Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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      »Sieht aus, als würden die Götter heute Abend um die Gefallenen weinen«, stellte Theleus mit einem Blick zum Himmel fest.

      »Wenn sie denn so lange warten.« Die Wolken waren so dunkel geworden, dass Athanor daran zweifelte.

      Aus den Reihen der einfachen Männer drangen die Stimmen der Priesterinnen herüber, die an ihnen vorüberschritten und sie mit Wasser aus dem heiligen See besprengten. Der Segen der Urmutter Kaysa versprach Leben, und genau das war es, was sich die Soldaten erhofften – nach der Schlacht noch am Leben zu sein.

      Athanor sah sich um. Boros, ein Krieger aus dem nördlichsten Fürstenhaus Theroias, ritzte sich mit dem Schwert den Handballen. Das hervorquellende Blut strich er über die Klinge und murmelte beschwörende Worte an den Totengott. Sicher war er nicht der Einzige, der dem Dunklen eine reiche Ernte versprach – im Austausch für das eigene Leben. Athanor fand sie erbärmlich. Er würde mit keinem Gott um sein Leben feilschen. Jede Schlacht bewies aufs Neue, dass sie ohnehin nicht zuhörten.

      Stattdessen wandte er sich dem Späher zu, der gerade auf schweißnassem Pferd zurückkehrte.

      »Hast du Kyperer gesehen?«, wollte der Oberste Feldherr wissen, bevor der Mann auch nur sein Tier gezügelt hatte.

      »Nein, Herr. Offenbar haben sie sich noch nicht mit den itharischen Truppen vereint. Ich habe Etheons Heer weiträumig umkreist. Keine Spur von kyperischen Standarten.«

      Argos brummte undeutbar. Dass die Kyperer noch vor Sonnenuntergang eintrafen, stand außer Zweifel. »Wie stark ist er?«

      »Ich schätze 3.000 Krieger und 10.000 Mann Fußvolk.«

      Athanor und Theleus wechselten einen Blick. Solange die Barbaren aus den Wehrdörfern nicht eingriffen, kamen auf jeden von ihnen zwei Gegner.

      »Ist dir irgendetwas Wichtiges oder Seltsames aufgefallen?«, erkundigte sich Argos.

      »Die Fußtruppen tragen ungewöhnlich große und schwere Schilde mit sich. Vielleicht ein Versuch, sich gegen das Drachenfeuer zu wappnen.«

      Der Oberste Feldherr winkte ab. »Das wird sie nicht retten.« Unter den Kriegern, die ihn umgaben, ertönte vereinzeltes Gelächter. Wenn die Schilde nicht gerade aus Eisen waren, würden sie brennen wie Zunder. Und selbst Eisen schmolz in den magischen blauen Flammen.

      Argos entließ den Späher mit einem Wink. »Wir rücken vor!«, rief er, und der Befehl breitete sich wie Funkenflug unter den Männern aus. Hornsignale ertönten. In geordneten Reihen setzte sich das Heer in Bewegung.

      Die Itharer warteten noch immer ab. Sicher wussten sie, dass die Kyperer unterwegs waren, und spielten auf Zeit. Athanor kniff die Augen gegen den zunehmenden Wind zusammen. Je näher er kam, desto mehr Details schälten sich aus der Masse der Gegner. Fast war es, als blicke er in einen Spiegel. Wie bei ihnen schirmten auch die itharischen Reiter das Fußvolk vor dem Anblick des anrückenden Feinds ab. Rote und weiße Wimpel flatterten an den Lanzen der Itharer. Ihre großen Banner bauschten sich im Wind.

      Aus der Mitte löste sich eine Handvoll Krieger und kam den Theroiern entgegen. Argos hob eine Hand. Befehle wurden gebellt. Reihe um Reihe kam das Heer wieder zum Stillstand.

      »Das ist Etheon«, stellte der Oberste Feldherr fest. »Er will wohl verhandeln.«

      »Mutig für einen Weichling, sich uns so auszuliefern«, befand sein Sohn.

      »Er ist nicht mutig, sondern vertraut darauf, dass wir ehrenhaft sind«, wies Argos ihn zurecht. »Ich werde ihm begegnen, wie es Feldherrn in den Tagen des Alten Reichs getan haben. Athanor, Theleus, Boros, ihr begleitet mich!«

      Theleus warf Athanor einen fragenden Blick zu. Sollten sie darauf vertrauen, dass sich Etheon wirklich an die alten Regeln hielt? Athanor nickte, stieß seine Lanze in die Erde und trieb sein Pferd wieder an Argos’ Seite. Dem Feind vor dem Kampf in die Augen zu sehen, gefiel ihm. Er war neugierig auf den König Itharas, der seine Männer selbst in die Schlacht führte, statt sich hinter hohen Mauern zu verstecken.

