Schatzsuche im Walenseeschloss. Michael Weikerstorfer

Schatzsuche im Walenseeschloss - Michael Weikerstorfer


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Durch schmale Augenschlitze konnte er erkennen, wie Fritz begeistert sein Gesicht gegen das Zugfenster presste.

      „Wir sind da! Am Walensee!“

      „Was, echt?“, nuschelte Paul noch halb träumend. „Das ging aber schnell.“

      „Nur weil du die ganze Zeit geschlafen hast“, tadelte ihn Fritz. „Sieh dir lieber mal den See an!“

      Gehorsam blickte Paul aus dem Zugfenster und er wurde nicht enttäuscht, denn der Anblick des Walensees war atemberaubend. Die riesige Wasseroberfläche glänzte wie Silber im Licht der Nachmittagssonne, die sich zwischen den hohen, schneebedeckten Berggipfeln versteckte.

      Während der Zug an der langen Südseite des Walensees entlangfuhr, hatten Paul und Fritz genug Zeit, um die Landschaft zu genießen. Als sie an Murg vorbeikamen, konnten sie bereits das Walenseeschloss in der Ferne erkennen. Es erhob sich wie ein Juwel aus der silbrig glänzenden Wasseroberfläche. Noch ahnten die beiden nicht, welche Abenteuer sie in diesem Bauwerk erwarten würden.

      Um 17 Uhr erreichte der Zug die Ortschaft Ziegelbrücke. Paul und Fritz stiegen aus und fuhren mit dem Bus weiter nach Amden.

      „Wo ist das Hotel, von dem du vorher gesprochen hast?“, fragte Paul, während sie durch die Straßen von Amden schlenderten.

      Fritz kramte die Reisebroschüre aus seinem Rucksack hervor und antwortete: „Lass mich kurz nachsehen ... vorne ums Eck müsste es eigentlich sein. Nein, warte ... wir sind gerade daran vorbeigelaufen.“

      „Ach, Fritz. Wieso habe ich dich überhaupt mitgeschleppt?“, sagte Paul kopfschüttelnd.

      „Weil dieser Ausflug meine Idee war. Und jetzt heul nicht rum, wir sind ja schon da.“

      Die beiden erreichten den Eingang des Hotels, das Fritz für sie ausgesucht hatte. Das Gebäude war ein altes Fachwerkhaus aus dem 15. Jahrhundert, befand sich aber in einem gut erhaltenen und gepflegten Zustand. Zufrieden, nun endlich ihre Unterkunft erreicht zu haben, betraten die zwei das Gebäude.

      „Also, mir gefällt es hier“, sagte Fritz zufrieden und ließ sich auf das weiche Bett in ihrem Hotelzimmer fallen.

      „Genau dasselbe hast du auch über das Hotel in Hall in Tirol gesagt“, meinte Paul unbeeindruckt, während er seinen Rucksack auf den Boden fallen ließ.

      „Aber hier sind die Betten so schön weich.“

      „Und das hast du ebenfalls schon in Hall in Tirol gesagt.“

      „Ach, Paul, jetzt lass mir doch meinen Spaß! Immer wenn ich mich über irgendetwas freue, musst du es mir kaputt machen.“

      „Ja, aber nur weil es immer so lächerliche Dinge sind, die dich wahnsinnig faszinieren. Als du das letzte Mal bei meinen Eltern und mir zu Besuch warst, hast du fast eine Stunde lang mit einem Türstopper gespielt.“

      „Ja, und?“ Fritz schien ein wenig gekränkt zu sein.

      Paul seufzte und hängte seine Jacke an den Haken. „Mit 13 Jahren spielt man nicht mehr stundenlang mit einem Türstopper. Und mit 14 gerät man nicht wegen jeder stinknormalen Matratze aus dem Häuschen.“

      „Hey, ich habe nicht stundenlang mit dem Türstopper gespielt!“, verteidigte sich Fritz.

      „Wenn ich ihn dir nicht weggenommen hätte, dann hättest du dich sicher noch den restlichen Tag damit beschäftigt“, widersprach Paul und nahm den Zimmerschlüssel vom Regal. „Ich glaube, ich geh jetzt runter zur Hotelbar und zieh mir ein paar Cocktails rein. Es ist ja nicht auszuhalten mit dir.“

      „Mach das, aber nicht zu lange!“, meinte Fritz. „Wir müssen morgen ausgeschlafen sein, sonst wird das mit der Wanderung nichts.“

      „Ja, ja. Ich kann im Gegensatz zu dir selber auf mich aufpassen, ich bin schon 18. Soll ich die Zimmertür zusperren?“

      „Ja, aber weck mich nicht auf, wenn du zurückkommst.“

      „Ach, um die Uhrzeit schläfst du doch sowieso tief und fest wie ein Baby“, erwiderte Paul, bevor er das Licht ausschaltete und die Tür hinter sich schloss.

