage zu stellen. Athanor hatte oft genug mit angehört, wie hochrangige Krieger mit seinem Onkel über die Taktik der nächsten Schlacht stritten. Solange sie am Ende seine Befehle befolgten, störte es Argos nicht. Es lag an ihm. Seit sie in diesen Krieg gezogen waren, hatte er die Entscheidungen seines Onkels hingenommen wie Ratschlüsse eines Gotts.

      »Dafür ist es zu spät«, befand Argos. »Wenn wir es durch das Flusstal versuchen und entdeckt werden, können sich die Itharer von den Hängen auf uns stürzen, während uns die Kyperer vom anderen Ufer aus mit Pfeilen eindecken. Wenn wir den Höhenweg nehmen, sind wir weithin sichtbar und müssen eine so lange Schlange bilden, dass der Feind jederzeit unsere Linie durchbrechen kann. Etheon will es auf die alte Art. Zwei Heere, die auf einer Ebene aufeinanderprallen. Soll er seinen Willen haben. Es wird das letzte Mal sein.«

      »Aber Ihr habt doch selbst gesagt, dass die Kyperer unsere …«

      »Die Drachen werden sich schon um die Kyperer kümmern. Aus der Luft haben sie den nötigen Überblick und wissen, was zu tun ist.« Argos’ Tonfall machte deutlich, dass das Thema für ihn erledigt war.

      Athanor blickte starr geradeaus. Gestern noch hätte er genickt und geschwiegen, obwohl ihm die Abhängigkeit von den Drachen zuwider war. »Ist es klug, so sehr auf die Drachen zu vertrauen?«

      Argos wandte sich ihm so heftig zu, dass er sein Pferd aus dem Tritt brachte. »Klug? Wir führen seit drei Jahren Krieg! Wir haben so viele Männer verloren, dass uns selbst die weibischen Itharer gefährlich werden können. Wir brauchen die verdammten Drachen, sonst kannst du die Welt vom Spieß eines Kyperers aus betrachten.«

      Athanor konnte hören, wie Theleus hinter ihm nach Luft schnappte. Oberster Feldherr oder nicht, Argos war nur sein Onkel. Als Kind hatte er sich von ihm maßregeln lassen müssen, aber damit war es lange vorbei. »Ihr werdet Euren zukünftigen König nicht noch einmal anbrüllen, oder Ihr findet Euren Kopf auf meinem Spieß wieder. Haben wir uns verstanden?«

      Argos’ Augen funkelten im Schatten des Helms. Sein Brustkorb hob sich, als setze er zu einer noch lauteren Antwort an, doch er stieß die Luft wieder aus. »Vergiss nicht, dass dich nur der frühe Tod deines Bruders davor bewahrt hat, mein Leben führen zu müssen«, zischte er.

      Er wagt es, mich daran zu erinnern? Athanors Faust ballte sich um den Schaft der Lanze. Es war so dreist, dass ihm keine Erwiderung einfiel. Er konnte Argos auch nicht einfach mit einem Faustschlag aus dem Sattel werfen – schließlich ritten sie in eine Schlacht. Der Oberste Feldherr und er mussten Einigkeit und Entschlossenheit ausstrahlen. Im einsetzenden Schweigen kam ihm das Säuseln des Winds an seinem Helm unnatürlich laut vor. Danke, Anandra. Bist du jetzt zufrieden? Dieser Streit hatte nichts bewirkt, außer sein Verhältnis zu seinem Onkel zu zerrütten.

      Wortlos zogen sie auf die ausgedörrte Ebene hinaus, wo Etheons Heer als dunkle Linie vor dem Horizont wartete. Die Vorhut hatte beim Anblick des Gegners angehalten und dem Teil der Fußtruppen, der Argos vorausmarschiert war, befohlen, sich in Reihen von hundert Mann aufzustellen. In der Mitte hatten sie eine Gasse gebildet, durch die Athanor, der Oberste Feldherr und ihre engsten Vertrauten nach vorn ritten.

      Argos winkte einen Meldereiter an seine Seite. »Die Männer sollen die Länge der Reihen verdoppeln. Eine Hälfte der Berittenen will ich hier vor den Fußtruppen sehen, die andere soll dahinter Aufstellung nehmen. Berichte mir, wenn alle vollzählig angetreten sind!«

      Der Bote stob davon, um die Anweisungen zu überbringen. Nun hieß es warten, bis auch der letzte Heerhaufen eingetroffen war. Athanor


Скачать книгу