      Etheon wurde von zwei Kriegern und zwei Bannerträgern begleitet, die sichtlich mit den vom Wind gebeutelten Stoffbahnen zu kämpfen hatten. Schon von Weitem erkannte Athanor das rote Banner Itharas mit dem goldenen Greifen darauf, doch sein Blick blieb an der weißen Fahne hängen, auf der eine goldene Sonne prangte.

      »Er sieht sich also tatsächlich in der direkten Nachfolge des letzten Kaysars«, murmelte er.

      Argos schüttelte den Kopf. »Nein. Er hält sich für den letzten Kaysar.«

      Lächerlich. Das Reich war vor fast tausend Jahren wieder in die Königtümer zerfallen, die die Hochkönige einst vereint hatten. In den Kriegen um den Kaysarthron hatten sie sich so lange aufgerieben, bis die blanke Not dem Irrsinn ein Ende gesetzt hatte. Jahrhundertelang war es zwischen den annähernd gleich starken Kontrahenten bei Überfällen und Grenzstreitigkeiten geblieben – bis Theroia das Bündnis mit den Drachen schloss.

      »Was ist das für ein süßlicher Gestank?«, wunderte sich Theleus.

      Der Wind wehte ihn auch Athanor in die Nase. »Salböl.« Angewidert verzog er das Gesicht. Es stimmte also, dass sich die Itharer täglich mit Duftölen übergossen. Ihre Haut musste weich wie Butter sein. Umso leichter werden unsere Klingen sie durchschneiden.

      Etheon und sein Gefolge hielten einen Speerwurf entfernt an und überließen es Argos, wie weit er sich ihnen nähern wollte. Der Oberste Feldherr ritt weiter, bis Athanor und er nur noch drei Pferdelängen von Etheon entfernt waren. Einen Augenblick lang musterten sie sich gegenseitig, ohne etwas zu sagen. Der König Itharas war von schlanker, beinahe schmächtiger Gestalt, doch für einen Mann, der älter als Argos sein musste, sah er überraschend jung aus. In seinem sehr kurz und sorgfältig gestutzten Bart zeigte sich noch kein graues Haar. Seine Haut schimmerte wie die eines Mädchens nach dem Bad. Zwar trug er eine Rüstung, aber anstelle eines Helms saß eine schmale, mit roten Edelsteinen besetzte Krone auf dem vom Salböl glänzenden Haupt.

      »Seid gegrüßt, Etheon, König Itharas!« Argos trieb sein Pferd noch ein paar Schritte vorwärts, sodass Athanor ihm folgen musste, wenn er nicht wie ein Leibwächter im Hintergrund bleiben wollte.

      »Ich grüße Euch, Argos, aber ich heiße Euch nicht willkommen«, erwiderte Etheon mit fester Stimme. »Mit welchem Recht führt Ihr ein Heer in mein Land, ohne mich um Erlaubnis zu fragen?«

      Mit dem Recht dessen, der es kann, dachte Athanor schmunzelnd.

      »Mein Bruder Hearon, König von Theroia erhebt Anspruch auf den Kaysarthron«, verkündete sein Onkel. »Wenn Ihr Euch unterwerft, gestattet er Euch, Herr über Ithara zu bleiben und Eurer Ergebenheit durch Tributzahlungen Ausdruck zu verleihen.«

      Aus den Gesichtern seiner Begleiter sprachen Wut und Empörung, aber Etheons Miene verriet nichts. »Seit über 700 Jahren stellt meine Familie die Könige Itharas, und wer über Ithara herrscht, ist der Kaysar – und damit Herr über das Reich.«

      Argos zuckte ebenso ungerührt mit den Schultern. »Ein Anspruch, den seit ungezählten Generationen niemand außerhalb Itharas anerkannt hat.«

      In die Züge des Königs stahl sich Hochmut. »In diesen unzivilisierten Zeiten neigen die Menschen dazu, die Rechte anderer mit Füßen zu treten. Das ändert jedoch nichts an ihrer Rechtmäßigkeit.«

      »Das Königshaus Theroias hat die älteren Rechte am Kaysarthron.«

      »Das kann jeder behaupten. Dadurch wird es noch lange nicht wahr.«

      »Helike, die Mutter des letzten wahren Kaysars, war eine Tochter Athanors, des damaligen Königs von Theroia und Urahn König Hearons und seines Sohnes Athanor, der nach ihm benannt wurde.«

      Etheon winkte ab. »Jedes Königshaus Ardaias kann auf verwandtschaftliche Bande mit der einstigen Kaysardynastie verweisen. Um diese lächerlichen Ansprüche wurden mehr Kriege geführt, als die Chronisten zählen konnten.«

      Ein grimmiges Lächeln umspielte den Mund des Obersten Feldherrn. »Dann wird es wohl einen weiteren


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