      Im Erdgeschoss an der Hotelbar war nicht sehr viel los. Kein Tisch im ganzen Raum war besetzt, jedenfalls konnte Paul im Halbdunkel niemanden erkennen. Nur an einem Ende der Theke saß ein älterer Mann, vermutlich ein Einheimischer, der bewegungslos sein Bierglas anstarrte. Er hatte einen Vollbart und trug einen grob gestrickten Wollpullover. Obwohl er betrunken wirkte, setzte sich Paul zu ihm. Vielleicht konnte er mit ihm ein interessantes Gespräch beginnen.

      Der Mann roch widerlich nach Schweiß und billigem Alkohol. Er sah ungewaschen und nicht sehr gepflegt aus. Paul überlegte schon, ob er nicht doch woanders Platz nehmen sollte, als ein Kellner aus der Küche trat und ihn nach seinem Getränkewunsch fragte.

      „Haben Sie einen Martini?“, wollte Paul wissen.

      „Selbstverständlich. Kommt sofort“, antwortete der Kellner, bevor er wieder in der Küche verschwand.

      „Einen Martini bestellt er sich, der feine Herr“, sprach der bärtige Mann neben Paul plötzlich mit einer kräftigen Stimme. „Wie heißt du denn?“

      „Paul“, antwortete er höflich.

      „Sehr erfreut. Ich bin Günter.“

      Günter streckte Paul zum Gruß seinen dicken Arm entgegen. Doch Paul lehnte ab, als er die ungewaschenen, dreckigen Wurstfinger erblickte.

      „Du scheinst nicht von hier zu sein. Was treibt dich in diese Gegend, mein junger Freund?“, wollte Günter wissen.

      „Ich möchte mir das Walenseeschloss mit meinem Cousin ansehen.“

      „Das Walenseeschloss? DAS Walenseeschloss?! Er will ins Walenseeschloss, ich glaub, ich werd verrückt! Haben Sie das gehört?“

      Die letzte Frage war an den Kellner gerichtet, der soeben mit Pauls Getränk zurückgekehrt war. Doch dieser stellte bloß wortlos das Glas auf die Theke und ging schnurstracks wieder zurück in die Küche.

      „Unhöfliche Leute gibt es heutzutage ... unhöfliche Leute“, schmollte Günter vor sich hin.

      „Also, was ist jetzt mit dem Walenseeschloss?“, hakte Paul nach.

      „Was mit dem Walenseeschloss ist? Ich sag dir, was mit dem Walenseeschloss ist. Mein Großvater hat mir einmal erzählt – damals, als er noch gelebt hat, versteht sich –, dass er einst einen Bekannten hatte, der drüben im Walenseeschloss als Diener gearbeitet hat. Aber dieser Bekannte, der lebt natürlich nicht mehr ... ich glaub, schon seit hundert Jahren nicht mehr ... Wirklich, hundert Jahre? Wie schnell doch die Zeit vergeht ...“

      „Was ist mit dem Bekannten?“, fragte Paul nach, denn er war neugierig geworden. Vielleicht konnte er dem Mann einige Informationen über das Walenseeschloss entlocken.

      „Ja, also, was war mit dem Bekannten? Ich sag dir, was mit dem war, pass nur auf! Der hat erzählt, was mit diesem riesigen Schloss passiert ist. Heute, ja, heute steht es leer. Einsturzgefährdet. Angeblich. Aber wenn ihr wüsstet, was da drin wirklich passiert ist ... wenn ihr das wüsstet!“

      Günter nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas, das vor ihm auf der Theke stand.

      „1870 war es, als sie ihn gefeuert haben. Den Diener, den Bekannten meines Großvaters. Gekündigt haben sie ihm! Und nicht nur ihm, sondern allen Bediensteten des Schlosses, einem nach dem anderen! Weil kein Geld mehr da war, mit dem sie bezahlt werden konnten!“, schrie Günter beinahe. „Verspielt hat er alles, der elendige Schlossbesitzer! Alles hat er verwettet, bei Pferderennen. Angeblich. Nichts ist übrig geblieben! Man hat sich erzählt, dass der Schlossbesitzer später ganz alleine im Walenseeschloss gestorben ist. Ganz alleine. Niemand war mehr da! Keine Bediensteten, keine Familie, keine Nachkommen, niemand. Und seitdem steht der Kasten leer.“

      Günter starrte kurz verträumt in sein Bierglas.

      „Einmal,


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